Bürgermeister-Marsch auf Bonn in dieser Form nicht diskutiert

Interview mit dem Präsidenten des Deutschen Städtetages, dem Hannoveraner Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg, zu dem Strukturhilfegesetz, das am heutigen Mittwoch im Bundeskabinett beraten wird / SPD- und CDU-Kommunen enttäuscht darüber, daß von „Albrecht-Plan“ nichts übrig blieb  ■ I N T E R V I E W

Heute wird im Bundeskabinett der von Finanzminister Stoltenberg vorgelegte Gesetzentwurf über jährliche Finanzhilfen des Bundes in Höhe von rund 2,45 Milliarden DM beraten. Im einzelnen sollen Nordrhein-Westfalen 756 Millionen DM (30,9 %), Niedersachsen 652 Millionen (26,6 %), Rheinland-Pfalz 272 Millionen (11,1 %), Schleswig-Holstein 252 Millionen (10,3 %), Bayern 158 Millionen (6,4 %), Saarland 112 Millionen (4,6 %), Berlin 72 Millionen, Hamburg 113 Millionen und Bremen 63 Millionen in den nächsten zehn Jahren per anno bekommen. Über den Verteilungsschlüssel ist in den vergangenen Monaten innerhalb der CDU intensiv gekungelt worden. Ursprünglich hatte der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht der Bundesregierung damit gedroht, der geplanten Steuerreform im Bundesrat nicht zuzustimmen, sollte Bonn sich weiter weigern, die Hälfte der auf 20 Milliaden DM gestiegenen Sozialhilfekosten, die von den Städten aufgebracht werden, zu übernehmen. Dieser Albrecht-Plan war von den süddeutschen CDU-Ländern vehement bekämpft worden. Auf Vorschlag von Späth entstand daraufhin die Idee von der Strukturhilfe, in deren Genuß mit Ausnahme von Hessen und Baden-Württemberg, nun alle Bundeländer kommen. Die hessische Landeregierung lehnt den Stoltenberg -Entwurf ab und erwägt eine Verfassungsklage. Die Grünen in Bonn haben inzwischen in einem eigenen Gesetzentwurf die ursprüngliche Albrecht-Idee aufgenommen. Nach diesem Gesetz soll die Bundesregierung zur Übernahme der Hälfte der anfallenden Sozialhilfekosten gezwungen werden. Die Kritik der SPD-Länder, die sich ursprünglich mit Albrecht in Sachen Sozialhilfe verbündet hatten, wird dagegen immer leiser. Selbst der sozialdemokratische Oberbürgermeister von Hannover, Herbert Schmalstieg, als Präsident des deutschen Städtetages mir dem Elend der kommunalen Finanzen bestens vertraut, vermeidet in einem Interview mit der taz alle barschen Töne. Nach der Devise „besser als nichts“ greifen auch die Sozialdemokraten - und schweigen. w.j.

taz: Herr Schmalstieg, was können die Gemeinden von dem heute im Kabinett zur Beratung anstehenden Strukturhilfegesetz erwarten?

Herbert Schmalstieg: Die Gemeinden werden in den nächsten Jahren für Investitionsvorhaben Zuschüsse in einer Größenordnung von 2,4Milliarden DM erhalten. Die Frage ist, inwieweit diese Mittel den Gemeinden tatsächlich direkt zufließen und ob nicht zuviel zur Sanierung der jeweiligen Landeshaushalte eingesetzt wird. Wir hatten sehr große Hoffnung in den sogenannten Albrecht-Plan gesetzt, weil er alle Städte und Kreise von den überdurchschnittlich steigenden Sozialhilfekosten entlastet hätte. Dieser Effekt ist durch das nun in Aussicht stehende Strukturförderungsprogramm nicht zu erreichen.

Von dem eigentlichen Albrecht-Plan ist nichts geblieben?

Davon ist nur sehr wenig übrig geblieben. Natürlich sollen die Länder die Gelder vor allem den strukturschwachen Regionen zur Verfügung stellen. Dadurch könnte sich die Arbeitsmarktsituation vor Ort entspannen und weniger Sozialhilfe anfallen, aber das ist nur zu erreichen, wenn die Gemeinden entsprechende Investitionen mitfinanzieren können, und das ist fraglich. Uns wäre es darauf angekommen die über 20Milliarden DM, die die Städte und Kreise pro Jahr für Sozialhilfe aufwenden zu reduzieren, zumindestens aber von den vier Milliarden entlastet zu werden, die die Städte und Kreise wegen der Arbeitslosigkeit an Sozialhilfe zahlen.

Sie sind nicht zufrieden, nehmen die Strukturhilfe aber an, weil es besser als nichts ist?

Wir werden nicht lockerlassen, eine Befreiung von systemfremden Kosten - und das sind weitgehend die Sozialhilfekosten - zu fordern. Mit dem Strukturhilferom ist das nicht erledigt.

Herr Albrecht hat ja schon einen Teil dieser Gelder für die Haushaltssanierung vorgesehen. Werden sie das akzeptieren?

In Niedersachsen sollen 150 der 652 Millionen DM an die Städte und Gemeinden weitergegeben werden. Weitere 150 Millionen sind als direkte Förderprogramme für die Städte und Gemeinden im Gespräch. Wir müssen das erst mal abwarten, aber das reicht mit Sicherheit nicht aus, denn zur Haushaltssanierung des Landes sind die Mittel nie gedacht gewesen. Wenn das mit den Sozialhilfekosten so weiter geht, dann ist die Zeit nicht mehr so fern, wo viele Städte nur noch Sozialhilfe-, Personalkosten und Zinszahlungen leisten können.

Sind Sie sich da mit den CDU-Bürgermeistern einig?

Daß die Strukturhilfen weitgehend an die Städte und Gemeinden fließen sollen, ist in den Gremien des deutschen Städtetages einstimmig gefordert worden. Gleiches gilt für die Forderung nach Erstattung der durch Arbeitslosigkeit bedingten Sozialhilfe.

Öffentlich hört man von ihnen nicht viel.

Wir begrüßen das Strukturhilfeprogramm auch wenn damit ein Großteil unserer Probleme nicht gelöst werden können und wir selbst lieber einen anderen Weg beschritten hätten.

Warum verschaffen sich die kommunalen Vertreter nicht lauter Gehör, etwa so wie im Streit um die Flugbenzinsteuer?

Wir haben massiv unsere Forderungen vorgetragen, z.B. Herr Rommel und ich auf einer gemeinsamen Pressekonferenz zur Steuerreform. Ein Beteiligungs- und Mitwirkungsverfahren der Kommunen ist bei den Strukturhilfen aber nicht gegeben. Beim Flugbenzin gab es eine große politische Bewegung vor Ort, so daß die Bonner Politik unter Druck geriet. Das ist jetzt nicht so. Wenn durch Bonner Entscheidungen Geld in den Kassen der Städte und Gemeinden fehlt, erkennt der Bürger den Verursacher nicht deutlich. Bonn ist dann weit weg.

Einen Bürgermeistermarsch nach Bonn haben Sie nie in Erwägung gezogen?

Das ist in dieser Form nicht diskutiert worden.

Das Interview führte Walter Jakobs