BILDER AUF DER FLUCHT

■ Die Parallelaktion von Gisela Weimann und Elke Nord

Geschenkte Kunst ist suspekt. Mit der Postgalerie begannen Gisela Weimann und Elke Nord im Januar dieses Jahres ihre Parallelaktion. Sie verschickten jeden Monat Originale an über 100 Adressaten. Aus Gisela Weimanns Serie zerschnittener Aquarelle blicken grüne Augen. Auf den Kontaktbögen von Elke Nord entwickelt sich ein Fotoroman zwischen zerlegten Puppen. Beide spielen mit dem Voyeurismus des Kunstbetrachters, beide lösen die Einheit des Bildes in Fragmente auf: Wie er die Serie zusammensetzen und lesen will, bleibt dem Empfänger der Post überlassen. Manche warfen die Postkarten weg; ein Galerist hob sie ärgerlich auf und wartete auf die Rechnung; ein Kunsthistoriker schickte die Karten ablehnend zurück: die Postgalerie erweckte Mißtrauen, was man umsonst und mit der Post bekam, konnte doch nur ein übler Trick sein, dessen dickes Ende folgen würde. Schenken, und sich damit aus demn Tauschsystem der Werte und Objekte auszuklinken, gilt als beinahe so obszöne Geste wie Betteln.

Daß ihr die eigene Produktion immer mehr als Gedankenspiel und Kommentar zum Kunstbetrieb geriete, stellte Gisela Weimann fest. Die Postgalerie, deren Fortsetzung noch über zwei Jahre geplant ist, beschickte auch Museen, wie z.B. die Nationalgalerie. Wie die institutionalisierte Verwaltung von Kunst mit dem umgeht, was sich ihr nicht als abgeschlossenes Werk anbietet, wird auf die Probe gestellt.

Die Frage, ob ein Bild nach unausgesprochener Vereinbarung nicht einfach das ist, was ein Rahmen umschließt, der dem folgsamen Blick die Unterscheidung von Wesentlichem und Nebensächlichem verspricht, nehmen die beiden Künstlerinnen zum Anlaß „Verlorene Bilder - Gefundene Bilder“ und „Bildstufen“ zu inszenieren. Die Augen wurden bei diesen Installationen auf Diät gesetzt: Von den Papier- und Fotobögen, aus denen die Serien der Postgalerie herausgeschnitten und somit verlorene Bilder waren, waren die bemalten und belichteten Ränder übriggeblieben. Diese hingen jetzt im Treppenhaus in der Edinburgerstraße, wo Gisela Weimann wohnt und arbeitet, und umrahmten ihre gefundenen Bilder, die alltäglichen Spuren der Bewohner der Zeit an der Wand. Ein Rahmen kann nicht leer sein. Gegen die Material- und Bilderflut, die von dem, was schon da ist, ablenkt, versuchte dieses Projekt den Blick freizuschaufeln und Vorgefundenes wahrzunehmen. Die Bildwelt muß nicht erfunden werden, sie vermehrt und potenziert sich selbständig. In „Bildstufen“, der nächsten Generation, waren die gefundenen Bilder in Ausschnitten fotografiert und erneut die Treppe hoch montiert. Das Bildfeld, das der Rahmen vorher definiert hatte, war wieder in Fragmente zerlegt, die mit dem Außen eine neue Einheit eingegangen waren. Die Parallelaktion wurde zur Puppe in der Puppe, jedes Nachdenken über das Medium Bild brachte eine neue Verschiebung seiner Bedingungen hervor. Es läßt sich nicht mehr festlegen. Das Bild befindet sich vor seinen Definitionen auf der Flucht, vermehrt sich ständig und besetzt ungefragt neue Räume. Ständige Selbstauflösung, Demontage und Neukonstitution. Alles wird zu Material für den nächsten Schritt - es gibt keinen Abfall mehr. Statt des Werkes ist eine ständige Bewegung und Verflüchtigung auszumachen, ein sich selbst anheizender Kreislauf.

Kein Wunder also, daß in der letzten Parallelaktion die Bilder den Boden unter den Füßen verloren haben, in der Luft flattern und nur noch im Negativ und Schatten zu sehen sind. Dies ist nicht nur als Interpretation gemeint, sondern beschreibt zugleich konkret die Installation. Eine Idee, ein Wortspiel entpuppt sich als reale Gegebenheit. Die Kunst buchstabiert ihren Sinn vor.

Anekdoten von den Ausstellungsbesuchen werden zu Parabeln über die Krise der Bilder. Den fotografierten Füßen, die in „Hochkant - Rückwärts“ die Treppe hinauf zeigten, folgte ein Besucher bis vor die Bodenklappe und suchte die Ausstellung. Die aber hatte er soeben durchlaufen.

Aus fünf solchen Bilderspielen, deren knifflige Logik ständig um die Ecke springt und die Perspektive wechselt, bestanden die Parallelaktionen. Die Urheberschaft von Weimann und Nord löste sich in der gemeinsamen Arbeit auf. Doch der Titel benennt nicht nur die Parallelität ihrer Arbeit. In Musils Roman „Mann ohne Eigenschaften“, dem der Titel entliehen ist, gerät die Parallelaktion, mit der die Österreicher in einer permanenten Feier einem deutschen Regierungsjubiläum Konkurrenz machen wollen, zur Parodie auf pompöse Hohlheit. So sehen die beiden Künstlerinnen ihre Aktionen der Bilddemonatge, die zeitlich parallel zu den ständigen Selbstinszenierungen Berlins in aufgefahrenen Bilderfluten läuft, auch als ironischen Kommentar und ihr eigenes Fest.

Katrin Bettina Müller

„Flatterhafte Künste“ - letzter Teil und Dokumentation der Parallelaktionen noch bis 16. Oktober in der Edinburger Straße 43 auf Vereinbarung mit Frau Weinmann, Tel.: 451 76 55.