Nach dem Waffen- das Wiederaufbaugeschäft

Wirtschaftsdelegationen aus aller Welt geben sich in Teheran die Klinke in die Hand / An der Frage des Wiederaufbaus streiten sich die Geister  ■  Aus Teheran Robert Sylvester

Knapp zwei Monate, nachdem die Waffen im Golfkrieg zum Schweigen gekommen sind, steht im Iran zwangsläufig der Wiederaufbau auf der Tagesordnung. Während der internationale Wettbewerb um einen möglichst großen Kuchen des Nachkriegsgeschäfts auf vollen Touren läuft, ist in der iranischen Führung eine gewisse Vorsicht und Zurückhaltung spürbar. Wenn auch die verschiedenen politischen Fraktionen über die Intensität der Beziehungen speziell zum Westen uneins sind, so möchten beide Seiten das Land nicht in eine erneute Abhängigkeit vom Ausland führen.

Aufzubauen gibt es wahrlich genug. Im Zuge des 2.900 Tage dauernden Krieges wurden über 1.800 Industrieanlagen, darunter sechs Raffinerien und ein Atomkraftwerk, dreizehn Städte und 1.200 Dörfer ganz oder teilweise zerstört. Der finanzielle Verlust beläuft sich auf 500 Milliarden Dollar. Dies schließt die Kosten für 217 zerstörte Kampfflugzeuge, 2.100 Panzer, 2.000 Artilleriegewehre und 16 Kriegsschiffe ein.

Es war nur eine Frage von Wochen, bis sich nach dem Waffenstillstand am 20. August Delegationen aus der DDR, Südkorea, der Türkei, Australien, der Schweiz, Dänemark und Italien in Teheran die Klinke in die Hand gaben. Die Eröffnung der jährlichen Internationalen Handelsmesse in der iranischen Hauptstadt bot weiteren fünfzehn Delegationen aus Ost und West die Möglichkeit, vorstellig zu werden. Auch die BRD wird mit von der Partie sein: Bundesbauminister Oscar Schneider reist Anfang Dezember nach Teheran.

So angetan die Bewerber von dem potentiellen Markt auch sein mögen, es sind die Ayatollahs, die die Schecks unterzeichnen, und dies geht offenbar nicht ohne Probleme. Angesichts der sinkenden Ölpreise auf dem Weltmarkt kann das OPEC-Mitglied Iran mit einer täglichen Förderquote von 2,4Millionen Barrel pro Tag kaum die für den Wiederaufbau benötigen Summen lockermachen. Eine Steigerung der Produktion würde nur dazu führen, daß die Preise noch weiter fallen. Die Aufnahme von Krediten entsprach bislang nicht der iranischen Poltik, doch das ändert sich jetzt. Ministerpräsident Mir Hossein Musavi gab Ende September bekannt, Iran sei an Krediten mit einer Laufzeit von ein oder zwei Jahren interessiert. Er hob stolz hervor, daß Iran nicht verschuldet sei, ganz im Gegensatz zum Kriegsgegner Irak, der mit Schulden in Höhe von 65 Milliarden Dollar dasteht.

Angesichts der Probleme von Wiederaufbauprogrammen und Geldbeschaffung wundert es nicht, wenn in der iranischen Führung derzeit heiß über den einzuschlagenden Weg debattiert wird. Die sogenannten Konservativen mit Präsident Ali Khamenei an der Spitze befürworten eine engere Zusammenarbeit mit dem Westen, den Import von Spitzentechnologien und industriellen Großanlagen. Sie werden von den traditionellen Geschäftsleuten des Bazar unterstützt, die 1979 die Rückkehr Khomeinis aus dem Exil mitfinanzierten. „Die Welt möchte unseren Wiederaufbau sehen. Unsere eigenen Ressourcen reichen nicht aus. Wir brauchen ausländische Ressourcen, sowohl in technischer, als auch in finanzieller Hinsicht“, erklärte Khamenei in seiner Eröffnungsansprache auf der Teheraner Handelsmesse.

Auf der anderen Seite des politischen Spektrums sind die Radikalen unter Führung von Ministerpräsident Mir Hossein Musavi angesiedelt, die eher zu einer staatlich kontrollierten Wirtschaft tendieren und eine neue imperialistischen Bedrohung an die Wand malen. Innenminister Ali Akbar Mohtashami warnte: „Die westlichen Angebote für den Wiederaufbau sind neue Verschwörungen, die ausgeheckt wurden, um unsere Revolution von Innen auszuhöhlen.“ In Anspielung auf den Präsidenten fügte er hinzu: „Diejenigen, die von ausländischer Technologie oder Geldern reden, sind entweder dumm oder Söldner.“

Es war Parlamentssprecher Ali Akbar Haschemi Rafsanjani, ein Pragmatiker und bekannt für die Irangate-Affäre mit den USA, der einen Mittelweg in die Debatte einbrachte. Er schlug vor, dem privaten Sektor sollten 20 Prozent des Außenhandels und ein größerer Anteil des Binnenhandels zukommen. Privatunternehmen sollte es ermöglicht werden, sich alleine oder gemeinsam mit ausländischen Gesellschaften an Wiederaufbauprojekten zu beteiligen. Abgesandte Rafsanjanis reisen derzeit von einer westeuropäischen Hauptstadt zur nächsten, um Exiliraner zur Rückkehr zu bewegen. Doch die begehrten Experten gingen auf derlei Ansinnen nicht ein.

Rafsanjani schweben ähnliche Beziehung vor wie zwischen China und den USA - Technologietransfer mit einem Minimum an politischen Einfluß. „Wenn die USA aufhören, an unserer Revolution herumzufingern, werden wir sie wie jedes andere Land behandeln“, erklärte er. In der Tat gibt es nach Angaben von Beamten aus dem Außenministerium ständige Kontakte zwischen beiden Staaten.

Der Wiederaufbau wird erst dann voll zum Tragen kommen, wenn die verschiedenen Fraktionen einen Kompromiß ausgehandelt haben. Anfang Oktober griff Khomeini höchstpersönlich in die Debatte ein und formulierte eine Art wirtschaftliches Testament, in dem die alte Parole „Weder Ost noch West“ festgeschrieben wurde. Als Prioritäten für den Wideraufbau nannte er an erster Stelle die Landwirtschaft, gefolgt von Handel, Industrie und Forschung. Die Erklärung ist jedoch so gehalten, daß sich alle Fraktionen darauf berufen können. Politische Beobachter gehen davon aus, daß Khomeini bestrebt ist, die Einheit der Regierung vor allem während der Friedensverhandlungen zu wahren und nach außen Stärke zu demonstrieren.

Im Mai nächsten Jahres steht die Wahl eines neuen Präsidenten an, da die vierjährige Amtszeit Khameneis ausläuft. „Unser nächster Präsident und Ministerpräsident werden Bürokraten sein, die die Rückendeckung der Technokraten haben,“ meinte einer der Beobachter. „Mit einer rein ideologisch ausgerichteten Regierung wie der jetzigen kann man die Kriegsruinen nicht wieder aufbauen.“