„Von den Linken in Westeuropa allein gelassen“

■ Interview mit der Theaterregisseurin Freya Klier über ihr neues Buch „Abreißkalender“

Birgit Meding

In die Schlagzeilen kamen Freya Klier und Stephan Krawczyk vor allem nach den Ereignissen am 17.Januar, als bei der offiziellen Gedenkdemonstration für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht Mitglieder von Oppositionsgruppen und Ausreisewillige für die „Freiheit der Andersdenkenden“ demonstrierten. Bei dieser Gelegenheit wurden neben dem Künstlerpaar auch andere namhafte Vertreter von Oppositionsgruppen verhaftet und unter dem Vorwurf der „landesverräterischen Beziehungen“ in den Westen abgeschoben. In der Haft unterschrieben Klier und Krawczyk einen Antrag auf Entlassung aus der DDR-Staatsbürgerschaft. Seither leben sie in Berlin-Kreuzberg als freiberufliche Künstler.

Freya Klier wurde 1950 in Dresden geboren, studierte am Ostberliner Institut für Schauspielregie und arbeitete dann an verschiedenen Theatern in der DDR. 1984 erhielt sie einen Preis für hervorragende Regiearbeit, ein Jahr später bekam sie Berufsverbot. Zusammen mit ihrem Ehemann Stephan Krawczyk aber machte sie weiterhin Theater, ihre gesellschaftskritischen Stücke führten sie jetzt in Kirchen auf. (d. Red.)

taz: Jetzt ist Dein erstes Buch im Westen erschienen, ein Tagebuch über die letzten Jahre in Ost-Berlin und über Euern wenig erfreulicher Rausschmiß. War das für Dich eine Art Vergangenheitsbewältigung?

Freya Klier: Nein, es war eher eine Auseinandersetzung mit der Gegenwart, zumal ich das Tagebuch ja schon in der DDR angefangen habe. Ich wollte versuchen, gesellschaftliche Prozesse anhand persönlicher Erlebnisse darzustellen. Ich habe relativ willkürlich angefangen mit meinem Eintritt in die Friedensbewegung 1981. In erster Linie ist es für mich auch ein politisches Tagebuch. Darin findet sich wenig Persönliches, weil ich dies der Öffentlichkeit nicht preisgeben möchte. Daß ich das Tagebuch hier im Westen noch einmal rekonstruiert habe, viele Notizen waren ja bei den Hausdurchsuchungen beschlagnahmt worden, hat damit zu tun, daß ich mich gefragt habe: Ist das jetzt alles für dich abgeschlossen oder hat es doch Dinge gegeben, die in die Öffentlichkeit gelangen sollten. Ich wollte ein bestimmtes gesellschaftliches Umfeld darstellen, zumal es für junge Leute bzw. Leute meiner Generation so um die Mitte 30 kaum Möglichkeiten gibt, eine kritische Sicht auf dieses Land, die DDR-Gesellschaft zu publizieren. Vieles, was ich über den Kulturbereich geschrieben habe, hätte genauso gut von einem anderen jungen Künstler geschrieben werden können, der versucht hat, etwas Eigenes aufzubauen und der eine ähnliche Biografie hat wie ich, nur daß ich mich vielleicht stärker gewehrt habe. Diese Prozesse des Rausschiebens, des Sich-zur -Wehr-Setzens waren mir wichtig zu beschreiben, weil, ich sage mal zwischendeutsch, immmer von einer Liberalisierung und Verbesserung in der DDR gesprochen wird. Ich denke, daß das nicht so ist. Während unsere Eltern von der SED praktisch als Aushängeschild für eine reiche Kultur ausgestellt werden, werden gleichzeitig jüngere Leute abgewürgt. Meine Entwicklung war eigentlich eine ganz typische. Zunächst habe ich noch innerhalb des staatlichen Bereiches gearbeitet und dabei natürlich Kompromisse gemacht. Da gab es immer ein gewisses Netz, durch das man nicht fiel, wenn man bestimmte Zugeständnisse machte. Sehr oft habe ich versucht, es doch zu packen und nur kleine Kompromisse zu machen, um nicht draußen zu stehen bzw. zu landen. Dann gab es einen Punkt, wo das nicht mehr ging. Danach wird wirklich versucht, einen aus dem Land zu drängen.

Ab da geht es dann heftig zu in Deinem Buch. Eine Abrechnung mit der Staatssicherheit?

Heftig würde ich in jedem Fall unterstreichen. Aber ich habe überhaupt nicht das Bedürfnis, mit jemandem abzurechnen. Ich hatte vielmehr das Bedürfnis, mich einzumischen, Tabuzonen zu durchbrechen, Spielregeln zu hinterfragen und gesellschaftliche Prozesse nicht unter den Teppich zu kehren, sondern hervorzukehren. Uns ständig an den Sicherheitsorganen zu reiben, danach haben wir uns nicht gesehnt. Ich hatte nicht die Absicht über die Staatsorgane und die Staatssicherheit zu schreiben, mir blieb aber gar nichts anderes übrig. Irgendwann hatten wir soviel damit zu tun, daß es unser Leben massiv geprägt hat, und zwar täglich.

Welche Tabuzonen wolltest Du durchbrechen?

Der zentrale Tabubereich ist die Machtfrage, der Alleinanspruch der SED, und dieser Punkt wird fast überall ausgespart. Aus Pragmatismus haben wir alle eigentlich verdrängt, daß dieses Um-den-Brei-herum-Reden das Wesentliche verkleistert.

Was hat Dich angetrieben, das ganze noch einmal im Westen zu schreiben?

Zum einen sicher das Desinteresse hier im Westen an der DDR. Diese Verhaftungen, diese Maschine der Sicherheitsorgane, die hat ja nicht aufgehört, weil wir jetzt im Westen sind. Unabhängig von schlagzeilenträchtigen Rausschmissen muß einfach das Bewußtsein geschärft werden, daß das täglich Leuten passiert, die weniger in der Öffentlichkeit sind und um die sich keine Sau kümmert. Deshalb hat sich das Thema für mich noch heute nicht erledigt, auch wenn ich jetzt dem Zugriff der Staatssicherheitsorgane entzogen bin.

Um Eure Ausreise hat es besonders aus Ost-Berliner Friedenskreisen harte Kritik gegeben. Von „schwachen Revolutionären“ war die Rede. Wolltest Du mit dem Buch noch einmal rechtfertigen, „wie es wirklich war“?

Von DDR-Seite haben wir zwei Dinge erlebt. Zum einen hat es Leute gegeben, die sich aufgeführt haben wie die Staatssicherheit von unten. Das war üble Demagogie. Vor solchen Leuten will ich mich nicht rechtfertigen. Von dem Anspruch, den sie formulieren, haben sie die Pflicht, differenziert an Dinge heranzugehen, die sie eigentlich selber kennen müßten. Ich erwarte so viel Reife und Fairness, daß überhaupt erst einmal nachgefragt wird, was passiert ist. Viele andere waren zwar auch enttäuscht, aber sie haben wenigstens erstmal nachgefragt. An diesem Beispiel wird die Gefahr des Umgangs miteinander deutlich, nämlich die, daß man seine Aggression umlenkt auf jene, die eigentlich dasselbe wollen. Das ist besonders stark da, wo sich gesellschaftlich nichts tut. Es werden Abgrenzungen geschaffen, die man sich eigentlich nicht leisten kann, weil es ohnehin nur sehr wenige sind, in den Gruppen in der DDR.

In Deinem Nachwort heißt es, es sei an der Zeit, „diese Gesellschaft zu ändern“. Aber viele Engagierte gehen fort, wie soll das gehen?

Ich fange an, darüber nachzudenken, ob es nicht eine stärkere Hilfe von den Linken hier geben muß. Es kann nicht sein „Anerkennung der DDR“ und dann Deckel drauf. Schon die große Ausreisewelle zeigt, daß damit das Problem nicht zu lösen ist. Wir müssen die Phantasie wieder bewegen und das Wort Sozialismus wieder freischaufeln. Man traut sich ja überhaupt nicht mehr zu sagen, daß das noch immer eigentlich die bessere Gesellschaftsordnung ist. Die Leute in der DDR werden von den Linken in Westeuropa allein gelassen. Für mich ist es daher auch kein Wunder, daß die meisten, die rüber kommen, bei der CDU landen. Obwohl sie in der DDR gar nicht unbedingt Konservative gewesen sein müssen.

Wie erlebst Du den Westen?

Ich bin weit davon entfernt zu sagen, hier ist es schön, dort ist es schlecht. Aber hier gibt es doch einen wesentlich größeren Freiraum zum Atmen. Ich bringe das schwer über die Lippen, aber ich denke, auch als Linker lebt es sich hier wirklich besser.

Und wie sieht sich Freya Klier im Künstlergespann Krawczyk/Klier?

Privat natürlich als Frau von Stephan, und er natürlich als mein Mann. Was meine Interessen mein Engagement angeht, sehe ich mich aber als ausgesprochen eigenständige Persönlichkeit. In der DDR gab es zwischen uns eine starke Arbeitssymbiose, hier macht jeder seine Sache. Jemand hat mir gesagt, daß das Buch eine große Liebeserklärung an Stephan sei. Aber ich kann im Buch nicht aussparen, daß Stephan mit seiner Ruhe und auch Nachsicht anderen gegenüber, mir sehr wichtig war und ist.

Möchtest Du wieder zurückkehren?

Für mich und meine Arbeit ist die DDR sehr wichtig. Ich bin dort aufgewachsen, kenne mich dort aus. Ich denke, ich gehöre dahin. Ich hoffe, in absehbarer Zeit zurückzukehren. Allerdings rehabilitiert durch den Staat. Im Moment ist es leider umgekehrt, in DDR-Zeitungen werden wir immer noch scharf angegriffen. Wir haben aber nicht die Absicht, uns damit abzufinden. Die SED muß lernen, mit Leuten umzugehen, die kritisch sind. In anderen osteuropäischen Ländern ist man da längst auf dem richtigen Weg. Da kann die DDR auf Dauer nicht zurückbleiben.

Freya Klier: Abreißkalender. Versuch eines Tagebuchs, 240 Seiten, 29,80 Mark