MOVIES RUND UMS AUTO

■ „Verkehrsreiche Tage“ in der Filmbühne am Steinplatz

In selten klarsichtigen Momenten weiß man blitzartig, daß man sein ganzes Leben ändern müßte. Wenn ich mit dem Auto im Stau stehend errechne, den wievielten Teil des Tages ich wieder im Straßenverkehr zugebracht habe, dann bleibt, will ich mich weiterhin als vernunftbegabtes Wesen fühlen, eigentlich nur eins: raus und weg.

„AAA - die Schau rund um das Auto“ verkauft den alltäglichen Wahnsinn der Automobil-Kultur noch immer als ein unbedingtes Muß, das dem zivilisierten Menschen erst den letzten Schliff gibt. Diese Inszenierung hat Tradition, solange die Automobil-Industrie besteht. Aus Anlaß der Automobilausstellung haben die Filmbühne am Steinplatz und die Dokumentarfilmerin Riki Kalbe ein Programm aus Spielfilmen, Dokumentationen, aus alten Werbespots der Industrie und aus verkehrspolitischen Repräsentationsfilmen mit Berliner Lokalkolorit zusammengestellt. In einer VW -Werbung aus den fünfziger Jahren erscheint der Mensch, der sich nicht mehr wie seine Ahnen jahrhundertelang zu Fuß durch die Geschichte schleppt, sondern fährt, den Gipfel der Menschheit erreicht zu haben. In den Mini-Reklame-Stories schlägt das Herz von Geselligkeit, Liebe und Familie am lautesten unter der Motorhaube des eigenen PKW. Um ihn gruppiert sich die biedermeierlich restaurierte Familie, und der auf Hochglanz polierte Kotflügel ist der einzig wahre Reflektor des neuen Glücks der Wir-sind-wieder-wers.

Unbeholfen und plump mutet heute allerdings an, wie damals die Identifikation von Mensch und PKW betrieben wurde. Einen Vergleich der Mentalität der Deutschen voll unausstehlicher verklemmter sexistischer Anspielungen und den Eigenschaften eines Volkswagens walzt ein Spot endlos aus. Um wieviel geschickter gelingt der Werbung heute dagegen die Verschmelzung des Subjekts 'Fahrer‘ mit dem Objekt 'Auto‘, bis zur Vertauschung der Rollen und der Ausblendung des Fahrers. In einer Audi-Werbung des letzten Jahres war nur noch das Auto das Subjekt, das nicht einmal mehr ganz ins Bild gerückt werden mußte: Wie ein Auge, das sich öffnet, von einem erwachenden Menschen erzählen kann, genügte hier der aufleuchtende Scheinwerfer, um den Beginn einer Aktion des Wesens Auto zu signalisieren. Der Fahrer, der nicht mehr zu sehen war, diente nur noch dazu, die Schönheit dieses Wesens vorzuführen, und erhielt so ungefähr den Stellenwert des Benzins, das zwar auch immer verbraucht wird, aber keiner bildlichen Erwähnung bedarf. In der Fahrt eine Schneerampe hinauf wurde die PS-Kraft zum Selbstgenuß. Vom Verkehr auf den Straßen, der vor 30/40 Jahren noch als werbewirksames Argument für die Anschaffung eines neuen PKW angeführt wurde, schweigt man in der Werbung jetzt diskret. Seine Bilder sind mit dem verkauften Traum vom Individualismus nicht mehr vereinbar; wer würde schon für einen Sarg mit dem Anblick eines Massengrabs werben.

Inzwischen ist es für einen auf Image-Pflege bedachten Politiker nicht mehr ganz so einfach, sich beim Durchschneiden eines Bandes zur Einweihung eines neuen Autobahnabschnittes fotografieren zu lassen, um schon mit Vorwärtskommen und Fortschritt identifiziert zu werden. Straßenbau als Symbol und Garant für eine bessere Zukunft zu inszenieren war nicht nur eine Spezialität der nationalsozialistischen Propaganda. Auch in der Ideologie der Nachkriegszeit galt die teilweise vorhandene Notwendigkeit des Bauens als Legitimation für jeden weiteren Straßenkilometer, und dessen euphorische Verklärung verstellte die Möglichkeiten einer anderen Verkehrspolitik als der zugunsten des privaten Verkehrs und der Automobil -Industrie. In „Knoten Sonnborn“, einer Dokumentation über ein Autobahnkreuz bei Wuppertal, das Landschaft und Ortsteile zerschnitten hat, thematisieren die beiden Filmemacherinnen Riki Kalbe und Barbara Kasper auch die Kontinuität der Verkehrsplanung seit dem Faschismus.

In die Sprache hat sich bis in die Angst vor dem „Kollaps“ des Verkehrs in den Großstädten - als ob es nicht der Kreislauf des Menschen wäre, der zusammenbricht - ein System anthropomorpher Vergleiche eingeschlichen. Die Straßen werden zu „Lebensadern“ der Stadt, der Verkehr zum „Pulsschlag“, sein Ablauf sorgt für „Lebenskraft“. Diese Sprachbilder, die in keinem der repräsentierten Streifen über den Straßenbau fehlen („Straßen machen Freude“, „Stadtautobahn Nr.1“, „Eine Stadt ist optimistisch“ - so die Filmtitel) lassen den Verkehr als lebendigen Organismus begreifen, dessen Bedürfnisse es um jeden Preis zu befriedigen gilt.

Katrin Bettina Müller

Filmbühne am Steinplatz, bis zum 9.10.: „Verkehrsreiche Tage“, 8.10. um 18 Uhr: „Kraftfahrt tut not“ Wochenschauen, Werbefilme, Kurzdokumentationen über Automobilismus, Stadt- und Verkehrsplanung seit den dreißiger Jahren.