Musik zum Gesehenwerden

■ Bei der ersten Bremer „Acid-House Party“ beeindruckte vor allem das viele schwarze Nylon / Viel Arbeit für DJs / Tanzen für die Radio-Bremen-Kamera

Menschen, die das Wort „acid“ für die anglisierte Form von „ätzend“ hielten, waren am Mittwoch in der Diskothek Maxx sicherlich in der Minderheit. Fast hätte der Eindruck entstehen können, das Bremer Musikpublikum wollte die erste Acid-House Party gar nicht annehmen, doch das war weit gefehlt. Auf den richtigen Zeitpunkt des Erscheinens kam es an, denn Sehen und gesehen werden war nun mal die Prämisse des Abends.

Über die Musik zu berichten ist mindestens so anstrengend wie ihr Zustandekommen. Drei DJs

waren pausenlos damit beschäftigt, Songs neu zu mixen, Baßrhythmen aus anderen Stücken zu unterlegen, immer wieder neue Melodien einzuflechten, die elektronisch bereits abgespeichert waren. Sampling nennt sich das, und es ist noch nicht einmal das einzig Neue an der Acid-House Maschinenmusik.

Rund um die Tanzfläche waren Live-Perkussionisten verteilt, die sich auf mitgebrachten Congas, Bongos, Trommeln und anderen Klangkörpern wahrhaft draufschafften. Aber irgendwann hörte sich ihr Vortrag inmitten der dröhnenden Lautsprecher immer entweder wie Samba oder Afro an, eine folkloristische Komponente bei so viel Elektronik und Flash -Lights, die schon eigenartig wirkte.

Um halb zehn waren wohl noch mehr Namen auf der Gästeliste als im Disco-Saal zu finden. Eine ganze Menge Normalos verloren sich im Tanzpalast mit dem Ambiente eines Zwitters zwischen Glitzer um die Tanzfläche und gemäßigten Wilden an den Wänden. Einige Zahnarzthelferinnen in beigem Kostüm mit schwarzen Nylons oder einem hautengen Rock bis nah ans Knie, bestimmt von Niebank, falls Sie wissen was ich meine, harrten der Dinge, die da kommen sollten. Doch erst einmal erschienen eine ganze Menge schwarzer Miniröcke an mehr oder minder schlanken Beinen und ein paar Männer, die in einem Abstand von einem halben Meter kleine Frauen hinter sich herzogen.

Erster Höhepunkt des Abends waren sicherlich die beiden hochhackigen Damen mit ihren prächtigen Haarmähnen, die fortwährend Schachteln einer neuen, ebenfalls schwarzverpackten Zigarettenmarke verschenkten. Das machte Eindruck. Wer sich da zwischen den mittlerweile sich mehrenden BesucherInnen im Alter um die dreißig befand, konnte sich schon mal eine dunkle Son

nenbrille aufsetzen, um nicht allzusehr aufzufallen.

Jürgen Koch vom Fernsehen war mit Sicherheit lange Zeit der Älteste im Raum, doch ihm und seinem Fernsehteam gebührt immerhin der etwas zweifelhafte Verdienst, die ganze Acid -Chose so richtig in Gang gebracht zu haben. Kaum daß der wichtige Medienmann seinem Kameramann das Zeichen zum Filmen erteilte, reagierten auf der Tanzfläche die in Sekundenschnelle Begeisterten wie auf Knopfdruck. Voll der Wallung streckten viele ihre Arme in die Höhe und kriegten sich vor Begeisterung gar nicht mehr ein. Na, wart ihr auch alle gut im Bild? Im Zuge der Kostendämpfung beim Bremer Sender

ist so ein Gratisauftritt im TV auch durchaus zu begrüßen.

Dem Publikum gefiel es offenbar, das Maxx war nach Mitternacht zudem brechend voll. Die Ohren so mancher Acid -Debutanten sicherlich auch, doch Herr Koch ließ immer noch filmen, und was gibt es bessere Gelegenheiten, das eigene Outfit der Bremer Öffentlichkeit zu präsentieren? Also wurden weiter die Arme gereckt, Carl Lewis‘ jüngerer Bruder war im Tanz unschlagbar, und die tierischen Schreie zwischen Jever und Spotlight gingen schon ins infernalische. Irgendetwas zwischen Hiiilfe und Wann geht der nächste Zug nach Wanne-Eickel. Oder so ähnlich.

Jürgen Francke