Erbschaftsstreit um die Wende

■ Morgen entscheidet sich die FDP zwischen dem Vater und der Tochter der Wende

Irmgard Adam-Schwaetzer (46) tritt an, um den Generationswechsel gegen Otto Lambsdorff (61) durchzusetzen. Die Schülerin fühlt sich stark genug, um ihrem einstigen Meister den ersten Platz der Liberalen streitig zu machen. Zwar geht es um die symbolträchtige Entscheidung, womöglich erstmals eine Frau zur Vorsitzenden einer der etablierten bundesdeutschen Parteien zu machen - aber damit ist die Qual der Wahl bereits beendet. Eine politische Richtungswahl, daraus machen die beiden keinen Hehl, ist mit der Entscheidung kaum verbunden. Auch für Spekulationen über Koalitionen nach den nächsten Bundestagswahlen geben sie nicht viel her. Beide sind sowohl für eine weitere Zusammenarbeit mit der Union als auch für einen Wechsel zu haben - wenn die Konditionen stimmen.

Ab morgen, 16 Uhr, muß sich die FDP etwas Neues einfallen lassen. Länger als ein halbes Jahr lebte die blutleere Partei der drei Pünktchen im öffentlichen Bewußtsein vom Wahlkampf um ihren Vorsitz - und es war spannend wie ein Pferderennen. Noch darf gewettet werden; die 'FAZ‘ hat schon eine Mehrheit von 210 Delegierten für den Grafen gezählt, andere sehen mit dem Fernrohr durch das Fenster ihrer Redaktionsstuben noch ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Gegenüber den sonst drögen Personalentscheidungen der Parteien gab es diesmal etwas fürs Publikum - ein Hauch von US-Show nur, liberal-dezenter natürlich.

Kein Zweifel bei diesem Pferderennen: Beide Favoriten unterscheiden sich nur in der Gangart, nicht im Ziel. Die 402 Delegierten in Wiesbaden können wählen zwischen einer Tochter der Wende und einem Vater der Wende - eine dürftige Alternative. Wären da nicht die Unterschiede in Alter und Geschlecht, würde die politische Dürftigkeit in ihrem ganzen Elend offenbar.

Wer in das Votum von Wiesbaden eine Richtungsentscheidung hineindeuten will, tut der FDP zu viel der Ehre an. Beide Kontrahenten haben keinen Zweifel daran gelassen, daß ein Koalitionswechsel auf absehbare Zeit nicht ansteht. Derartige Äußerungen bei Adam-Schwaetzer als taktisch motivierte Zurückhaltung zu werten ist nur insoweit richtig, als die Koalitionsfrage für die Liberalen immer eine taktische Entscheidung auf Zeit ist. Lambsdorff spricht es klar aus: „Wenn wir unsere Rolle im Parteienspektrum erhalten wollen, müssen wir die Fähigkeit zum Wechseln behalten.“ Daß der Graf nun einerseits als Garant des Bündnisses mit der Union gilt, ihm andererseits manche Sozialdemokraten zutrauen, den rechten Flügel der FDP besser im Griff zu haben, um die Partei zu einer erneuten Wende herumzureißen - das gefällt ihm ungeheuer. Unterhalb der Koalitionsfrage ist auch für die wesentlichen politischen Felder keine meßbare Auswirkung der Wiesbadener Entscheidung abzusehen. Keine Äußerung von Irmgard Adam-Schwaetzer geht über das hinaus, was nicht längst von Freidemokraten oder sogar Christdemokraten vertreten wird: Die Brüter -Finanzierung müsse überdacht werden, mehr ökologische Momente in der Marktwirtschaft etc. Für beide wie für die FDP insgesamt heißt kapitalistische Modernisierung vor allem, den verbliebenen sozialstaatlichen Ballast zugunsten von „Eigeninitiative“ abzuwerfen. Nachzulesen ist das in der „Wiesbadener Erklärung“, der neuen programmatischen Diskussionsgrundlage der Partei, die von Adam-Schwaetzer wie von Lambsdorff mitverfaßt wurde.

Beide repräsentieren dieselbe liberale Partei, nur jeweils anders - und darauf reduziert sich die Qual der Wahl. Lambsdorff garantiert das geschmierte Verhältnis zum Mittel und Großkapital, ist aber - wg. „Spenden-Graf“ - keine wählerwirksame Figur. Adam-Schwaetzer wird eher zugetraut, die „weichen Themen“ wie Ökologie-, Frauen- und Sozialpolitik in den Augen der WählerInnen für die FDP zu besetzen. Ihre Anhänger erwarten dabei von ihr keine strategischen Entwürfe, versprechen sich aber, daß sie „mehr Diskussionen zulassen“ würde als Lambsdorff und dadurch die Attraktivität der Liberalen für junge Wähler erhöhen könnte. Der Graf hingegen ist ehrlich genug, um während dieses Wahlkampfs in alter Manier durch Angriffe auf den Kündigungsschutz von Behinderten zu provozieren, beweist aber dennoch Flexibilität für die notwendige Modernisierung der FDP nach außen: Die Nominierung der als „links“ geltenden Cornelia Schmalz-Jacobsen galt nicht nur dem innerparteilichen Stimmenfang.

Die morgige Entscheidung in Wiesbaden, soweit sie nicht ohnehin durch Lambsdorffs Hausmacht, das „Bataillon 111“ der Delegierten aus NRW, präjudiziert ist, wird nicht mehr bestimmen als die Farbskala für das FDP-Make-up in künftigen Schaukämpfen. Vielleicht sind richtige Pferderennen doch spannender.

Charlotte Wiedemann