Frontschwein und Killerwal

■ Nicht nur Pferde und Elefanten dienten als Kriegswerkzeug, nicht nur Bazillen werden heute als Biowaffen gezüchtet, sondern es wurden auch Wanzen - von den USA im Vietnamkrieg - und Trampeltiere - von der Naziarmee vor Stalingrad - eingesetzt.

Michael Miersch

Die Opfer haben aufgedunsene Bäuche, Fieber, Schüttelfrost und wässrigen Durchfall, manche spucken Blut. Ohne Behandlung ist ihr Tod besiegelt. Ein kleines Lebewesen hat sich ihrer Lymphdrüsen bemächtigt. Es schwärmt aus in die Blutbahnen und hinterläßt sein Gift in Gefäßen und Organen. Besonders die Milz ist auffallend blutig geschwollen. Die grausamen Eindringlinge sind winzig und kommen als Millionenheer. Ihr Name: Bacillus anthracis, zu deutsch Milzbrandbakterien. Eigentlich kriegen die kleinen Fieslinge nur selten einen Menschen zu fassen, höchstens mal einen Hirten, Metzger oder einen Jäger, Leute also, die mit Schafen, Rindern oder Wild in Kontakt kommen. Es sei denn, sie werden von Menschen auf Menschen gehetzt. Die Milzbranderreger sind eine klassische biologische Waffe, heute - im Zeitalter der Gentechnologie - schon fast ein wenig antiquiert. Bereits im Zweiten Weltkrieg verseuchten japanische Spezialeinheiten in Zentralchina ihre Feinde mit Anthrax-Bazillen, und das britische Oberkommando spielte eine Zeit mit dem Gedanken, sie über deutschen Städten abzuwerfen.

Die Verbreitung der Milzbrandbazillen durch die Japaner war nicht der erste Versuch, mit Mikroben Kriege zu entscheiden. Bereits im Jahre 1346 warfen die Krimtartaren pestkranke Ratten über die Mauern der belagerten Stadt Kaffa. Das heißt im Klartext, Bakterien wurden schon zur Waffe, als noch kein Mensch von ihrer Existenz wußte. Die schlechte Angewohnheit, andere Geschöpfe in ihre Streitigkeiten einzubeziehen, hatten die Menschen allerdings schon zu einer viel früheren Zeit. Die erste Bio-Waffe kam vor circa 4.000 Jahren zum Einsatz und hieß Pferd. Lange bevor irgendein Pazifist auf die Idee kam, daß Pferde auch Pflugscharen ziehen können, wurden mit ihnen Reiche erobert. Babylonier, Assyrer, Hethiter und Ägypter lösten ihre Herrschaftsprobleme mit pferdegezogenen Kampfwagen. Aus Ostasien sind bereits für das neunte vorchristliche Jahrhundert gewaltige Reiterschlachten überliefert.

Doch Pferde sind beileibe nicht die einzigen Tiere, die zum Kriegführen mißbraucht wurden. Eine Versammlung der Arten, die für Ehre und Vaterland ihr Leben lassen mußten, würde einen mittleren Zoo füllen. Der hätte sogar eine Insektenabteilung. In Vietnam beispielsweise experimentierte die US-Army mit Wanzen, die, in Spezialkapseln verpackt, anrückende Vietcongs erreichen sollten. Das Freudengeheul der kleinen Blutsauger konnte mit Verstärkerinstrumenten an die weit entfernten Wachposten übermittelt werden. Daß die Amerikaner während des Zweiten Weltkrieges Kartoffelkäfer über Deutschland abwarfen, ist übrigens ein zähes Gerücht aus Goebbels Propagandaküche, das heute noch gelegentlich zu hören ist. Auch große Tiere böte der Kriegszoo: Elefanten und Wale sogar. Dank des Kolonialismus würde es in diesem Tierpark nicht an Exotik mangeln. Sowohl deutsche als auch englische Schutztruppen experimentierten mit Zebras und Straußen als Reittieren. Neben den beiden Tropentieren ständen Rentiere und Lamas ebenso wie Wasserbüffel und Yaks. Selbst die unscheibaren Mäuse bekämen einen Ehrenplatz. Denn die Kreter waren der Meinung, daß sie ihren Sieg über das pontische Reich dem Umstand verdankten, daß Mäuse die Ledergriffe an den Schilden ihrer Feinde zernagt hatten. Kleinflugkörper auf

biologischer Basis

Die Art und Weise, wie Militärs Tiere einsetzen, läßt sich in vier Kategorien einteilen: für Tierversuche, als Transportmittel, als Nachrichtenübermittler und als Waffen. Militärische Tierversuche sind mit Sicherheit die jüngste Variante kriegerischer Tierquälerei und eine besonders sadistische obendrein. An Schweinen und Boxerhunden trainieren Sanitätsoffiziere ihre chirurgische Kunstfertigkeit. Zuvor werden den Tieren mit Gewehrschüssen die Bäuche zerfetzt. Wehrwissenschaftler der Bundeswehr in Münster untersuchen an versuchstieren die Folgen von C- und B-Waffen, um im Kriegsfall betroffene Soldaten besser behandeln zu können. Dabei fallen natürlich ganz nebenbei auch Erkenntnisse über die Wirkung dieser Waffen auf den Feind ab. Die Grenze zwischen defensiver Verteidigungsforschung und aggressiver Kriegsforschung kann hier überhaupt nicht gezogen werden. Allein für die Zeit 1979 und 1983 hat die Bundeswehr 69.000 Hunde, Schafe, Maultiere und Ziegen zu Versuchen herangezogen. Aufmerksame Zuschauer wissen aus dem Fernsehepos Väter und Söhne, daß bereits der Gaseinsatz im Ersten Weltkrieg an Versuchskaninchen getestet wurde.

In fast allen bisherigen Kriegen wurden Tiere als Transportmittel eingesetzt. Alles, was eine Last tragen oder einen Wagen ziehen kann, ist vom militärischen Standpunkt aus ein nützliches Tier. Trag- und Zugtiere schafften Menschen und Material an die Front, holten Verwundete ab und dienten gleichzeitig als haltbares Frischfleisch. Im Transportbereich herrscht die größte Artenvielfalt - kaum ein Vierbeiner, der nicht schon mal Kriegsmaterial schleppen mußte. Die deutsche Wehrmacht setzte im Zweiten Weltkrieg neben Pferden und Maultieren auch 250 Reitdromedare (Afrikafeldzug), Rentiere, Schlittenhunde und über tausend Zugochsen ein. Von letzteren zeigten sich die Generäle wenig begeistert, denn bei einer Tagesleistung von durchschnittlich 20 Kilometern bremsten die Zugochsen jede Marschkolonne. Außerdem brauchten sie, im Gegensatz zu den Pferden, lange Pausen zum Wiederkäuen. Die 4.Panzerarmee in der Salzsteppe südlich von Stalingrad hatte zeitweise sogar 60 Trampeltiere (zweihöckrige Kamele) zur Truppe eingezogen. Nach eingehenden epidemiologischen Versuchen warnte das tierärztliche Oberkommando allerdings vor den genügsamen Tragtieren, denn die Kamele erwiesen sich als Überträger der Pest. Sie wurden übrigens zusammen mit ihrer Einheit im Kessel von Stalingrad aufgerieben.

„Selbstproduzierender Kleinflugkörper auf biologischer Basis mit festprogrammierter automatischer Rückkehr aus beliebigen Richtungen und Distanzen.“ So definiert ein „Technisches Merkblatt“ der Schweizer Armee die Taube. Nicht nur die neutrale Schweiz hat die Vögel mit dem legendären Heimfindesinn rekrutiert. Tauben sind von alters her die besten Werkzeuge der Nachrichtentruppen. Man kann sie nicht abhören, sie sind unauffällig und brauchen keinen Stromanschluß. Fragt sich nur, woher sie ihren Ruf als Friedenssymbole bekommen haben. Im Ersten Weltkrieg wurden darüber hinaus noch Meldehunde eingesetzt, die, mit einer Kapsel am Halsband, der Etappe von der Front berichteten. Fehlt noch der vierte und letzte Einsatzbereich: Tiere als Waffen, also als Instrumente zur direkten Tötung oder Schädigung des Feindes. Maultierbomben

und Wachgänse

Heute, wo die stolze Kavallerie wohl endgültig ausgedient hat, behauptet ein anderer Einhufer immer noch seine Überlegenheit gegenüber den Maschinen. Kein Fahrzeug kann den Gebirgsjägern das Maultier ersetzen. Die genügsamen Bastarde aus Pferdestute und Eselhengst sind ohne weiteres in der Lage, 100 Kilogramm Gepäck plus 40 Kilo Sattelzeug durch bis zu anderthalb Meter hohen Schnee zu tragen. 25 Mulis dienen derzeit in der Gebirgstragetierkompanie 230 der Bundeswehr. Und auch in Italien, Spanien, Griechenland und Jugoslawien denkt man nicht daran, die Mulitruppen abzuschaffen. Den perfidesten Einsatz der geduldigen Mischlinge betreibt die peruanische Guerilla-Truppe „Sendero Luminoso“. Bei mehreren Anschlägen trieben die Untergrundkämpfer mit Sprengstoff bepackte Maultiere in die Nähe ihrer Feinde und drückten dann die Fernzündung. Die Anden-Revolutionäre können allerdings nicht die Urheberschaft für dieses Verfahren beanspruchen. Heinz Schröter beschreibt in dem Büchlein Ein Leben für die Front eine ähnliche Praxis aus dem Zweiten Weltkrieg. Hunde wurden darauf dressiert, unter Panzern nach Futter zu suchen. Mit fünf Kilo Sprengstoff auf dem Rücken trieb man sie dann den feindliche Tanks entgegen.

Ein ebenso schauerliches Ende nahmen und nehmen in den modernen Kriegen viele Minenhunde. Eigentlich eingesetzt, um feindliche Bodensprengkörper zu erschnüffeln, dienen sie auch als lebende Zünder für die heimtückischen Tretminen. Bereits in der Antike wurden Meldehunde eingesetzt. Damals hatten sie keine Kapsel am Halsband, sondern trugen die Depesche im Magen. Als Dank für die Botendienste wurden sie bei Ankunft geschlachtet. Meldehunde, die noch im Ersten Weltkrieg eine wichtige Rolle spielten, kamen im Zweiten Weltkrieg aus der Mode. Obwohl immer noch bei der Nachrichtentruppe eingeteilt, waren die meisten Kriegshunde in ganz anderen Bereichen tätig: als Schlittenhunde an der Ostfront und im Polargebiet, als Minenhunde, Gasspürhunde, Lawinenhunde, Wachhunde und Sanitätshunde.

Doch Hunde sind durchaus auch als Gefechtswaffe einsetzbar. Bereits die alten Perser richteten mehrere tausend Doggen für Kriegszwecke ab, ebenso Griechen, Römer und Kelten. Im Mittelalter trieben die Landsknechte Hunde in Panzerhemden gegen die feindliche Kavallerie. Diese Kampfbeißer waren mit einem Panzerhemd geschützt und trugen auf dem Kopf ein Schwert oder eine Fackel. Vom englischen König Heinrich VII wird berichtet, daß er Kaiser Karl I 4.000 Mann mit ebensovielen Hunden als Hilfstruppen schickte.

Aber auch in der modernen Kriegsführung haben Hunde ihre Bedeutung. Die Briten in Malaysia und die Amerikaner in Vietnam verfolgten fliehende Feinde mit Neufundländern. Die US-Minnensuchhunde, die im Fort Gordon in Georgia für den Einsatz in Indochina ausgebildet wurden, fanden nach offiziellen Armeeangaben 90 Prozent aller versteckten Fallen und Sprengladungen.

Die deutsche Wehrmacht war mit ihren berühmten Sanitätshunden weniger zufrieden. Immer wieder beschwerte sich die Truppe über die vierbeinigen Sani-Helfer. Anstatt, wie sie es gelernt hatten, nur zu bellen, wenn sie verwundete Soldaten auf dem Gefechtsfeld entdeckten, verbellten die Hunde auch gesunde Kämpfer. Das war besonders unangenehm, wenn die Einheit unentdeckt bleiben wollte. 1944 wurden die Sanitätshunde abgeschafft, was bekanntermaßen das Kriegsglück der Wehrmacht auch nicht mehr wenden konnte. Alles in allem sind Hunde trotz ihres sprichwörtlichen Gehorsams unsichere Kantonisten im Truppendienst. Für eine Wurst wechseln sie die Seite und auch ihrem Geschlechtstrieb ist mit militärischer Disziplin nicht beizukommen. Bereits Jean Bungartz, der 1892 ein Standardwerk zur Kriegshundedressur veröffentlichte, empfiehlt, nie Rüden einzusetzen, „da die Hunde gierig den Fährten ihrer weiblichen Gegner folgen werden und ihre ernste Aufgabe vergessen“. Wesentlich billiger und dazu, im Gegensatz zu Hunden, vollkommen unbestechlich, sind Wildgänse. Die haben ihre militärische Feuertaufe schon hinter sich. In Vietnam und Costa Rica bewährten sich die großen Entenvögel vorzüglich als watschelnde Alarmanlagen zum Schutz von Brücken. Nicht zu vergessen ihr berühmter Auftritt als Retter des Capitols im Jahre 390 vor Christus. Voller Lob für die Gänse ist auch der große Schweizer Renaissance -Gelehrte Conrad Gesner. Er schrieb: „Alle Gänse... wachen fleißig und schlafen nicht viel, hören leicht alles Gethön.“ Die vielversprechenden Vietnam-Erfahrungen animierten die US -Army 1986 dazu, für ihre Luftwaffenstützpunkte in der Bundesrepublik 900 Junggänse einzukaufen. Seitdem stehen unter anderem die drei Pershing-2-Batterien in Süddeutschland unter Gänseschutz. Allein in Mutlangen schieben 34 Schnattervögel Wache. Ein ebenso effektives wie preiswertes System, denn eine Gans kostet um die 50 Mark, lebt 30 Jahre und ernährt sich bei genügend großer Wiesenfläche von selbst. Die Wachpatrouille wird also noch einsatztauglich sein, wenn die Pershings längst verschrottet sind. Schlechte Erfahrungen mit Gänsen im Truppendienst hat allerdings die niederländische Armee gemacht. Als sie zu einem Manöver mitgenommen wurden, lärmten die Vögel ununterbrochen und desertierten scharenweise. Giftspritzen im Schnabel

Da sind die oben schon erwähnten Tauben weitaus bravere Soldaten. Die radarsicheren Kleinflugzeuge sind als Kuriere unübertroffen. Schickt man, wie üblich, zwei Brieftauben mit derselben Nachricht ab, erreicht man eine Übermittlungssicherheit von nahezu 100 Prozent. Dabei weiß immer noch kein Mensch genau, wie der sagenhafte Orientierungssinn dieser Tiere funktioniert. Die heute gängige Hypothese geht von einem Zusammenspiel verschiedener Sinne aus. Dabei koppeln die Tauben geographische Koordinaten mit dem Stand der Gestirne, Geruchsempfindungen und einem Sinn für das Magnetfeld der Erde. Die kleinen Wunderwesen finden sogar bei geschlossener Schneedecke und nachts ihren Heimatschlag. Dabei können sie täglich bis zu 1.000 Kilometer zurücklegen, mit Spitzengeschwindigkeiten um die 100 km/h. Eine Spezialeinheit von 1.300 Soldatinnen und Soldaten kümmert sich in der Schweiz um die gefiederte Truppe. Stärke: 5.000 Stück. Sollten die Eidgenossen in einen Krieg eintreten, können sofort 30.000 weitere Tauben rekrutiert werden. Dagegen nimmt sich der französische Taubenschlag mit seinen 100 Vögeln eher mickrig aus. Übrigens, nach dem Kriege hatte die französische Armee im Saarland den Umgang mit Brieftauben von einer behördlichen Genehmigung abhängig gemacht. Sie galten als potentielle Hilfsmittel zur Kriegsführung. Die Einschätzung teilt auch die spanische Regierung, die 1983 die Brieftauben des Landes unter militärische Aufsicht stellte.

Wenn zu Lande und in der Luft Kriegstiere so durchschlagend erfolgreich sind, darf eigentlich die Marine nicht abseits stehen. Tut sie auch nicht. Seit den sechziger Jahren experimentieren die französische, die sowjetische und die US -amerikanische Flotte mit Zahnwalen und Robben. Die US-Navy unterhält sogar zwei Ausbildungszentren für Meeressäuger, auf Hawaii und in San Diego, und hat dort seit 1962 allein 240 Delphine ausgebildet. Die Tiere sind durch ihr hochentwickeltes Echolotsystem in der Lage, kleinste Schwimmkörper zu orten. Mit ihrem empfindlichen Gehör können sie die Antriebsaggregate verschiedener Wasserflugzeuge voneinander unterscheiden. Schon während des Vietnamkrieges wurden Delphine zur Objektsicherung eingesetzt. Zur Zeit begleiten die klugen Kleinwale US-Kriegsschiffe im Persischen Golf. Sie sollen Treibminen finden und durch Lautgeben vor feindlichen Froschmännern warnen, sind aber auch dafür ausgebildet, Kampfschwimmern die Maske abzureißen oder die Luftschläuche zu zerbeißen. Einige Tümmler bekamen eine Art Amboß auf den Schnabel montiert, den sie Feinden in den Leib rammen sollen. Diese Methode bedient sich der instinktiven Kampfweise, die Delphine gegenüber Haien anwenden. Der Verhaltensforscher Michael Greenwood enthüllte in den siebziger Jahren, daß die Navy den Tieren auch Giftspritzen an den Schnabel schnallt und sie außerdem zu Spionagezwecken einsetzt. So wurden Delphine benutzt, Meßinstrumente an sowjetische Schiffe vor der kubanischen Küste anzubringen. Seelöwen gehören zu einer anderen Abteilung der nassen Truppe. Sie werden dafür ausgebildet, Bergungsarbeiten zu leisten und wiederverwendbare Torpedos aus Meerestiefen von bis zu 230 Metern heraufzuholen. Den schlechtesten Part haben die Schwertwale erwischt. Die müssen trainieren, nach Kamikaze-Art Torpedos ins Ziel zu bringen und Minen an feindliche Schiffskiele zu heften. So werden die normalerweise menschenfreundlichen Tiere ihrem englischen Namen Killerwhales wenigstens gerecht. Pentagonsprecher Ross ist jedenfalls begeistert von seiner Walkampftruppe: „Für eine Handvoll Fisch tun die alles.“