Warum ist die Banane krumm?

■ Besuch auf einer Bananenplantage in Costa Rica

Christian Albrecht

WARUM IST DIE BANANE KRUMM?

Besuch auf einer Bananenplantage in Costa Rica

Schon als kleines Kind stellte ich neugierig die Frage: Warum ist die Banane krumm? Die Antworten der Erwachsenen waren ausweichend, schafften keine Klarheit. Bis zu unserem Besuch auf der Bananera, der Bananenplantage, wußte ich darauf keine Antwort. Ich wußte nicht einmal genau, wie diese krumme, gelbe Frucht, die schon fast selbstverständlich zu meinem deutschen Alltag gehört, angebaut und geerntet wird. Ich ärgerte ich nur sehr oft über den hohen Preis. Ansonsten hafteten Bananen, untermalt von Reklamespots, für mich ein Hauch von romantisch -exotischem Karibik- oder Südseeabenteuer an. Weißer Palmenstrand mit blauem Meer, strahlender Sonne und jede Menge Kurzweil.

Randvoll mit diesen Vorstellungen machen wir uns auf den Weg, um endlich Erkenntnis zu erlangen. Wo ginge dies besser als in Costa Rica, dem Land, das 1878 als erstes Land mit dem Bananenanbau in Zentralamerika begann und das noch heute Bananen im Wert von 170 Millionen US-Dollar ausführt? Wo ginge es besser, als in der Karibikregion dieses Landes, wo 1913, auf dem Höhepunkt der Herrschaft der United Fruit Company, elf Millionen Bananenstauden pro Jahr verschifft wurden, nach dem Rückzug der United Fruit Company, der einer schweren Bananenkrankheit folgte, die Standard Fruit Company als deren Nachfolgerin immerhin noch 2,8 Millionen Stauden pro Jahr exportiert? Deshalb wollen wir 20 Kilometer südlich von Limon (hier landete Columbus auf seiner vierten und letzten Reise) eine Bananenplantage besuchen, um endlich zu erfahren, wie Bananen angebaut und geerntet werden.

Die letzten fünf Kilometer unwegsamer Staubstraße führen schon durch Bananenpflanzungen zur Rechten und zur Linken. Etwa vier Meter hohe Palmen mit sattgrünen, fast haustürgroßen Blattwedeln bestärken, noch unterstützt von der stickigschwülen Hitze, das Klischee vom grünen Dschungel. Die blauen Plastiksäcke, die ordentlich über jede Staude gestülpt sind und die tiefen Bewässerungsgräben, die die Plantage geometrisch zerteilen, stören dieses Bild jedoch ein wenig. Auch die weißen Schaumstoffkeile, die zwischen den Bananen stecken, damit diese nicht aneinander stoßen und braune Flecken bekommen, sind etwas befremdend. Zwischen den Palmen entdecken wir regelmäßig Schneisen, in denen eine Seilbahn läuft, von der Konstruktion her einem Ski-Schlepplift nicht unähnlich. Harmonie und Frieden

Nachdem es über einen Bahnübergang geht, begrüßt uns ein etwa drei mal vier Meter großes Schild: „Willkommen auf der Finca-Filadelfia - In diesem Zentrum der Arbeit herrscht Arbeitsfriede, Respekt und gegenseitiges Verständnis. 100 Arbeiter sind solidarisch. Wir produzieren und exportieren für Qualität in Frieden und Harmonie.“ Na toll! Harmonie und Frieden sind immer gut, besonders, da die Regierung von Costa Rica sich ja rühmt, eine gut und harmonisch funktionierende Demokratie zu besitzen. Etwas, das ich auf dem Schild sehe, gibt mir das Gefühl, einen alten Bekannten zu besuchen. Dort prangt nämlich das rot-gelb-grüne „Del Monte„-Emblem. Die gibt es doch bei uns im Supermarkt um die Ecke. Auf dem Kühlschrank klebt sogar der Sticker, zwischen „Chiquita“, „Dole“, „Onkel Tuca“ und all den anderen.

Nach der nächsten Biegung der Staubpiste erblicken wir eine offene Produktionshalle - in diesen Breiten häufiger anzutreffen und ob des Klimas auch ratsam. Eine Kühl- und Lagerhalle steht direkt daneben. Unter dem Dach sehen wir einige Maschinen und mehrere Menschen, die dort geschäf tig hantieren. Der Vorarbeiter kommt uns entgegen und zeigt sich sehr freundlich. Natürlich könnten wir uns umsehen und auch Fotos machen - kein Problem.

Unter dem Dach herrscht hektische Fließbandatmosphäre, über die der Vorarbeiter von oben herab - es gibt überall erhöhte Laufstege - wacht. Nicht anders sieht es in der Plantage aus, dort, wo der ganze Produktionsvorgang beginnt. Es wird im Akkord gearbeitet. In stickiger Hitze werden die Bananen geerntet. Ein Arbeiter kappt mit einer Machete die Palme, so daß sie einknickt, und mit einem zweiten Hieb hackt er die Staude ab. Diese wird von einem zweiten Arbeiter mit der Schulter, auf der ein kleines Stoffkissen liegt, aufgefangen - circa 30 Kilo von einem halben Meter Höhe. Die Staude wird zur Transportbahn geschleppt und dort an einen Haken gehängt. Sind 24 Stauden zusammen, werden sie hintereinander gekoppelt, und diese gut 700 Kilo werden von einem Arbeiter

-einem! - im Laufschritt durch die Plantage gezogen, bis hin zur Produktionshalle - oft mehr als einen Kilometer weit. Erst dort hilft ihm ein zweiter Arbeiter, die dortige Steigung zu überwinden. Ein Aufseher notiert den Namen des Schleppers und die Anzahl der Stauden. Akkord!

Nun geht alles relativ schnell. Die blauen Plastiksäcke werden zusammen mit den weißen Schaumstoffkeilen entfernt. Dann geschieht etwas, das wir nicht sofort begreifen. Vier ArbeiterInnen fusseln mit den Fingern die schwarzen, krumpeligen Blütenblattreste von den Spitzen der Bananen. Erst beim näheren Hinsehen löst sich das Rätsel. Die Fingerkuppen der rauhen und schartigen Finger dieser ArbeiterInnen sind mit Stoffetzen umwickelt. Sie sind völlig schwarz und klebrig. Logisch! Welcher Deutsche möchte schon beim Einkaufen oder zu Hause klebrige Finger bekommen, wenn er eine leckere Banane essen will. Also ehrlich, so ginge das ja nicht. Fungi- und Pestizide

Im nächsten Schritt zerhacken mehrere ArbeiterInnen die Bananenstauden zu Büscheln, so, wie sie bei uns im Supermarkt dann am Haken hängen - und werfen sie in ein Wasserbecken. Nicht ganz reines Wasser, wie wir erfahren. Ein wenig Fungi- und Pestizide sind schon enthalten, damit nicht nur der Staub abgeht. Der Fäulnispilz soll gar nicht erst auf die Idee kommen, die teure Fracht anzunagen, und es sollen auch keine Horrorspinnen über deutsche Küchentische huschen. „Völlig ungefährlich für Mensch und Umwelt“, meldet sich mein deutscher, in Umweltskandal-Mediendeutsch geschulter Verstand. Das ist beruhigend, denn auf der anderen Seite des Beckens folgt der nächste Streich.

Die Büschel werden mit bloßen Händen aus dem „Bad“ genommen und begutachtet. Der Großteil wandert ins das nächste „Spülbecken“, aber ein nicht gerade geringer Prozentsatz fliegt auf ein Transportband, das die Bananen auf einen bereitstehenden Lastwagen befördert. So geht es den Früchten, die braune Flecken, Risse oder gar das Makel haben, nicht groß genug zu sein. Logisch! Eine „Del Monte“ ist ein Qualitätsprodukt und hat als solches Gardemaß. Wer in Deutschland würde schon eine fleckige oder gar zu kurze Banane für sein teures Geld kaufen wollen? Dieser „Ausschuß“ wandert zu den Schweinen. Logisch!

Die Bananen, die durchkommen, werden aus dem zweiten „Bad“ gefischt - wieder mit bloßen Händen -, zu etwa 42 Libras (amerikanisches Pfund) - soviel kommen später in einen Karton - vorsortiert und ohne Atemschutzmaske mit weiteren Fungiziden besprüht. Wie schon gesagt, völlig ungefährlich für... Danach werden sie genau abgewogen, mit dem „Del -Monte„-Sticker besprüht und schließlich in einen großen Pappkarton gepackt. Deckel drauf und ab ins Kühlhaus.

Von dort per Lastwagen nach Limon, dort auf das Schiff und ab nach Europa, nach Deutschland. Wenn wir uns mit dem Rückflug beeilen, holen wir sie noch ein, und können sie im Supermarkt um die Ecke kaufen.

Zum Abschluß unseres Besuches gibt uns der Vorarbeiter stolz noch ein paar Informationen. Die Bananera ist circa 240 Hektar groß und hat 120 Arbeiter, davon 44 in der Verarbeitungshalle. In der Haupterntezeit ernten und verpacken sie pro Tag etwa 3.500 Kartons, das sind 70 Tonnen Bananen. Nimmt man einen Verbraucherpreis von zwei Mark das Kilo an, so sind dies 140.000 Mark. Nur so einfach geht das ja nicht, das weiß doch jeder. Produktionskosten, Transport, Zwischenhandel und vieles anderes mehr will eingerechnet werden. Krumme Rücken

Die Plantagenarbeiter, die in Costa Rica zu den am besten verdienenden Arbeitern gehören, weil sie es verstanden haben, ihre Interessen gemeinsam durchzusetzen, erzählen uns, daß ihr Lohn, je nach Akkordsatz, um die 140.000 Colones (ca. 350 DM) im Monat liegt. Dies bezieht sich natürlich nur auf die Haupterntezeit. Sie leben fast alle in Häusern, die der Company gehören und kaufen in den Läden der Company ein, denn die anderen sind zu weit weg. So geht das! Klar, es ist soziale Versorgung, aber es ist auch schlau, denn der Lohn fließt so wieder zurück an die Company.

Als wir nach zwei Stunden die Bananera verlassen, sind wir um einen Kindertraum voller Harmonie und Frieden ärmer. Dafür haben wir den bitteren Beigeschmack auf der Zunge, den die Erkenntnis der einem innewohnenden, unwissenden Arroganz mit sich bringt.

Dabei war alles perfekt, fast perfekt, so wie es sich ein an maximalen Produktionsausstoß und geringstmöglichen Kosten -Nutzen-Faktor orientierter Manager nur wünschen kann.

Ich fragte mich jedoch, für wessen Frieden und für wessen Harmonie diese ArbeiterInnen hier solidarisch schuften. Ich wüßte, ich würde mich weiter über den Preis der Bananen ärgern. Allerdings nicht mehr, weil sie mir zu teuer erscheinen Nein! Sie müßten eigentlich viel teurer sein.

Ich weiß jetzt, das Bananen viel mehr kosten, als ich jemals bezahlen kann - mehr als die Menschen, die sie für mich pflücken jemals in ihrem Leben zu sehen bekommen.

Sie kosten „krumme Rücken“. Deshalb ist die Banane krumm.