Wem ist die Kirsche?

Historikerstreit im Revier um Lothar Emmerichs Patenkind  ■  PRESS-SCHLAG

Derzeit jagen im Ruhrgebiet 64 Freizeit-Mannschaften mit dem kohlestaubschwarz-weißen Leder um den von der „Revier -Sportschau“ veranstalteten güldenen Reviercup. Doch schon nach der ersten Runde drohte der Gang vor Justitias Tornetze.

Reinhard Schippkus, Intimchef von Krefelds Szenefußballmannschaft „Gib mich die Kirsche“, einem Team mit Zukunftskonturen oder baldigen Zukunftskorrekturen, wollte es zuerst gar nicht glauben. Sichtlich noch (sieges -)trunken vom nimmer erwarteten 6:2-Auswärtserfolg erspähte Schippkus mit seinen studierten Historikeraugen den geschichtsträchtigen Namen seines Intims gleich noch ein zweites Mal: „Gib mich die Kirsche Schalke.“

Eine ganze Fußballnation war verunsichert und verlangte im Namen Lothar Emmerichs lückenlose Aufklärung, wie die legendären Worte des Ex-Dortmunders ausgerechnet mit dem Nachbarn Schalke in Verbindung gebracht werden konnten. Und vor allem: wer ist das erstgeborene Patenkind - die Schalker oder die da aus Krefeld. Schließlich nennen beide als Taufpaten den früheren Nationalspieler „Emma“ Emmerich, dessen Aufforderung zum Abspiel der Kirsche zu ihm und nirgendwo anders hin verbriefte Ruhrpott-Legende ist.

Der Kirschen-Intimus aus Krefeld mußte in tiefen Räumen forschen, um dem Vorwurf des Plagiats zu entgehen und den Beweis anzutreten, daß er der erste war, der aus Emmas vier Worten elf Freunde erschaffen hatte. Ansonsten hätte es geheißen, sich den fortschrittlichen Kräften zu beugen, die die Umbenennung der Krefelder Kirschen in ein niederländisches „Hup, Kersen, Hup“ nach Marco van Bastens Euro-Endspieltor schon längst gefordert hatten (siehe taz -Wiese vom 2.7.88).

So vergoß Schippkus manche Schweißperle - mehr als in jedem Spiel - über verstaubten Akten, er recherchierte und verglich quer durch die Republik, leitete schließlich aus verborgenen Kicker-Quellen das Urheberrecht für die Seinen ab und ließ starke Worte folgen: „Vom Anpfiff in Schalke mit Rechtsanwalt will ich noch einmal absehen, da es sich um eine Schülermannschaft handelt.“

So Historiker Schippkus aus vollem Munde im Hier und Heute seines Stadtarchivs zur Jugendsünde einiger Gelsenkirschener Kreiselbengels. Er vergab ihnen - eine große Geste. Angesichts ihres neuzeitlichen Alters könne weder die historische Komponente, geschweige das Ausmaß der Huldigungen an Emma, wie im Krefelder Kirschenappell manifestiert, in Schalke seinen geschichtsträchtigen Ursprung haben.

Vielleicht aber wurde eine Eskalation auch nur deshalb vermieden, weil die Schalker Kirschen schon in der ersten Runde des Reviercups ausschieden. Ob es nun an der Ehrfurcht vor dem großen Meister aus Krefeld gelegen hat oder an Emmas heiligem Zorn, vermochte niemand mehr gesichert zu rekonstruieren.

Achim Blickhäuser