Schluß mit Feierabend?

■ Sollen Läden länger öffnen? / Angestelltenkammer stellt Argumente pro und vor allem contra zusammen / Bremer Prominenz steuerte gute Argumente bei

Nach der Tagesschau noch eben den Antrag auf Lohnsteuerjahresausgleich im Finanzamt vorbeibringen, den Rückweg mit einem Einkaufsbummel durch die Sögestraße verbinden und in der Stadtbibliothek noch ein bißchen Bettlektüre organisieren. Wenn es nach der Bundesregierung geht, sollen Geschäfte und Behörden künftig einmal in der Woche bis 21 Uhr geöffnet bleiben. Die Kehrseite der Medaille: Finanzbeamte, Bankangestellte, Verkäuferinnen, BiblithekarInnen kämen abends noch später nach Hause, bekämen ihre Kinder noch seltener zu Gesicht, das deutsche Kleinfamilien-Leben verkäme noch weiter zur Zettelwirtschaft („Bin beim Dienstleistungsabend, Kotelett ist in der Röhre, Milchreis im Kühlschrank, Kuß Egon“) usw.

Noch in diesem Monat will der Bundestag in zweiter Lesung über den sogenannten „Dienstleistungsabend“ beraten und abstimmen. Rechtzeitig vor der Debatte hat die Bremer Angestelltenkammer noch einmal versucht, Argumente pro und contra längere Laden- und Behördenöffnungszeiten zusammenzutragen und in einer Broschüre zu veröffentlichen. 5.000fach hat Bremer Lokalprominenz auf Bitte der Angestelltenkammer und auf exakt 100 Seiten beigesteuert, was ihr an mehr oder weniger Bahnbrechendem zum Thema „Ladenschluß“ beigefallen ist: Bürgermeister Klaus Wedemeier z.B. hält gar nichts davon und noch weniger von dem entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung, der „an jedem Donnerstag, der kein gesetzlicher Feiertag ist, einen Dienstleistungsabend bis 21 (22) Uhr“ empfiehlt. Für Empfehlungen braucht man aber keine Gesetze, meint der Bürgermeister. Schlechte Erfahrungen hat auch Bremens Arbeitsamtschef Ernst Domino gemacht. Das Arbeitsamt, beschreibt Domino in seinem gleichfalls broschierten Beitrag, hatte früher längere Öffnungszeiten; genutzt worden sind sie kaum und am wenigsten von denen, für die sie einmal eingerichtet wurden: Berufstätige. Frauen -Gleichstellungsbeauftragte Ursel Kerstein sorgt sich amtsgemäß vor allem um die Mehrbelastung von ca. 6 Millionen, weil das geplante Gesetz sicher keine Bestimmung enthalten werde, „die Männern die entsprechende Mehrarbeit im Haushalt vorschreibt“. Helmut Thiel, Geschäftsführer der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen, fühlt sich durch die aktuelle Diskussion gar ans letzte Jahrhundert erinnert. Exakt anno 1900 wurden im Deutschen Reich

die Geschäfts-Öffnungszeiten erstmalig gesetzlich geregelt. Schluß war - um 21 Uhr, wie im jetzigen Entwurf der Bundesregierung.

Ein gedehntes Ja zum späten Einkaufen findet sich unter den 15 Beiträgen allein vom Vertreter der Bremer Handelskammer Hermann Krauß. Allerdings räumt auch Krauß ein, daß selbst in seinem Verband „die Mehrheit die Änderung des Ladenschlußgesetzes ablehnt“. Wenn schon längere Öffnungszeiten, fordert Krauß radikal, müßten auch die Mitsprachrechte von Betriebsräten

bei der Arbeitszeitgestaltung eingeschränkt werden.

Das etwas einseitige Gesamtbild der Broschüre ist durchaus Absicht, wie Angestelltenkammer-Präsident Bernhard Baumeister gestern bekannte: „Die Lobby von längeren Geschäftszeiten hat genügend Möglichkeiten, ihre Argumente zur Diskussion zu stellen, wir wollten deutlich machen, daß es dabei vor allem auch um längere Arbeitszeiten unserer Mitglieder geht. Große Chancen, mit der Broschüre im letzten Moment das neue Gesetz zu kippen, sieht Bau

meister allerdings auch nicht mehr. Trotzdem: Wenn Bremer Handelsketten und Kaufhäuser die neuen Möglichkeiten tatsächlich durchsetzen wollen, müssen sie sich auf harte Auseinandersetzungen einstellen. Selbst Streiks im Weihnachtsgeschäft schließt HBV-Geschäftsführer Thiel nicht aus. Beim Möbelhaus Ikea kämen allerdings selbst die zu spät. Dort hat der Betriebsrat schon jetzt längeren Öffnungszeiten zugstimmt. Gegens Fernsehen-Verpassen spendierte die Geschäftsleitung allen Mitarbeitern dafür einen Video-Recorder.

K.S.