Draußen vor der Türe

Türspione - millimeterkleine, kreisrunde Löcher im verzierten Holz oder sauber verschalten Stahlfutter von Eingangstüren zu privaten Wohneinheiten ermöglichen den geschützten, persönlichen Blick nach draußen. Die altmodischen Gucklöcher mit dem faschistoiden Foucher -Brandmal, einfach verglast oder mit Weitwinkelobjektiv ausgestattet, werden mehr und mehr von elektronischen Überwachungsmedien verdrängt. Inge Schneider (67), Rentnerin, verheiratet, ist aufgewachsen mit den unterschiedlichsten Formen traditioneller Türspione. In einem Gespräch mit der taz berichtet sie über ihre Erfahrungen.

Inge Schneider: Die drüben, die gucken ja noch so wie wir früher, in unserer ersten Wohnung nach dem Krieg.

taz: Wie meinen Sie das jetzt, Frau Schneider?

Warn Se noch nie drüben?

Natürlich, Frau Schneider. Ich bin als Berlinerin häufig in der DDR.

Ham Se da noch Verwandte oder Bekannte, nich‘, und da ham Se noch nie jekuckt, na vielleicht sind Sie noch zu jung, aber so jung sind Sie doch auch nicht mehr, nich‘ wahr, da müssen Sie sich doch noch erinnern, wie man früher immer gucken gegangen ist, oder ham Se nie jekuckt?

Doch, doch, als Kind habe ich auch schon mal geguckt, immer, wenn meine Mutter nicht zu Hause war und es geklingelt hatte. Da mußte ich erst gucken, und meistens hatte ich die Anordnung, die Tür nicht zu öffnen.

Naja, genauso ist es drüben heute noch, die kieken noch ganz genauso.

Sie meinen jetzt, Frau Schneider, daß es in der DDR immer noch eine große Zahl von alleinerziehenden Müttern gibt, die ihre Kinder während der Arbeitszeit unbetreut in der Wohnung zurücklassen müssen und ihnen deshalb die alten Techniken beibringen, wie sie Fremde rechtzeitig erkennen oder sich vor unliebsamen Besuchern schützen können?

Quatsch, ich meine das Gucken, Sie haben mir doch gesagt, daß wir uns heute darüber ein bißchen unterhalten wollen und daß ich erzählen soll, wie es damals so war, und es war genau so, wie es heute drüben noch immer ist, also aufstehen, den ganzen Flur lang und dann das kleine runde Metallteil leise zur Seite schieben, damit die draußen das nicht merken, und das Auge dranlegen und rausgucken und warten, ob man was sieht.

Und was sehen Sie dann?

Das kann man doch vorher nicht wissen, dafür guckt man ja.

Aber manchmal haben Sie doch sicher auch hinausgesehen, um etwas Bestimmtes zu sehen.

Naja, klar. Wenn der Mann von der Stenzeln wieder besoffen nach Hause gekommen ist oder wenn die nebenan ihren Cockerspaniel runtergebracht haben oder wenn die Susi von oben ihren Freund nachmittags in die Wohnung mitgenommen hat, aber dazu mußte ich eigentlich nicht gucken, da weiß man sowieso meist Bescheid, wenn es wieder soweit ist, oder kennt die Menschen am Schritt oder macht einfach die Türe auf, wenn man mehr wissen will; da kann man ja auch drüber reden.

Wozu haben Sie dann ihr Guckloch in der Eingangstür benutzt?

Na, um zu gucken, abzuwarten, was noch so kommt, was man eben noch nicht so kennt wie der Stenzeln ihren versoffenen Alten, kann ja immer einer kommen.

Ist denn manchmal einer gekommen, den Sie noch nicht kannten?

Selten. Zum Glück. Das ist doch meistens unangenehm, wenn so wildfremde Menschen im Hausflur sind, wer weiß denn schon, was die immer im Schilde führen, da isses dann schon besser, der Flur bleibt ruhig, und wir haben ja jetzt auch seit ein paar Jahren so eine automatische Sprechanlage mit Türdrücker, daß da nicht jeder rein kann.

Benutzen Sie eigentlich Ihren Türspion jetzt noch?

In letzter Zeit nicht mehr so oft, das wird mir langsam zu schwer, immer zur Tür zu rennen. Aber manchmal, wenn dann doch einer unten durch die Eingangstür geschlüpft ist, ohne zu klingeln, so ein Zettelverteiler oder die von Jehova, wenn die dann bei mir oben klingeln, da guck‘ ich dann schon erst mal durch. Und jetzt haben wir auch so eine Anlage, daß die von außen gar nichts mehr merken, und ich kann den ganzen Platz vor der Tür übersehen, rechts und links in der Tür, die Augen hat mein Mann selbst einbauen lassen.

Wenn man früher vergessen hatte, das Abdeckplättchen nach dem Rausgucken zurückzuschieben, konnte man auch von außen in die Wohnungen hineinsehen.

In unserer ersten Wohnung nach dem Krieg hatten wir da nicht mal Glas drin, es gab ja nichts, aber das haben wir dann zugenagelt, weil das ja auch so zog, und als wir dann umgezogen waren, hatten wir nicht nur ein Loch zum Gucken, sondern gleich zwei auf jeder Seite von der Tür, und die hatten unsere Vorgänger mit Farbe zugemalt, da war noch Glas drin. Da hat mein Mann sich gleich drum gekümmert und hat neue Gläser einsetzen lassen mit Messingplättchen davor, die habe ich immer freitags geputzt, mit Sidol, und blankgerieben, und das sah zum Wochenende immer sehr schön aus.

Benutzt man eigentlich beide Gucklöcher in der Tür, wenn man sie hat?

Natürlich. Wenn da zum Beispiel einer die Treppe raufkommt und man rechtzeitig guckt, dann kann man den noch ganz kurz fast ganz sehen, und dann kommt er ganz schnell immer näher, und meistens kann man dann nur noch ein Stück, von der Schulter zum Beispiel, sehen, die sieht dann ganz groß aus, ganz unnatürlich, da kann man manchmal einen Schreck kriegen, aber später hat man sich meist daran gewöhnt, daß das nicht so aussieht wie in Wirklichkeit, und dann würde man schon nichts mehr sehen können, mit einem Guckloch. Aber wenn der jetzt zum Beispiel beim rechten Nachbarn klingelt und man stellt sich auch vor das rechte Guckloch, dann kann man den noch gut sehen, wie der klingelt oder was durch den Briefschlitz wirft. Da sieht man meist nur noch, wie der sich bückt, und hört, wie der Briefschlitz klappert, und wenn er wieder hochkommt, hat man wieder das gleiche Stück von ihm plötzlich im Auge.

Mit ihrer neuen Anlage können Sie jetzt gewissermaßen in die Runde blicken.

Ja, bis in den toten Winkel, aber ich benutz‘ die Anlage ja kaum noch, ich muß die auch nicht putzen, da geh ich eigentlich kaum ran. Mein Enkel hat überhaupt kein Guckloch in der Tür, der hat einen kleinen Fernseher an der Tür, da sieht man dann immer gleich, wer da draußen vor der Tür steht, und hört, was die sagen, wenn sie geklingelt haben, aber zu uns kommen ja auch nicht mehr so viele, und die Menschen im Haus kennt man ja auch kaum noch.

Interview: reg