Mafia und TV-Terror

■ Vom Totenkult morbider Reporterseelen: Das ZDF auf der Suche nach dem „authentischen“ Mord / Fernsehen als PR-Agentur der Mafia

„Das Problem ist“, sagt Mauro Rostagno, „daß ich nicht weiß, ob ich mit diesen Bildern den Widerstand gegen die Mafia wachrüttle oder nur neue Ängste säe.“ Wir hatten uns zufällig wiedergetroffen, im vergangenen Juli, beide gleichermaßen entnervt. Nur kurze Erinnerungen an die gemeinsame Studienzeit, dann der Versuch einer Reflexion auf unser gemeinsames Problem.

Mauro Rastagno hat in Westsizilien eine Therapiegemeinschaft für Drogenabhängige gegründet, die in praktischer Tätigkeit der Mafia „Kunden“ entzieht; gleichzeitig - und das wird ihn zwei Monate später das Leben kosten - führt er über einen Lokalsender einen unermüdlichen Kampf gegen die Kungelei von Politikern mit der Mafia. Was uns beide so verzweifelt macht: Er wurde vom Sender nach Palermo gesandt, um Aufnahmen von den drei Männern zu machen, die am Mittag im Gemüsemarkt an der Viale Francia ermordet wurden; ich komme ebenfalls von dort - nach einem harten Streit mit einem ZDF-Team vom Auslandsjournal, das ich zu Aufnahmen über die Antimafiabewegung begleiten sollte, das aber schon nach wenigen Stunden vor allem auf die gepanzerten Autos der Politiker und Richter und, noch mehr, auf Leichenfilmerei abfuhr. Es war noch vor der Bremer Entführung, und so war mir diese Sensationssuche bei deutschen Fernsehleuten neu; außerdem spürte ich, nach leider unzähligen pflichtgemäßen Reportagen über Tote, eine starke Abneigung gegen das brutale Hineinhalten in die Gesichter dieser verlöschenden Leben. Kurz vor der Bluttat hatten die ZDFler schon eine mit einem Tuch bedeckte Leiche abgefilmt - „leider“ nur ein Infarkttoter: „Ich war schon skeptisch - kein Blut da“, wie der Redakteur das ausdrückte. Die nun „authentischen“ Mordopfer brachten den Mann dann in ein regelrechtes Fieber, er hoffte bereits, „vor unseren italienischen Kollegen dort zu sein“. Es ging, dank eines sensiblen Polizisten, dennoch schief - er verhinderte die Aufnahmen.

Mauro berichtet, daß seine Drogenabhängigen von den Fernsehbildern der Leichen regelrecht terrorisiert werden und viele danach wieder ausrücken, und auch ich bekomme bei meinen Interviews am Tag nach den Morden diesen Eindruck. „Wenn in der Zeitung steht, daß da einer umgebracht wurde“, sagt mir der Portier vom „Archirafi“, „und du kennst ihn nicht, dann ist das, wie wenn im Libanon eine Bombe hochgeht - das berührt einen kaum. Doch wenn die Kamera auf ihn zufährt, die ihn gar umdrehen, du plötzlich seine noch nicht mal geschlossenen Augen siehst - da fängt es plötzlich in dir an: das könnte dein Bruder sein, dein Freund, oder du selbst.“ Seine Frau sagt, sie habe nie Angst vor der Mafia gehabt - bis sie die ersten Fernsehbilder von den zerschossenen Leibern gesehen hat. Die Mörder vom Gemüsemarkt haben die drei Opfer - einen Jungen von 15 Jahren, zwei Männer von 22 - nicht in der Nacht erwartet, nicht in einer dunklen Gasse: sie sind mitten in die menschenvolle Piazza hineingefahren. Ihre Tat ist nicht ein Racheakt - sie ist eine Botschaft: Schaut her, wir morden wo und wann wir wollen. Sozusagen eine Public-relations-Aktion für mafiose Macht, so schlimm das klingt.

„Solange die Mafia vorwiegend im dörflichen Milieu zu Hause war“, sagt Mauro Rastagno, „genügte ein Mord oder eine Gewalttat auf Jahre hinaus, den paar hundert Leuten die Macht des Bosses zu beweisen: jeder kannte das Opfer, wußte, wer die Tat ausgeführt hatte, wer hinter ihr steckte. Wenn die aber heute eine Stadt wie Palermo mit 750.000 Einwohnern terrorisieren wollen, bedeutet irgendein Toter in einem dunklen Winkel nichts, gar nichts. Nur wenn er auch hineingetragen wird in die Gehrinne, wird Terror daraus.“ Es gibt zweifellos eine Art, nicht unbedingt der Komplizenschaft, wohl aber der Symbiose aus TV und Mafia. Die einen brauchen ihre Sensation, die anderen die Verbreitung ihrer Taten. Die Machtergreifung der Mafia geschieht auch über das Fernsehen.

Mauro Rostagno konnte seinen Film über die Wirkung von TV -Bildern nicht vollenden. Er wurde am 26. September ermordet. Und die TV-Anstalten strahlten von ihm genau jene Bilder aus, die er verhindern wollte.

Werner Raith