Molukken-Freistaat in Holland am Ende?

37 Jahre nach der „vorübergehenden“ Kasernierung Tausender Molukker-Familien sollen die Baracken Mitte Oktober abgerissen werden / Die drohende Räumung und die erzwungene Umsiedlung bedeuten für die 280 letzten unter freistaatähnlichen Bedingungen lebenden Südmolukker das Ende ihres Kampfes um Rehabilitierung  ■  Von Henk Raijer

„Wir leben seit unserer Ankunft in Ihrem Land, seit 1951, alle unter einem Dach, mein Mann und ich, die Kinder und heute unsere Enkelkinder. Und Sie wollen uns jetzt in ein Reihenhaus umsiedeln?“ Die alte Indonesierin blickt Richter Dekker vom Landgericht Den Bosch vorwurfsvoll an. Der mimt Verständnis und prüft mit seinen Begleitern weiterhin die Bausubstanz.

Ortstermin im niederländischen Vught. Hollands letztes Molukker-Reservat, das Lager Lunetten, soll geräumt werden. 37 Jahre nach der „vorübergehenden“ Kasernierung Tausender Molukker-Familien wurden die Baracken, die einst der nationalsozialistischen Besatzungsmacht als Durchgangs-KZ auf dem Weg in die Gaskammern dienten, jetzt plötzlich als menschenunwürdig deklariert und sollen bis Mitte Oktober geräumt und abgerissen werden. 142 Sozialwohnungen im Vughter Neubaugebiet wurden angeblich speziell für die 280 letzten unter freistaatähnlichen Bedingungen lebenden Südmolukker fertiggestellt. Sie bilden eine Minderheit unter den mittlerweile 40.000, die heute in den Niederlanden leben und sich zumindest formal integriert haben. Die drohende Räumung und die erzwungene Umsiedlung ins propere Reihenhaus bedeuten für die letzten Aufrechten die endgültige Verabschiedung von der Vorstellung, daß sie nur vorübergehend im kalten Holland seien.

Verrat an den Vätern

Vor allem die Generation der Kinder der ehemaligen Immigranten denkt nicht daran, das Gelände zu verlassen. Der Verbleib im Lager und die Weigerung, den rosaroten Staatenlosen-Ausweis gegen einen niederländischen einzutauschen, dokumentiert den nie abgebrochenen Kampf gegen den „Verrat“ der niederländischen Regierung an ihren Vätern. Die 13.500 Südmolukker, die 1951 niederländischen Boden betraten, waren zu Opfern eines Kolonialkrieges geworden, den die niederländische Regierung von 1945-49 mit ihrer Hilfe gegen die junge Republik Indonesien führte. Im Guerilla-Krieg gegen ihre javanischen Landsleute zeichneten sich die 4.000 zu Anfang „Ambonesen“ genannten südmolukkischen Soldaten der „Königlich Niederländisch -Indischen Armee“ besonders aus. Kein Wunder, daß sie nach dem Waffenstillstand Angst hatten, die indonesische Staatsbürgerschaft anzunehmen oder gar den Militärdienst zu quittieren, um ins inzwischen von Sukarnos Truppen besetzte Ambon heimzukehren. Sie forderten von der niederländischen Regierung die Unterstützung einer neuzugründenden unabhängigen Republik der Südmolukken, zunächst aber die Übernahme in die reguläre niederländische Armee. Bis zum Gerichtsentscheid im fernen Holland schiffte die Armee die demissionierten Militärs kurzerhand ein, kleidete sie in Uniformen der niederländischen Armee und entließ sie kurz vor der Ankunft in Rotterdam aus dem aktiven Dienst, ohne Aussicht auf eine Pension, ohne Aussicht auf eine Rückkehr in die Heimat.

Was damals eine zwar politisch delikate, aber bequeme Lösung war, ist der Regierung nicht erst seit heute ein Dorn im Auge. Jedoch nicht wegen der angeblich unzumutbaren Lebensbedingungen im Lager. Beide Seiten versuchen ihr Gesicht zu wahren. Nachdem das Ziel einer eigenen Republik aufgrund des politischen Status quo im südostasiatischen Archipel in weite Ferne gerückt ist, konzentriert man sich auf die Einforderung angestammter Rechte als ehemalige Staatsdiener. Grundlage einer Vielzahl von Prozessen, die die Molukker gegen den Staat führen, bildet die Sorgepflicht der Regierung gegenüber den Dienern seiner ehemaligen Kolonialarmee. Die Gruppe um Lagerbewohner Frans Wenno ist der Meinung, daß die Sorgepflicht bis in die siebte Generation bestehen bleibt. Soldat Nasarani geht nach all den Jahren nach wie vor in Uniform durch das Lager Lunetten

-um zu zeigen, daß er die Entlassung aus der niederländischen Armee nicht anerkennt.

Er wartet nach eigenen Aussagen auf einen Dienstbefehl, das Lager zu verlassen. Die Regierung ihrerseits erhofft sich von der Umsiedlung auch der letzten Molukker ein Ende der Prozesse um Rehabilitierung und Pensionsberechtigung. Sie möchte aus den Südmolukkern ordentliche Staatsbürger machen.

Staat im Staate

Die älteren Menschen haben Angst; Angst vor der Trennung von ihren Kindern und Enkelkindern, Angst vor einer Eskalation, ähnlich wie bei den Besetzungen, Geiselnahmen und Zugentführungen der siebziger Jahre. Ihr Kampfeswille ist ermattet: Drei Jahre verbrachten sie in japanischen Kriegsgefangenenlagern, und vier Jahre lang hielten sie nach dem Zweiten Weltkrieg erneut ihren Kopf hin für die Interessen ihres Kolonisators, um letztlich im Mutterland nochmals kaserniert zu werden. Einige von ihnen sehen das Lager Lunetten gerne als letzten molukkischen „Kampong“, in dem die Bewohner, bedingt durch die gemeinsamen Jahre freiwilligen Exils, nach traditionellem Muster der gegenseitigen Hilfe leben. Das Einwirken des Versorgungsstaates hat diese Strukturen aber weitestgehend aufgehoben. Lunetten konnte all die Jahre nur durch die stetig fließenden Sozialhilfegelder existieren. Arbeitslosigkeit, Drogenabhängigkeit und die Vernachlässigung der Alten sind die Symptome, die der „Freistaat“ Lunetten mit der sie umgebenden Gesellschaft gemeinsam hat. Das einzige, das die Alten bei der Stange hält, ist die Nähe ihrer Familien. Die Kinder - 56 von ihnen sind unter zehn, 35 zwischen zehn und 20 Jahren - haben kaum Berührung mit Niederländern. Fast alle besuchen sie die „Ambonesen-Schule“, sprechen in manchen Fällen auch nach vielen Jahren nur gebrochenes Niederländisch.

Die Stimmung im Lager ist angespannt: In erster Instanz hatte ein Verwaltungsgericht entschieden, daß der Staat gar nicht räumen lassen kann, weil es eine Beziehung von Vermieter und Mieter im Sinne des bürgerlichen Rechts gar nicht gibt. Das verantwortliche Ministerium hat jetzt plötzlich große Eile. Die 142 Sozialwohnungen sind bezugsfertig. Wenn die vorgesehenen Mieter im Oktober nicht einziehen, wird der Wohnungsbauverein nicht lange zaudern, die Häuser anderweitig zu vergeben. Der soziale Druck in Vught ist bereits jetzt sehr groß. „Die Einheimischen sind ohnehin frustriert, daß die neuen Wohnungen ohne Auflagen den Molukkern zur Verfügung gestellt werden und sie selbst keine bekommen“, sagt ein Gemeinderatssprecher.