Der Regen-Marathon

■ Der Sieger: Suleiman Nyambui (Tansania in 2:14,17 über 42,195 Kilometer / 14.546 TeilnehmerInnen

Am Sonntag ließen es sich im Stadtgebiet von West-Berlin 14.546 Lauffanatiker nicht nehmen, 42 km durch Regen und Wind zu rennen. Dazu mußten die Mägen dieser der Homo sapiens zugerechneten Spezies am Vorabend bei einer „Nudel -Party“ rund drei Tonnen Nudeln, 2.500 Liter Soße aus 20.000 Tomaten und 380 kg Hackfleisch verdauen. Aus informierten Kreisen hieß es dazu, daß diese Maßnahme einem Auffülen der Kohlehydratspeicher gedient haben soll.

Die Veranstaltung geht auf einen griechischen Kurier zurück, der 490 v.Chr. seine damalige, 42 km lange Exkursion mit dem Tod krönte. Auch heute noch läßt der eine oder andere gerne bei solchen inzwischen zu Massenveranstaltungen avancierten Eskapaden sein Leben. Beim sogenannten „Marathon“ in Berlin glückte zumindest ein Zusammenbruch.

Ein Senator für Knüppelfragen und Pressefreiheit stellte großzügig 670 Staatsdiener bereit, die sich - grün gekleidet - um den Verkehr kümmern sollten. Sechzig von ihnen durften sogar Motorrad fahren. Morgens um 9 Uhr gab ein stadtbekannter Betonspezialist namens Diepgen mit einer Waffe den Massen ein Zeichen. Ihm wurde dabei von zwei ihm örtlich und geistig nahestehenden Gestalten namens Laurien und von Richthofen (Präsident des Landessportbundes) assistiert.

Daraufhin eilte die nur leichbekleidete, nasse Meute mehrere Stunden hinter einer ausländischen Spitzengruppe her. Unter den Verfolgern war auch der 90jährige Josef Galia, der sich im Vorfeld des Rennens gerne als Relikt aus einem anderen Jahrhundert bezeichnet hatte. Rennarzt Dr. Heepe gab mit dem Hinweis, daß Galia bereits mehrere Jahre über der statistischen Lebenserwartung eines Normalsterblichen liege, zu bedenken, daß „er sich die Freiheit der Mobilität bis ins hohe Alter bewahrt hat“.

Die Läufer waren vom Veranstalter instruiert worden, sich „die Brustwarzen einzufetten und abzukleben, sowie alle Reibflächen einzuschmieren. Indes: Es war ihnen verboten worden, unterwegs die U-Bahn zu benutzen. Unterwegs wurden die inzwischen schwitzenden Gestalten von 42 Musikgruppen unterhalten (u.a. dabei „Axel Knuth mit seinem Detmolder Samba-Team und 12 heißblütigen Samba-Girls“, O-Ton der Chef -Organisator H. Milde).

Mehrere hunderttausend Einheimische sollen die feuchte Gemeinde beklatscht haben. Zu allem Überfluß konnten sich die wenigen Daheimgebliebenen beim morgendlichen Radiokonsum von der Bedeutung des Ereignisses überzeugen: die großen Sendeanstalten brachten mehrstündige Sondersendungen, wie es sie nicht einmal beim letztwöchigen Dahinscheiden eines bekannten, zur Fettleibigkeit neigenden bayerischen Monarchen gegeben hatte. Jagd und Lauf - das ist eben ein Unterschied.

Im Gegensatz zu dem verblichenen Landesfürsten präsentierte sich die siegreiche Truppe in bester Gesundheit. Der 35jährige Lauf-Opa Suleiman Nyambui aus Tansania trotzte Wind, Regen, Kälte und flitzte genau 2:14,17 vor dem Verfolgerfeld her, bis er das Ziel am Kudamm erreichte.

In bester Tradition kam der Grieche Spyros Andriopoulos in 2:12,04 vor dem Äthopier Tulu Mekonen auf der Touristenmeile an. Nur vierter wurde Mitfavorit Bognolaw Psajek (Polen), seine Zeit: 2:12,37. Renata Kokowska lief als erste Frau in 2:29,16 Stunden einen neuen polnischen Rekord. Die Gewinner strichen jeweils 15.000 DM Siegprämie ein.

Joop Springer