Geköpfte Kostbarkeit

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(„Abenteuer Natur“, West 3, 20.00 Uhr) Jahrhundertelang prägten sie die Landschaft in den Einzugsbereichen von Flüssen und Bächen und jahrhundertelang hatten Tiere und Pflanzen Zeit, sich an sie anzupassen. Heute werden sie nicht mehr gebraucht, und so, wie die Kulturlandschaft an sich bedroht ist, sind sie es auch: Kopfweiden.

Da sie besonders verletzlich sind und sich ihr Kerbholz durch die Arbeit von Bakterien, Pilzen und Insekten leicht zersetzt, bilden sich an verletzten Stellen Höhlen aus, die Lebensgrundlage z.B. des Steinkauzes. Er steht schon längst auf der Roten Liste der gefährdeten Arten. Ohne die ausgefaulten Höhlen der Kopfweide würde sein Bestand kurzfristig zusammenbrechen.

Andererseits sind Weiden von einer erstaunlichen Zählebigkeit. In der Mitte durchgesägt, vermögen sie weiterhin auszuschlagen und eine neue Krone zu bilden. Auch ihre Anpflanzung ist einfach, denn Weiden sind durch einen starken Lebenswillen geprägt: Von abgeschnittenen Ästen werden einige meterlange Stücke abgesägt und einfach in den Boden gesteckt. Schon nach wenigen Wochen treiben sie aus, und eine neue Kopfweide bietet vielen Pflanzen und Tieren Nahrung und Unterschlupf.

Die Zählebigkeit der Weiden machten sich die Bauern früher zunutze: Weiden wurden „geköpft“ oder auf den Stock gesetzt. Da sie immer wieder an den Schnittstellen neue Äste austreiben, ist jederzeit für Brennholz, Besenstiele, Bohnenstangen, Zaunpfähle und Material für den Korbflechter gesorgt.

Mit dem Erdöl kam das Ende der Lebensgemeinschaft Kopfweide -Bauer. Heizöl ersetzte das Brennholz und Plastikprodukte aus Öl ersetzten Weidenkörbe und Besenstiele. Die Weiden wurden nicht mehr genutzt, die Köpfe nicht mehr „gescheitelt“ (abgesägt) und so manche Kopfweidenbaumreihe bei der Umwandlung von Wiesen in Äcker gerodet. So scheint denn auch die komplizierte Lebensgemeinschaft, die sich speziell auf die typische Kopfweidennutzung eingestellt hat, zum Aussterben verurteilt.

Dieter Kaiser, WDR