CSU ohne eigenständige Ideologie

Günter Rohrmoser, konservativer Sozialphilosoph, über die Probleme der Partei nach Strauß  ■ I N T E R V I E W

taz: Zieht der Tod von Strauß eine politische Zäsur in der Bonner Koalition nach sich?

Günter Rohrmoser: Sein Tod wird erhebliche Konsequenzen für das innere Gefüge der Bonner Koalition haben. Man muß sich doch jetzt fragen, ob aus der Dreier- faktisch eine Zweierkoalition wird. Kohl wird - und das ist verständlich versuchen, die CSU voll in die Front der CDU zu integrieren. Das hat für den Ablauf zukünftiger Wahlkämpfe unübersehbare Folgen. Die FDP etwa wird sich nach einem anderen Wahlhelfer umschauen müssen. Und die CDU kann in Zukunft nicht mehr darauf vertrauen, daß Strauß für die Stabilisierung der sowieso schon etwas wackelnden bis erodierenden rechten Front im CDU-Lager sorgen wird.

Ist die CSU historisch überholt?

Strauß ist es ja gelungen, die deutschen Konservativen und das, was man das rechte Lager in der Bundesrepublik nennt, erfolgreich in die deutsche Demokratie einzubinden und zu integrieren. Das ist weitgehend geglückt, weil Bayern aus ganz spezifischen historischen und mentalitätsgeschichtlichen Gründen ja einen kräftigen Akzent im Sinne dieses Zieles setzen konnte. Das Problem besteht darin, daß trotz der argwöhnischen Sorgen der Linken die CSU in Bayern keine eigene Ideologie benötigte. Die geistige ideologische Substanz der CSU war die Identität mit dem bayrischen Volkscharakter. Die Essenz der CSU-Politik konnte man auf die Formel bringen: Wir sind wir, und das wollen wir bleiben. Strauß allein war es, der durch seine gewaltige rhetorische Darstellung erst diese im Grunde folkloristische Position in umfassendere politische Zusammenhänge einbinden konnte. Das wird jetzt nicht mehr genügen, weil es niemanden unter seinen Nachfolgern gibt, der auch nur annähernd die Dimensionen von Strauß erreicht. Was durch seine Person bisher gebunden wurde, muß durch eine eigenständige Ideologie kompensiert werden. Die CSU muß sich viel mehr Gedanken um eine institutionelle Kompensation der Defizite machen, die durch den Ausfall von Strauß entstanden sind. Wenn das nicht gelingt, ist vorstellbar, daß die CSU im Laufe der Zeit auf die Bedeutung der ursprünglichen Bayernpartei herabsinken wird.

War Strauß nicht eh ein auslaufendes politisches Modell? Erinnert sei hier nur an das Ende der Ost-West-Konfrontation oder an die Ökologiefrage.

Das ist richtig. Aber in der Ost-West-Frage hat Strauß ja in den letzten Jahren selbst die notwendige Anpassung vollzogen. Neben Adenauer und Wehner ist er der letzte große Repräsentant des Nachkriegsmodells der Bundesrepublik gewesen. Zu all den epochalen und neuen Fragen und Herausforderungen hat er sich letzten Endes nur noch defensiv verhalten können. Strauß‘ Nachfolgern wird jetzt nicht einfach Kontinuität abverlangt. Sie müssen das, wofür er einmal gestanden hat, erneuern und neu denken, es auf das Niveau der neuen Herausforderungen am Ende dieses Jahrhunderts bringen. Das ist die geistige und intellektuelle Innovation, die ihnen abverlangt wird, und man kann natürlich daran zweifeln, daß sie dem gerecht werden.

Wem trauen Sie diese Modernisierung zu?

Wenn man so konkret die Frage aufwirft, dann gibt es zweifellos bei dem vor einigen Monaten neu berufenen Fraktionsvorsitzenden Alois Glück Ansätze dazu. Glück ist wohl einer der kompetentesten Leute, die sich der Umweltproblematik gestellt haben, und er ist auch bemüht, sie in weitere Zusammenhänge hineinzustellen. Aber man muß abwarten, ob dieser Most, der da gährt, auch einen guten Wein bringen wird.

mtm