DNA-Fingerabdrücke im leeren Raum

■ Erstmalig in der Bundesrepublik soll ein Mordverdächtiger mittels „genetischem Fingerabdruck“ überführt werden / Rechtliche Fragen noch völlig offen Soll mit dem Einsatz der Technik in einem „unproblematischen“ Fall Widerstände und Befürchtungen unterlaufen werden? / Von Susanne Billig

Der Anlaß schien zunächst unbedeutend zu sein. Als am Freitag, dem 12.August, Staatsanwaltschaft und Polizei in Berlin zur Pressekonferenz luden, ging es um einen Vorgang, der - leider - eigentlich alltäglich ist: Ein Mann war verhaftet worden, gegen den der begründete Verdacht bestand, er habe eine Frau überfallen, vergewaltigt und ermordet.

Doch die Verhaftung von Hans-Joachim R. wird wohl Kriminalgeschichte machen. Zum ersten Mal nämlich ist es weder ein Geständnis noch ein Kleidungsfetzen noch die Untersuchung der Blutgruppe, welche einem möglichen Täter zum Verhängnis werden soll. Hans-Joachim R. wird angeklagt, sein genetisches Muster am Tatort zurückgelassen zu haben.

Die Berliner Polizei handelt nur folgerichtig. Sie bringt auf der Ebene der geschaffenen Tatsachen eine kriminaltechnische Methode ins rollen, für die sich auf der politischen Ebene offensichtlich niemand so recht interessiert. Vom Mai bis in den Herbst mußte der Rechtsausschuß im Bundestag seine geplante Anhörung zur „Genomanalyse im Strafrecht“ verschieben: Die CDU hatte es jedesmal vorgezogen, den erforderlichen Fragekatalog nicht vorbereitet zu haben.

Statt dessen finden hinter verschlossenen Türen emsige Aktivitäten statt, die darauf hinzuzielen scheinen, das politische Vakuum mit vollendeten Tatsachen zu besetzen. So bestätigte das Innenministerium eine schriftliche Anfrage der Grünen: „Eine Arbeitsgruppe, bestehend aus BKA, LKA Baden-Württemberg und PTU Berlin prüft zur Zeit die technischen Möglichkeiten für die Einführung dieses Verfahrens.“ Im Klartext heißt das: In Berlin und Baden -Württemberg existieren bereits Labore mit der notwendigen Ausrüstung, willigen WissenschaftlerInnen und finanziellen Mitteln, um die Techniken der Genomanalyse in das kriminalistische Repertoir aufnehmen und optimieren zu können.

Wenn in einem biochemischen, genbiologischen Labor eine neue Methode etabliert werden soll, kostet das Nerven, Zeit und vor allen Dingen viel Geld. Hans-Joachim R., der Mann, dessen Verhaftung so medienfreundlich von der Berliner Polizei präsentiert wurde, ist der Testballon, der irgendwann hochgeschickt werden mußte, um zu prüfen, ob gegenwärtig überhaupt die Möglichkeit besteht, daß das Beweismittel „Genomanalyse“ vor einem bundesdeutschen Gericht anerkannt wird. Bisher nämlich sind die rechtlichen Verhältnisse mehr als ungeklärt.

Der körperliche Eingriff, der zunächst an einem/r potentiellen TäterIn vorgenommen werden muß, ist als solcher sicher unproblematisch und in der Tat eine medizinische und polizeiliche Routinemethode - die Blutabnahme. Bedenklich wird es erst, wenn das Erbmaterial DNA aus den Blutkörperchen isoliert ist und die eigentliche molekularbiologische Analyse folgen soll:

-Lassen sich solche Untersuchungen mit den Rechten auf körperliche Unversehrtheit, auf informationelle Selbstbestimmung und auf „Nichtwissen“ (etwa gegenüber zutagegeförderten Anfälligkeiten für genetisch bedingte Krankheiten) überhaupt vereinen?

-Wie lange werden die ermittelten Daten gespeichert?

-Darf an Tatorten gefundenes organisches Material (Blut, Samenspuren, Haar- und Hautreste) grundsätzlich der DNA -Analyse unterzogen werden?

-Was geschieht mit den ebenfalls ermittelten Daten nichtschuldiger Personen, des Opfers, der letzten 20 Besucher etwa einer Tatortwohnung?

-Kann der Schutz gegen Weitergabe genetischer Analysen an andere Behörden oder an Dritte (Arbeitgeber, Versicherungen) gewährleistet werden?

Jurist Dr.Detlev Sternberg-Lieben aus Berlin, dem - so BKA -Abteilungsleiter Dr.Wolfgang Steinke - das Verdienst gebühre, die Problematik des genetischen Fingerabdrucks in die juristische Literatur eingeführt zu haben, meint, in allen diesen Fragen schon im Vorfeld Entwarnung geben zu können. „Die Gentechnologie wird in die medizinische Kriminalistik Eingang finden, da durch Vergleich bestimmter DNA-Sequenzen eine sichere Identifizierung ermöglicht wird“, stellte er lapidar in der 'Neuen Juristischen Wochenzeitschrift‘ fest. „Der 'genetische Fingerabdruck‘ fügt sich in das System nach der Strafprozeßordnung zulässiger Eingriffe ein und stößt (...) auf keine verfassungsrechtlichen Bedenken; gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht insoweit grundsätzlich nicht.“

Seine Argumentation: Bei der Genomanalyse würden ohnehin nur solche DNA-Abschnitte untersucht, die keine besondere Information trügen. Die „nichtkodierenden Sequenzen“ sind Abschnitte im Erbmaterial, die außer ihrer individuellen Zuortbarkeit zu einer bestimmten Person nicht zu Aussagen über die genetische Verfassung hinsichtlich „Krankheit“ oder „Gesundheit“ führen können. Insofern aber, so Sternberg -Lieben, unterschieden sich Genomanalysen und Fingerabdrücke kaum voneinander - gesetzlicher Handlungsbedarf bestünde nicht.

Es wäre zu schön. Tatsächlich aber werden schon jetzt Versuche unternommen, sich zur Feststellung der individuellen Erbgutmuster auch in die „kodierenden Sequenzen“ vorzuwagen. So verteidigt Christian Rittner, Professor am Mainzer Institut für Rechtsmedizin, seine Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet mit dem Argument, die Sicherheit bei der Zuordnung von DNA-Mustern steige mit dem veränderten Verfahren enorm. Es ist richtig: die nicht kodierenden DNA-Abschnitte unterliegen keinen Anstrengungen der Natur auf „Konservierung“ wie die Gene. Die Wahrscheinlichkeit beispielsweise, daß sich bei der DNA -Muster-Vererbung von der Mutter auf die Tochter grobe und verfälschende Zufallsveränderungen einschleichen, ist bei Genen tausendmal kleiner als bei den Zwischen-Gen-Sequenzen. Diese Tatsache wird dann bedeutsam, wenn sich die KriminologInnen nicht mehr mit Mord- oder Vergewaltigungsfällen, sondern mit der Aufklärung von Verwandtschaftsverhältnissen befassen wollen: Mit Vaterschaftsnachweisen oder, in England bereits das häufigste Anwendungsgebiet der Genomanalyse, mit Einreiseerlaubnissen der Angehörigen von AusländerInnen.

Die Forschungsanstrengungen des Herrn Rittner werden wohl auch noch einen viel profaneren Grund haben: Die ursprüngliche Methode nämlich wurde von ihrem Erfinder Alec Jeffreys umgehend patentgeschützt und ist nun nur gegen gute Bezahlung an die britische Firma „Cellmark Diagnostics“ zugänglich. Ein verbessertes, eigenes Verfahren wirkt verlockend - auch wenn es nun tatsächlich an die (Erb -)Substanz des Menschen geht. Kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf?

Kritisch schätzen Frauen des Gen-Archivs Essen die neue Lage ein. „Was wird diese Technik mit sich bringen?“, entwirft eine Mitarbeiterin des Archivs ein Szenario. „Im Endeffekt wird sie helfen, das genetische Screening (Durchtesten) von Arbeitern und Arbeiterinnen möglich zu machen, also etwa festzustellen, ob jemand für diesen oder jenen Arbeitsplatz besonders widerstandsfähig zu sein verspricht. Mit - im Zuge dieser Forschung erfundenen anderen Gensonden wird es möglich werden, Behinderungen aufzuspüren. Qualitätsbestimmungen werden vorgenommen werden; das Leben wird genetisch definiert werden.“ Und sie fährt fort: „Es gibt doch kein kriminalistisches Problem, gewiß nicht im Zusammenhang mit der Aufklärung von Vergewaltigungen. Dort liegen die Probleme woanders: Die Behandlung der Frauen, die es wagen, Täter anzuzeigen, die Anzweiflung ihrer Glaubwürdigkeit. Es wird nicht gehen, daß wir sagen, 'hier wollen wir die Technik, aber dort wollen wir sie nicht‘. Das wird sich später nicht mehr trennen lassen. Die Vergewaltigung von Frauen ist ein Problem, das sich aus dem Machtgefälle zwischen Männern und Frauen ergibt. Durch die Einführung der Methode ändert sich daran überhaupt nichts.“ Ihre Einschätzung: „Wissenschaft und Polizei versuchen im Moment, diese Technik akzeptabel erscheinen zu lassen.“

Auch eine Berliner Rechtsanwältin, die häufig Mandate von Vergewaltigungsopfern übernimmt, vermag kein gravierendes kriminalistisches Problem zu erkennen. „Nur wenn folgende Umstände zusammentreffen: die Frau ist sich erheblich unsicher bei der Wiedererkennung (keine Beziehungstat, ein Fremder, sie hat ihn nur ein einziges Mal gesehen, Dunkelheit), es gibt keine oder wenige Indizien, die zum Ausschluß anderer möglicher Täter und zum Einschluß des Angeklagten führen - dann erst werden Blutuntersuchungen und ähnliches angeordnet. Solche Fälle sind jedoch sehr selten.“

Trotzdem ist sie in der Beurteilung der neuen genetischen Methode gespalten: „Jede Technik, die zur Identifizierung und Verurteilung von Vergewaltigungstätern führen kann, ist erstmal richtig. Es sollte da nicht aufs Geld geachtet werden; sonst werden ja auch keine Kosten gescheut. Allerdings stellt sich die Frage, ob nicht eine Technik, die erst einmal zu Gunsten von Frauen eingeführt wurde, nicht am Ende auch uns, gerade uns, größeren Schaden bringt als Nutzen. Das muß man vorher sehr genau prüfen.“