Belgrader Regierung unter Druck

■ Trotz Warnungen von Behörden weitere Kundgebungen und Streiks in der jugoslawischen Republik Montenegro Demonstranten fordern Lohnerhöhung und mehr Einfluß im Parlament / Staatspräsident droht mit „außergewöhnlichen Maßnahmen“

Berlin (taz) - Nicht näher bestimmte „Ausnahmeregelungen“ sollen weitere Demonstrationen in Titograd in der jugoslawischen Republik Montenegro verhindern. Ungeachtet der Warnungen von Behörden und Politikern fanden am Montag neue Kundgebungen statt. Dabei lösten Polizeieinheiten unter Einsatz von Tränengas und Schlagstöcken eine Demonstration auf und hinderten Arbeiter aus der nahegelegenen Industriestadt Niksic daran, sich den Demonstrationen in der Hauptstadt der Republik anzuschließen. Am Nachmittag demonstrierten Tausende Arbeiter und Studenten in Niksit. Die 3.000 Arbeiter des Stahlwerkes „Boris Kidric“ sind in den Streik getreten, weil 600 ihrer Kollegen am letzten Wochenende von der Polizei mit Tränengas beschossen worden waren. Der Produktionsausfall soll 2.000 Tonnen Stahl betragen. Gegen Abend wurde eine Betriebsversammlung angekündigt, zu der auch Vertreter der montenegrischen Führung kommen sollten. Über 2.000 Mittelschüler boykottierten den Unterricht und schlossen sich mit ihren Lehrern den vor dem Rathaus Protestierenden an. Dagegen nahmen die ebenfalls in Streik getretenen Arbeiter des Baumaschinenherstellers „Radoje Dakic“ in Titograd die Arbeit wieder auf, nachdem der montenegrinische Parteichef Radovic das ZK der Partei und das Parlament der Republik für Freitag einberufen hatte.

In Montenegro ist eine für die Parteiführung brisante Protestwelle entstanden, die sich nicht mehr nur an nationalistischen Forderungen orientiert, sondern auch soziale und wirtschaftliche Veränderungen will. Die Demonstranten hatten Lohnerhöhungen um 50 Prozent und die Entlastung der Betriebe von zu hohen Steuern gefordert. Weiter verlangten sie die Überprüfung der Eigentumsverhältnisse abgetretener Politiker und mehr Einfluß im Parlament. Schon in der vergangenen Woche verlangten Tausende aufgebrachter Arbeiter im jugoslawischen Parlament in Belgrad den Rücktritt der Bundesregierung. Sie sei verantwortlich für die Inflation von zur Zeit 217 Prozent und für die „Hungerlöhne“ in den Betrieben. Offenbar ist es dem serbischen Parteiführer Slobodan Milosevic in den letzten Tagen gelungen, den sozialen Unmut mit seiner serbisch-nationalistischen Kampagne zu verbinden.

„Zu spät“ habe die Parteiführung auf die Kampagne der serbischen Parteiführung reagiert, erklärte ein kroatischer Journalist gegenüber der taz. In der ersten Fernsehansprache eines jugoslawischen Präsidenten seit Titos Tod hatte der oberste Repräsentant des Bundesstaates, Raif Dizdarevic, am Sonntag abend gewarnt, außergewöhnliche Maßnahmen könnten notwendig werden. Er kritisierte den „politischen Druck“, der auf die Regierung ausgeübt werde und der in manchen Fällen zu einer „Lähmung des Systems“ geführt habe. „Die verfassungsmäßige Ordnung“ sei in Gefahr, sagte der Staatspräsident. Er erklärte auch, die Führung des Staates wolle eine „demokratische Lösung“ für die gegenwärtige Krise finden, „obwohl der Lauf der Ereignisse diese Absicht ernsthaft bedroht“. „Wir können“, erklärte der Präsident, „keine Methoden tolerieren, die die Grundlagen der sozialistischen Demokratie zerstören“. Er verurteilte ausdrücklich die „nationalistischen Exzesse“ der letzten Tage.

er