Zum Studienstart ins Obdachlosenheim?

StudienanfängerInnen in Freiburg stehen auf der Straße / In der Alten Universität wurde eine Notunterkunft eingerichtet / Mietpreise wuchern / Ansprüche und Konditionen steigen / Der inoffizielle U-Asta kritisiert Baupolitik der Stadt  ■  Aus Freiburg Andrea Hösch

„Wer rettet mich vor dem Obdachlosenheim?“ „Als Belohnung für ein Zimmer mein Fahrrad“. Die Schwarzen Bretter und Kneipenwände quellen über. Hunderte von StudentInnen sind in Freiburg unterwegs auf der Suche nach eigenen vier Wänden, reißen sich beim Studentenwerk die wenigen Angebote aus den Händen. Nur wenige haben Glück. Die vielen anderen kommen anderntags wieder oder klingeln sich von Haus zu Haus durch. Doch der Freiburger Wohnungsmarkt ist dicht. Wie andere Uni -Städte platzt auch die Stadt Freiburg aus den Nähten: Auf den Wohnungsmarkt drängen nicht nur die über 4.000 Erstsemester und Hochschulwechsler, sondern auch die etwa 1.700 AsylbewerberInnen und 600 AussiedlerInnen. Prognosen hatten einen Rückgang der Zahl der StudienanfängerInnen beschworen, doch das Gegenteil ist der Fall: Im Wintersemester 88/89 wird an den fünf Freiburger Hochschulen die Rekordzahl von 28.000 Studierenden erreicht werden.

Seit Jahren schlägt der inoffizielle Studentenausschuß, der U-Asta, Alarm, doch es passiert nichts: Seit zehn Jahren ist in Freiburg kein neues Studentenwohnheim mehr gebaut worden

-die bestehenden Wohnheime sind auf ein oder gar zwei Jahre ausgebucht und die Zimmer dort sind teilweise sogar mit zwei Leuten belegt. In der Alten Universität ist seit drei Wochen eine Notunterkunft eingerichtet worden: Zu acht wohnen die StudentInnen in einem Zimmer, darin ein Tisch, Stühle, Matratzen auf dem Boden, ein paar Wolldecken - fünf Mark kassiert das Studentenwerk pro Nase und Nacht dafür.

Was bleibt also? Campieren auf dem Münsterplatz oder Container aufstellen? Nichts scheint abwegig, denn „die Stadt ist finanziell am Ende. Sie hat Mühe, ihren Haushalt auszugleichen“, berichtet der Geschäftsführer des Studentenwerkes, Hans Joachim Müller-Klute. Während er die Steuerreform als Mitursache für das geschröpfte Stadtsäckel nennt, vergißt er das jüngste Freiburger Millionen-Projekt, die Kultur- und Tagungsstätte (KTS) zu erwähnen. Allein dieses Prestige-Objekt wird weit über 100 Millionen verschlingen. Deshalb wettert der U-Asta: „Die Stadt betreibt eine völlig verfehlte kommunale Baupolitik!“ Anstatt neuen Wohnraum zu schaffen, werde per Abbruch vorhandener zerstört - zuletzt geschehen nach der gewaltsamen Räumung des letzten besetzten Hauses in der Freiburger Talstraße im vergangenen Monat - oder bezahlbarer Wohnraum werde zu unbezahlbarem saniert. Die Schuld an der Misere läßt sich aber nicht allein der Stadt in die Schuhe schieben: Seit Jahren gibt es weder vom Land noch vom Bund Zuschuß zum sozialen Wohnungsbau. Der U-Asta fordert deshalb: Es müssen wieder neue Wohnungsbauprogramme anlaufen, damit wir nicht im nächsten Jahr vor dem gleichen Dilemma stehen.

Daß bei der katastrophalen Wohnungsnot die Mietpreise wuchern, liegt auf der Hand. Freiburgs Mietpreisniveau kann sich längst mit Münchner Verhältnissen messen - unter dreihundert Mark im Monat ist ein Zimmer kaum mehr zu haben. „Gestern hatten wir ein Angebot von 20 Zimmern in einem Haus, für je 340 Mark“, erzählt Müller-Klute. „Aber da waren noch nicht mal ein Bett oder eine Lampe drin.“ Längst totgeglaubte Ansprüche und Konditionen werden wieder gestellt: Nichtraucher sollen die künftigen MieterInnen selbstverständlich sein, Damen- oder Herrenbesuch nach 22 Uhr ist nicht gestattet, Trauscheine für Paare sind obligatorisch, Duschen wird nur zweimal in der Woche erlaubt...

„In manch anderen Uni-Städten sieht es noch übler aus“, erklärt der U-Asta-Vorsitzende, Heinz Wagner. In Münster seien beispielsweise 6.000 Studienanfänger ohne Unterkunft. Auch dort gebe es Notquartiere. Genauso katastrophal sehe es in München, Konstanz, Stuttgart und Bonn aus. Entnervt von der erfolglosen Wohnungssuche haben zahlreiche StudentInnen bereits das Handtuch geworfen und Freiburg wieder verlassen. „Ich muß am Wochenende erst mal hier raus“, macht sich ein Neuling aus München Luft, „ein bißchen Frohsinn tanken. Hier kann's dir echt vergehen.“ Er war vor ein paar Tagen in der Schwarzwaldmetropole angekommen, in der Hoffnung, schnell ein Dach über dem Kopf zu finden. Schließlich steht es so im Erstsemesterinfo: In den Wohnheimen ist immer Platz. Jetzt hat sich der junge Mann aus Bayern in der Notunterkunft eingerichtet. „Morgen suche ich mir eine MfG, das ist einfacher.“

Anfang der achtziger Jahre war der Wohnungsmarkt in Freiburg bereits einmal ähnlich dicht, Massen von StudentInnen standen auf der Straße.

Doch viele haben sich zusammengeschlossen und öffentlich auf dem Rathausplatz übernachtet. Leerstehende Häuser wurden ausgemacht, besetzt und instandgesetzt. Erste Anzeichen, daß sich die StudentInnen zur Wehr setzen wollen, gibt es auch heute: Vereinzelt hängen sich die Obdachlosen Pappschilder um den Hals und ziehen als Individual-Demonstranten durch die Fußgängerzone. Noch sind es einzelne, aber es sind viele.