Die Enge im Überlandbus

■ Südafrikanische Theatergruppen auf Tournee in NRW

Christof Boy

Der böse Weiße ist eine Kopfgeburt. Er besteht aus Uniform, Springerstiefeln, Gummiknüppel und Schießeisen. Wenn er auftritt, knurrt immer ein scharfer Schäferhund an seiner Seite, und es scheint uns, als würden uns die Augen von den Tränengasgranaten schmerzen, die der böse Weiße gegen unsere schwarzen Brüder schleudert. Rassentrennung in Südafrika, wie sie Auslandskorrespondenten über die Fernsehschirme und Zeitungsseiten vermitteln, sieht zunächst immer wie eine Schwarz-Weiß-Malerei aus und läßt in den Köpfen der Westeuropäer ein Bild entstehen, daß ebenso undifferenziert wie bequem ist. Mord, das ist das tägliche Geschäft der Weißen in Südafrika, dagegen muß sich der engagierte Europäer auflehnen, und anschließend kann er sich zurücklehnen - mit beruhigtem Gewissen. Apartheid darf nur so aussehen, weil wir sie nicht anders kennen.

Auch Theater aus Südafrika muß permanenter Ausnahmenzustand sein: erhobene Fäuste und brennende Polizeistationen möglichst auch auf der Bühne. Um so mehr Erstaunen dann, daß das Theaterstück der Vusisizwe Players nicht direkt auf die politische Situation in Südafrika abhebt. Das Stück You Strike The Woman, You Strike The Rock - zu deutsch etwa „Wenn du eine Frau schlägst, schlägst du einen Felsen“, schildert den Durchhaltewillen schwarzer Frauen, die unter dem erbarmungslosen Druck des Systems hart geworden sind. Die Straßenhändlerinnen müssen sich nicht allein der Schikanen weißer „Ladies“ und knüppelnder Bullen erwehren, sie müssen sich auch gegen schwarze Bosse und keifende Ehemänner durchsetzen. Die Erniedrigungen schwarzer Frauen in Südafrika inszenieren die SchauspielerInnen in einer Szenencollage, die auf jede plakative Dramatisierung der Rassentrennung verzichtet. Gerade der Blick auf die kleinen Dinge des Alltags, das Warten in der Schlange, die Enge im Überlandbus, die Suche nach Arbeit, nachdem die Frauen wochenlang vergeblich an der Post auf das Geld der auswärts arbeitenden Männer gewartet haben, erhellt mehr über die bitteren Zustände in Südafrika als brennende Barrikaden. Und der Schrei einer resignierten Mutter - „Ich habe keine Kinder auf die Welt gebracht, sondern Opfer“ - enthüllt die ganze Widerlichkeit und Brutalität des Apartheidstaates, ohne auch nur eine Schwarzen-Hatz oder einen Polizeihubschrauber zeigen zu müssen, reagieren die SchauspielerInnen verwundert auf die Fragen der Journalisten, die sich von ihnen das Leben in Südafrika als permanenten politischen Kampf bestätigen lassen wollten. Die ausgewählten Theatergruppen aus Südafrika, die sich bis November auf Tournee durch Nordrhein-Westfalen befinden, wollen zwar darstellen, wie das System der Unterdrückung alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durchdringt, doch interessiert sie mehr die Tragik einzelner, auch unpolitischer Personen als die Botschaft der Massenbewegung. Theater in Südafrika habe man sich nicht vorzustellen als Agitprop-Bühne, deren Mitglieder morgens auf die Straße gehen, um zu demonstrieren, in der Kampfpause zu den Proben eilen, um danach Rathäuser anzustecken.

Achim Rohde vom Neuen Deutschen Theaterinstitut, der die Gruppen für das Kultursekretariat Wuppertal nach NRW holte, räumt ein, daß der Begriff „Theater gegen Apartheid“ etwas unglücklich gewählt sei, eigentlich müsse es „Thater in der Apartheid“ heißen, denn alle Gruppen arbeiten in Südafrika und nutzen die begrenzten Möglichkeiten, die die Zenzur ihnen bietet. Als Zentrum freier Theaterarbeit hat sich die Market Theatre Company in Johannesburg herausgebildet. Wie in einem Hutschachtelkino laufen in fünf Theatersälen die Produktionen der südafrikanischen Theatergruppen - ohne staatliche Unterstützung. Fast alle Gruppen, wie auch die in NRW auftretenden Mamu Players und Vusisizwe Players, haben sich irgendwann vom Market Theatre abgespalten.

Hier hat sich eine schwarze Theaterkultur entwickelt, deren faszinierende Unterschiede zu westeuropäischen Formen des Theaters jetzt zum ersten Mal zu sehen sind. Die deutlichsten politischen Züge trägt das Stück Township Boy von den Mamu Players. In einem Distrikt von Soweto erleben wir die Beerdigungsfeier von „Comrade“ Shephard. Der junge Dichter starb bei einer Schießerei während einer anderen Beerdigung: ein zynischer Angriff der mobilen Einsatztrupps auf die letzte Würde, die den Schwarzen noch gebliegen ist - die feierliche Beerdigungszeremonie. In Rückblenden entsteht in szenischer Folge das Leben Shephards - eine blutige Spur erschossener und gequälter Freunde nach sich ziehend. Obwohl dieses Stück das Leiden in dem Township ungeschminkt nachzeichnet, trägt auch hier die Musik dazu bei, die Schmerzen erträglicher zu machen. Rhythmus und Tanz lassen einen Moment lang vergessen, daß jedes Lächeln auch Bitterkeit enthält, die die Stimmung im Nu umschwingen läßt von Hoffnung in Verzweiflung.

Es ist aber nicht eine Verzweiflung, die lähmt, denn die Produktitivität der südafrikanischen Theatergruppen ist trotz - oder gerade wegen - der Zensurbehörden ungebrochen. Auch das mag überraschen. Die AutorInnen und SchauspielerInnen arbeiten nicht mit der Schere im Kopf auf ein Stück zu, das moderat und vorsichtig angelegt ist, um die Zensur passieren zu können. Die Textvorlagen sind ohne jeden Kompromiß gefertigt und werden ohne Rücksicht auf den doch nicht einzuschätzenden Geschmack der Behörden einstudiert. Falls eine solche Inszenierung der Zensur zum Opfer fallen sollte, gibt es keine lange Diskussionen mit dem Zensor, hier und da vielleicht noch etwas abzuändern, damit es noch gerettet werden könnte. Jegliche Zensur nehmen die Schwarzen ohne Kommentar hin, denn es liegt immer schon ein neues Stück bereit, das statt dessen aufgeführt wird. Schließlich bleibt ja noch die Hoffnung, daß die Beamten nicht nachkommen mit der Kontrolle und vieles gar nicht sehen oder lesen, was sie verbieten könnten. Warum sollten sich die Künstler da schon vorher Gedanken machen?

Nach der Tournee des Market Theatre im September sind jetzt die Mamu Players unterwegs: Am 12.10. in der Studiobühne Köln, am 13.10. im Kulturamt Marl, am 14. und 15.10. im Fletch Bizzel Dortmund. Im November kommen dann die Vusisizwe Players: Am 11. und 12.11. ins Fletch Bizzel Dortmund, am 14.11. in die Studiobühne Köln, am 17. und 18.11. ins JuTA Düsseldorf. am 24.11. ins Kulturamt Marl, am 15.11. ins Kulturamt Unna, am 26.11. ins Kulturamt Hagen, am 27.11. nach Bochum-Langendreer.