HAITIAN CORNER

■ „New York ist nicht Haiti“, ZDF, heute um 22.40 Uhr

Der haitianische Dichter Joseph lebt seit sieben Jahren im New Yorker Exil, als er plötzlich seiner Vergangenheit in Gestalt seines Folterers wiederbegegnet und der Wunsch nach Rache sein Leben traumatisiert. Der in Berlin lebende Regisseur Raoul Peck drehte keinen Actionfilm über den vereinsamenden Rächer, vielmehr eine präzise und sogar komische Studie des Exils. Beim 1.Festival des karibischen Films dieses Jahres in Martinique wurde Haitian Corner mit dem 1.Preis ausgezeichnet.

taz: Warum zieht sich die erinnerte Folterszene so schmerzhaft in die Länge?

Raoul Peck: Folter, überhaupt Gewalt darzustellen ist sehr schwierig, weil man an die Bilder gewöhnt ist. Es ging mir nicht vorrangig um physische Gewalt, sondern um die Demütigung, um diesen langsamen Prozeß der Zerbrechung, in dem man sein Gesicht verliert und völlig infantil wird.

Ist der Film eine persönliche Vergangenheitsbewältigung?

Nein, insofern nicht. Es sind höchstens ähnliche Gefühle von mir. Die Geschichte von Joseph ist mir öfters begegnet: daß Gefolterte ihre ehemaligen Folterknechte wiedertreffen. Nur, das Erlebnis des Gefoltertwerdens verfolgt ihn sowieso.

Die Männer in Deinem Film sind sympathischerweise alle keine Helden.

Um die Substanz zu transportieren, brauche ich keinen Helden, aber eine Figur, die glaubwürdig ist. Ich brauche eine Geschichte. Wir sind bei den Proben an ziemlich extreme Situationen gekommen. Ich wollte an den Kern dieser Personen rankommen, dazu gehört eine gewisse Ehrlichkeit, in der die Macho-Ebene sehr schnell zerbröckelt.

Dein New York sieht aus wie ein Kiez ...

Ich wollte keinen New-York-Film machen, es ist sehr verführerisch und leicht, dort gute Bilder zu drehen. Es ist eine sonderbare, subjektive Perspektive auf N.Y., ohne Kanäle zu anderen. Die Suche nach der Straße am Broadway hätte auch woanders sein können, es ging um die Suche überhaupt. Diese Leute aus Haiti haben ihre ganze Welt mitgebracht, sie sind sehr schwierig zu integrieren.

Warum?

Das liegt daran, daß die Haitianer eine reiche Geschichte haben und sehr stolz sind. Man muß schon zu ihnen kommen. Viele glauben, ihr Aufenthalt im Exil sei nur ein kurzer, selbst wenn er schon 20 Jahre dauert.

Wie lange bist Du schon in Berlin?

Lange genug. Für mich ist es etwas anderes, weil ich sehr früh von Haiti weg bin. Egal wo ich war, ich hatte immer Kontakt mit der haitianischen Bevölkerung. N.Y. ist so ein Drehpunkt, man tankt sich dort mit Informationen auf, sogar mit Lebensmitteln. Die Buchhandlung „Haitian Corner“ war solch ein typischer Ort, an dem man sich versorgt hat mit Wörterbüchern, Zeitschriften, Platten, Getränken, wo man Neuigkeiten, die letzten Gerüchte austauscht, wo man auch Nachrichten hinterlassen kann. Das ist wie ein Marktplatz.

Diese Buchhandlung gibt's wirklich?

Die gab es, bis wir gedreht haben, eine Woche danach starb ihr Besitzer, und sie wurde dichtgemacht.

Du konntest Deinen Film jetzt auch in eine Sondervorführung in Haiti zeigen. Wie war die Resonanz?

Gut, es wurde sogar gelacht. Viele Leute haben sich wiedererkannt in den Erinnerungen und Situationen. Angst war auch dabei, die Spannung lag in der Luft, man mußte befürchten, daß etwas von hinten passiert, ein Kinobrand, ein Mord. Jetzt haben sie großes Interesse daran, meinen Film offiziell vorzuführen. Seit ich an dem Film gearbeitet habe, änderte sich die Lage alle zwei oder drei Monate. Jetzt bin ich optimistisch, diese Entwicklung, ausgehend von einfachen Soldaten, ist keine linke Revolution, aber auf jeden Fall eine Bewegung. Man hat über 57 Offiziere abgesetzt, man wird den Schuldigen Prozesse machen, die Tonton Macoute entwaffnen, Wahlen. Man muß sehen, wie die Strukturen geändert werden können und wie man's institutionalisieren kann. Ich habe keine Illusionen, es kann sich stabilisieren oder nach hinten losgehn.

Interview: Vogel