UNABHÄNGIGE PLATTENVERTRETER

■ Label-Messe im Metropol

Was ist ein Intependent-Label? Korrekt übersetzt, müßte es sich hierbei laut Duden um ein „unabhängiges Klebeetikett, Klebemarke, die auf ein Produkt aufgeklebt wird“ handeln. Oder zweitens schlicht um eine „Schallplattenfirma“. Gehen wir vom letzteren aus, bliebe noch zu klären, wovon eine Plattenfirma unabhängig sein könnte.

Von solcherlei tiefsinnigen Fragen getrieben, begeben wir uns auf die „Berlin Independant Days„ (BID), laut Veranstalter und „General Manager Wolfgang Doebling“ die erste Unabhängigenmesse in Berlin. Um ehrlich zu sein: Nicht wir begeben uns ins zur Messehalle mutierte Metropol, denn die Öffentlichkeit bleibt beim Messespektakel ausgesperrt.

Die Unabhängigen wollen ungestört sein, achtundfünfzig „Indielabels“ drängen sich in gemütlich ausstaffierten Resopalhütten aneinander. Die „Industrie“, bei Insidern kurz als „Majors“ gebrandmarkt, darf keine Stände aufbauen. Was aber nicht bedeutet, daß die Industrie nicht anwesend sei. Sie hat ihre Späher geschickt, die auf der Suche nach jungen Talenten sind, angeblich, um sie zu „fördern“. Für einen „Indiefan“ (Plattenkonsument) dagegen gibt es nichts Verwerflicheres, als wenn seine Band zur Industrie wechselt. Dann hat sie sich verkauft. Ihre Musik wird seichter, man schielt auf den großen Hit, man will nur noch in die „Charts“. Mit dem Image, sich um die Musik zu kümmern und nicht um den finanziellen Erfolg, haben die Indielabel in der BRD einen Marktanteil von über zehn Prozent erreicht.

Auf der Messe wird schnell deutlich, wie sie das geschafft haben. Platten und Cassetten werden einem zugeschoben, Kataloge angedreht und beiläufig wird gefragt, ob man denn auch Plattenkritiken schreibe. Jeder „Fachbesucher“ ist ein potentieller Multiplikator und wird entsprechend von einem „Promoter“ vollgequatscht. Die Oberindi(e)oten sind die Vertriebsfirmen EfA, RoughTrade und SPV, die gleich mehrere Label vertreten. Hier gebärdet man sich großzügig, Typen im feschen Anzug plaudern über ihren „Charterfolg“ mit Ofra Haza, wo alle mit angepackt hätten. Ein gutes Gefühl, auch mal wieder Kartons zu schleppen.

Es gehe jezt darum, das ungeechte System der „Top 75„ -Hitparade zu reformieren, bei dem der Hit nicht nach den Verkaufszahlen, sondern durch ein dubioses Vorschlagsgremium „Media Control“ ermittelt werde. Um „die Industrie“ endgültig mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, hat man kürzlich in weiser Voraussicht des offenen Europamarktes ab 1992, die „Federation of European Distributors“ (FED) gegründet. Man will neue Märkte, wie Spanien, erschließen. Spätestens nach diesem Vortrag könnte man sich eigentlich zur AAA begeben, wo die Autohändler wenigstens nicht behaupten, „independent“ zu sein. Aber im Metropol findet man zwischen all den Industrieindies, um das Begriffschaos zu komplettieren, doch noch den Musiker als Plattenhändler. Er hat vor zwölf Jahren den ersten Schneeball auf die Industrie geworfen, als Gruppen wie Embryo und Ton Steine Scherben ihre Platten selbst verkauften, weil die Konzerne sie nicht wollten. Der „Schneeball„-Mann erzählt von den alten Kollektivzeiten, bis er plötzlich einen alten Genossen von Embryo in Ledermontur wiedererkennt. Mitarbeiter und Werbemanager der Firma WEA, einer der größten Medienkonzerne der Welt.

Andreas Becker