Schwule am Arbeitsplatz

■ Ein Kirchenmann, ein Personalsachbearbeiter, ein Lehrer, ein Arbeiter, ein Soldat, zwei Schüler - dürfen die Kollegen an ihrem Arbeitsplatz wissen, daß sie schwul sind? / Ein Gespräch im Rat&Tat-Zentrum

Uli: Bis 1980 habe ich in Minden in einer Einrichtung des Diakonischen Werkes als Psychologe gearbeitet. Während dieser Zeit habe ich nicht offen schwul gelebt. Eines Tages wurde ich aufgefordert, zu meinem Chef zu kommen, der hat gesagt: Ich habe erfahren, daß Sie homosexuelle Beziehungen haben, Sie sind fristlos entlassen.

Sozialarbeiter

Ich habe gegen diesen Rauswurf geklagt und bin bis zum Bundesarbeitsgericht gegangen - und habe immer gewonnen, aber nur auf Grund eines Formfehlers meines Arbeitgebers: er hatte mich nicht abgemahnt. Sonst hätte ich den Prozeß nicht gewonnen. Bei der evangelischen Kirche gibt es keine eindeutige Klausel, nach der Homosexuelle nicht bei einer kirchlichen Einrichtung beschäf

tigt werden dürfen. Deswegen haben die immer wieder Berufung eingelegt. Wenn ich den Arbeitsplatz hätte behalten wollen, hätte ich sagen müssen: Nein, ich tue es nie wieder. Da habe ich lieber die Abfindung genommen.

Hier in Bremen arbeite ich jetzt im Rat-und-Tat-Zentrum. Da gehört meine Homosexualität mit zur Arbeit, das war für mich unheimlich wichtig, seither fühle ich mich sicher.

Personalsachbearbeiter

Wolfgang : Ich bin Personalsachbearbeiter im öffentlichen Dienst

Dürfen wir den Namen Wolfgang nennen?

Ja. Von Diskriminierung merke ich bis jetzt nichts. Bis vor zweieinhalb Jahren habe ich mit meiner Frau und den beiden Kindern gelebt. Im Kollegenkreis habe ich hin und wieder bemerkt, daß die

Neugierde nicht so ganz befriedigt werden konnte, warum ich mich denn getrennt hatte von meiner Familie. Am Anfang hatte ich Angst, daß das rauskäme. Diese Ängste. Seit anderthalb Jahren wissen es auch meine Kinder.

Drucker

Jürgen: Ich arbeite in einer Druckerei im Bremer Umland. Ich habe einmal eine Diskussion mit dem Meister gehabt, über Rauschgift und anderes, und da hat er gesagt, Schwule seien Asoziale, Menschen zweiter Wahl.

Er weiß das nicht...

Nein. Wenn da einer erfährt, daß ich schwul bin, dann fliege ich sofort. Hier im Rat und Tat habe ich gelernt, mich zumindestens zu trauen, wenn wir beide in die Stadt gehen, ihn in den Arm zu nehmen.

Lehrer I

Heinrich: Ich bin Lehrer. Wir haben eine gewerkschaftliche GEW-Arbeitsgruppe, Schwule und Lesben, und jahrelange Debatten mit der Behörde, speziell mit dem Landesschulrat Eisenhauer. Der war sehr aufgeschlossen und hat uns sehr unterstützt. Es ging um die Frage, was wir uns erlauben können, wann wir belangt werden. Die haben uns zuerst zurückgeschrieben, wenn das „Werben“ provokativen Charakter hätte, würde das dienstrechtlich geahndet werden müssen. Wir haben gesagt: Das wollen wir genauer wissen, was heißt „werben“. Genaues haben wir nicht erfahren.

Auch gegenüber Schülern ist es überhaupt kein Problem, zu erklären, daß wir homosexuell sind.

Wie reagieren die Schüler darauf?

Es gibt Situationen, wo das bekannt wird, und ich habe da nur positive Erfahrungen gemacht. Ich arbeite allerdings an einem Sek-2-Zentrum, die Schüler sind 18-20 Jahre alt. Aber mir ist nicht bekannt, daß andere schwule Lehrer mit Schülern Schwierigkeiten gehabt haben.

Lehrer II

John: Mein Fall ist ein bißchen anders, ich arbeite an einer amerikanischen Schule. Man darf schwul

sein, aber man darf es natürlich nicht ausüben. Niemand hat mich bisher gefragt, ob ich schwul bin, obwohl ich davon ausgehe, daß sie es wissen. Aber wenn ich mal mit einer Frau auftauche, warum auch immer, aus Jux, dann gibt es Getuschel. Dann gibt es Spekulationen darüber, ob ich vielleicht nicht schwul bin. Schüler I

Matthias: Ich gehe noch zur Schule, 12. Klasse. Meine Klasse weiß, daß ich schwul bin. Ich stehe auch dazu. Das ist in Bremen so. Aber ich komme aus Verden, und als da mein privater Freundeskreis erfahren hat, daß ich schwul bin, haben sie sich ganz, ganz langsam von mir abgewandt. Obwohl nie richtig darüber gesprochen wurde.

Und die Lehrer?

Lehrer sind ein anderes Problem. Wir haben teilweise Lehrer, die sind etwas älter. Da habe ich Angst davor, daß die mich im Unterricht aufziehen könnten.

Aber die haben es noch nie gemacht?!

Nee.

Dann würde ich auch keine Angst davor haben. Schüler II

Olaf: Ich bin auch Schüler, 17 Jahre jetzt, und ich gehe in die 11. Klasse. Bei mir war Schwulsein nie ein Thema, das habe ich verdrängt. Da ich nie ein Typ gewesen bin, der sich gern geprügelt hat, und überhaupt nicht das Verhalten hatte, das andere Jungs hatten, bekam ich irgendwann den Ruf weg, daß ich schwul sei. Obwohl sie keine Anzeichen hatten, von mir aus. Und dann habe ich gesagt: Angriff ist die beste Verteidigung, und habe mich immer als Schwuler ausgegeben. Das haben die meisten nie für voll genommen, haben gesacht, der macht einen Scherz, und so hatte ich Ruhe in den letzten Jahren.

Bei Jungens oder bei Mädchen?

Bei allen. Bewußt schwul bin ich seit dem 28. Februar. Da bin ich in die Jugendgruppe vom Rat&Tat-Zentrum gekommen. Das war mein erster Schritt, auch meine Homosexualität selbst bewußt zu akzeptieren. Ich habe es vorher verdrängt.

Den Ruf, schwul zu sein, hatte ich in der Schule auch, weil ich immer gegen das Wort schwul gekämpft habe, wenn es als was Negatives benutzt wurde. Irgendwie habe ich was dagegengehalten. Ich hatte das Gefühl: Schwul, das ist so ein Wort, das sagt man nicht. Das ist etwas Verletzendes. Und das hat es in Hetero-Kreisen ja auch.

Das erste Mal habe ich von Schwulen erfahren in der Schülerzeitung, die hatten mal einen Bericht über die Jugendgruppe hier gemacht. Das war vor drei Jahren. Den Zettel habe ich drei Jahre lang aufbewahrt, und dann erst habe ich hier angerufen...

Und die Telefonnummer stimmte noch?

Ja. Sozialarbeiter (im Knast?)

Wolfgang: Ich bin Sozialarbeiter. Ich habe meinen Berufsstart mit einem Rausschmiß begonnen, wegen homosexueller Handlungen mit Minderjährigen. Das ist aber eingestellt worden nach einem Jahr. Das hatte aber zunächst dazu geführt, daß man mich rausgeschmissen hatte. Zwischendurch habe ich bei einem freien Träger gearbeitet, da war das relativ unproblematisch. Ich bin zwar nicht damit hausieren gegangen, habe aber auf konkrete Fragen auch konkrete Antworten gegeben. Dann habe ich hier in Bremen angefangen, vor acht Jahren, auch hier bin ich zwischendurch auf einmal gekündigt worden, das ist aber nicht zum Vollzug gekommen. Man hat mir vorgeworfen, daß ich jemanden, mit dem ich vorher einmal dienstlich zu tun hatte, gefragt hatte, ob er mit mir eine Beziehung haben wollte. Das ist auf Umwegen an die Dienststelle gekommen, daraufhin ist ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden. Beim Verwaltungsgericht ist das nicht zu Ende geführt worden. Ich bin das innerhalb der Anstalt sehr offensiv angegangen und habe dadurch eine große Publizität erfahren. Ich arbeite in einer relativ kleinen Abteilung.

Gibt es von seiten der Häftlinge irgendwelche Proleme?

Nein, überhaupt nicht. Es gibt sogar Gesprächssituationen, in denen ich es hilfreich finde, ein paar

Sachen aus meinen Erfahrungen zu erzählen. Hin und wieder kommt es vor, daß ich dann sage, also ich bin schwul und so weiter. Gerade in Gesprächen über Diskriminierung. Da höre ich oft: Ja das wissen wir schon. Aber ansonsten ist das kein Thema. Stahlarbeiter

Johann: Ich arbeite bei Klöckner, seit vier Jahren. In letzter Zeit wissen es wahrscheinlich alle da, wo ich arbeite, aber nicht offiziell. Es wird nie erwähnt, daß ich schwul bin. Das einzige, was man über Schwule dort hört, das sind diese schmutzigen Witze, wo ich mich allerdings auch nicht traue, einzugreifen oder was zu sagen. Ich lache einfach nicht. Mir gegenüber ist ein wenig frostige Stimmung, aber das liegt auch an den Interessen. Auto, Fußball, Haus, Familie, in dieser Reihenfolge auch, das ist nicht das, was mich interessiert. Soldat

Walter: Ich arbeite bei der Bundeswehr. Dort kann ich meine Homosexualität nicht offen leben. Ich weiß, was das für Konsequenzen haben könnte und versuche es deswegen auch nicht.

Was für Konsequenzen?

In der Bundeswehr wird Homosexualität immer noch als abartige Neigung bezeichnet, ganz offiziell. Das wird mit mit der militärischen Sicherheit erklärt.

Wenn Sie in eine Führungsposition wollten, müßten Sie sich irgendwie decouvrieren?

Ich bin in einer Führungsposition. Aber zu dem Zeitpunkt, wo ich da reingekommen bin, war ich mir selbst über meine Homosexualität nich nicht bewußt. Bei einem anstehenden Postenwechsel ist das ganze auch mit einer neuen Überprüfung verbunden. Und es kann sein, daß ich mich in diesem Zusammenhang erklären muß.

P.S.: Kirchenmann

Überhaupt nicht, auch nicht verschlüsselt, sollten wir wiedergeben, was der Theologe berichtete. Er bat, jede einigermaßen konkrete Wiedergabe seiner Beschreibung des Tabus seiner Existenz zu vermeiden, weil das ihn bzw. Kollegen gefährden könnte.

Zwischenfragen: K.St.