Nullösung

■ Zu den Buchmessen-Sondersendungen von „Aspekte“ (ZDF)

Fernsehkultur zur Buchmesse, Bilder zu Worten; diesmal gleich fünf Extra-Sendungen von „Aspekte“ zu den über hunderttausend Neuerscheinungen der weltgrößten Literaturschau. Live. Das Rezept: Man verwandle ein New-Wave -Cafe in Ffm-Bockenheim in ein ZDF-Studio (das unvermeidliche Gedrängel schafft Atmosphäre, egal welche), suche dafür mit Bedacht die unwichtigsten Bücher einer Handvoll Gäste aus, die schon in mindestens zwei Dutzend Talkshows Kamerapräsenz und Mikrophonsicherheit bewiesen haben, nehme Moderatoren, die sich auf nichts als den pünktlichen Sendebeginn vorbereiten und im übrigen reiche Erfahrung haben, wie man „live“ Zeit totschlagen kann, und sorge zuguterletzt dafür, daß über die Präsentation des jeweiligen Buchtitels hinaus kein Wort über die Sache selbst verloren wird - und schon ist die Fernsehliteratur perfekt.

Wäre nicht immer wieder der smarte, mit seinem Tablett über den Köpfen der dichtgedrängten Masse jonglierende „Garcon“ durchs provisorische Bühnenbild geschossen, man würde sich an fast gar nichts erinnern.

Peter Scholl-Latour, dem der Tod im Reisfeld erspart geblieben ist, erzählte, daß Frankreich für ihn doch irgendwie das Allerallerprägendste gewesen war, obwohl er sich auch in Afrika und im Nahen Osten umgeschaut hat. Stefan Heym, dessen Fünf Tage im Juni aufgrund des langjährigen Erscheinungsverbots in der DDR (das jetzt aufgehoben wurde) irrtümlich für ein anti-stalinistisches Werk gehalten wird, drohte nach seinem aktuellen autobiografischen Werk weitere Veröffentlichungen an. Uta Ranke-Heinemann sprudelte wie eine unerschöpfliche Quelle über Bibelauslegung und Zölibat, Eunuchentum und katholische Erde, was immerhin einen inneren Zusammenhang von Theologie und Talkshow-Begabung offenbarte.

Moderator Willms verstand zwar nichts, aber Krawatte und Scheitel saßen noch korrekt. Beides bewährte sich gegenüber der Autorin Cora Stephan, deren jüngstes Buch natürlich kein Thema war, sondern die Frage, ob Liebe in Ehe ausarten muß oder umgekehrt und warum der Mensch so schnell ins Unglück stürzt. Die als „Expertin“ Geladene antwortete professionell: „Die große Zahl der Bücher über Beziehungsprobleme hat natürlich einen objektiven Grund.“ Bevor sie weiter ausholen konnte, kam Andrzej Szczypiorski, der spät entdeckte polnische Schriftsteller, an die Reihe, von dessen zuletzt ins Deutsche übersetzte Buch die Moderatorin zu berichten wußte, daß sich „darin eigentlich alle politischen Geschichten widerspiegeln“. Bevor der Mann richtig antworten konnte, wurde er über Perestroika, Gorbatschow und Polen befragt, doch sein nachdenkliches Reden hatte schon soviel kostbare Sendezeit verbraucht, daß schleunigst zum Höhepunkt angesetzt werden mußte.

Der zu kometenhafter Berühmtheit gelangte 'Titanic' -Mitarbeiter und Buntstiftschmecker („Wetten daß...?“) Bernd Fritz sollte durch einen Biß-Test Bücher identifizieren. Da lustigerweise zur selben Zeit das Betriebsfest der 'Titanic‘ im ZDF-Studio-Cafe stattfand, freuten sich alle mächtig über die Performance, die jedem Kindergeburtstag Ehre gemacht hätte. Schlußwort, Anspann und Hinweis auf die „morgige Sendung“, in der die bekannte Schriftstellerin Nina Hagen über Gloria von Thurn und Taxis, die das Vorwort zu ihrer gerade erschienenen Autobiographie verfaßt hat, sagen wird: „Ich liebe die Fürstin sehr.“

In der letzten Sendung erfuhren wir vom Autor eines Bandes über Musil Neues über das Geheimnis des Mantels seiner Ehefrau, lernten, daß der Kulturverkehr zwischen „erster“ und „dritter“ Welt immer noch eine Einbahnstraße ist und hörten zum Schluß die geharnischte Buchmessen-Kritik von Walter Boehlich, der in die bodenlose Beliebigkeit der Aspekte-Sendungen ebenso integrierbar war wie die Moderatorin Anna Doubek, die nicht nur einmal den Faden verlor, weil sie selbst nicht wußte, wo sie gerade war und warum.

In einer Philippika zur „geistigen Korruption der Zeit (kleingeschrieben)“ merkte 'ZEIT'-Feuilleton-Chef Greiner unlängst an, der postmoderne Kulturkommunikator als Zirkulationsagent könne Kategorien der Kritik nicht einmal für altmodisch halten, weil er gar nicht wisse, wovon die Rede sei. Kulturkritiker Enzensberger geht einen Schritt weiter und findet listig gut, was ist, weil - zum Beispiel das Fernsehen zu Bösem und Falschem gar nicht imstande sei. Botschaften gingen von ihm sowieso nicht aus - das „Nullmedium“ sei ein reines Meditationsorgan. Nach der Buchmesse und ihren ZDF-Aspekten sind wir noch einen Schritt weiter: die Meditation beginnt schon vor der Kamera, live im Studio. Ein Ort, nichts, niemand, nirgends.

Reinhard Mohr