„Die Wahl ist eine modifizierte Form der Apartheid“

Am 26.Oktober sind in Südafrika Kommunalwahlen / Möglichkeit der Vorauswahl und zusätzlich eingerichtete Wahllokale sollen für hohe Wahlbeteiligung sorgen / Ansturm auf die Urnen bislang ausgeblieben / Boykottaufrufe seit Monaten verboten  ■  Aus Johannesburg Hans Brandt

„Wählt vom 10. bis 22.Oktober und vermeidet den großen Andrang am letzten Tag!“ Mit ganzseitigen, bunten Zeitungsanzeigen versucht die südafrikanische Regierung, die Bevölkerung an die Urnen zu locken. Eigentlich finden die landesweiten Kommunalwahlen erst am 26.Oktober statt. Aber eine Regelung erlaubt es jedem Wähler, ohne Angabe von Gründen schon im voraus zu wählen - ein Versuch, eine so große Wahlbeteiligung wie möglich zu erzielen. Immerhin steht bei diesen Kommunalwahlen das gesamte, sogenannte Reformprogramm des Apartheid-Regimes auf dem Spiel. Sehr erfolgreich sind die Aufrufe allerdings nicht.

„Ach ja, es ist ziemlich ruhig. Ein paar Leute sind gekommen, aber nicht viele.“ Der weiße Polizist, der den Eingang zum Wahllokal in der Nähe des Polizeihauptquartiers in Johannesburg bewacht, langweilt sich. Einige Meter entfernt stehen noch zwei seiner schwarzen Kollegen und spielen mit ihren Schrotgewehren. Dies ist eines von zwei Wahllokalen im weißen Johannesburg, die eigens für schwarze Wähler aus Soweto eingerichtet wurden.

„Kommt rein, wählt noch schnell. Es dauert nur ein paar Minuten.“ Der Mann mit der weiß-roten Schirmmütze gehört zur „Sofasonke Partei“, einer der größten in Soweto. Die Partei stellt Kleinbusse zur Verfügung, um Wähler in die Stadt zu bringen. Es kommen alte Leute, die kaum lesen und schreiben können. „Warum wählen Sie?“ frage ich eine alte Frau, die ein dickes Kopftuch zur Seite schieben muß, um mich hören zu können. „Ich bin Parteimitglied“, sagt sie. Die „Sofasonke„ -Mitglieder bemühen sich jedoch vergebens, die vorbeigehenden Leute in das Gebäude der Provinzverwaltung zu locken. Ohne stehenzubleiben, eilen die Passanten vorbei.

Im Wahllokal im ersten Stock sitzen die weißen Wahlbeamten hinter ihren Tischen und plaudern. Eine Frau strickt, eine andere trinkt Cola. Die beiden Polizisten, die die Urne bewachen, sitzen mit aufgestütztem Kopf neben dem versiegelten Metallkasten. „Wir erwarten mehr Zulauf zur Mittagsstunde“, sagt der vorsitzende Wahlbeamte, Gerald Page, hoffnungsvoll. „Und dann haben die großen Arbeitgeber und die staatlichen Behörden versprochen, daß sie ihre Arbeiter in Gruppen herbringen werden.“ Page und seine 16 Helfer sind Provinzbeamte, die für die zwei Wochen der Vorauswahl an die Soweto-Verwaltung abgestellt wurden. „Einige von unseren Leuten arbeiten auch in Soweto, weil sie dort nicht genug Wahlhelfer finden konnten“, sagt Page.

Die Möglichkeit der Vorauswahl und die Einrichtung von Wahllokalen in Johannesburg sind Versuche, möglichst viele Einwohner von Soweto zur Abgabe ihrer Stimmen zu bewegen. „Wir haben Informationen, daß bis zu 80 Prozent aller Leute wählen wollen, aber sie haben Angst vor Einschüchterung durch die Radikalen“, sagt Brigadier Leon Mellet, Sprecher des Ministeriums für Recht und Ordnung. Deshalb sollen die Leute in Johannesburg wählen können, ohne von Nachbarn beobachtet zu werden.

Der Stadtdirektor von Soweto, Nico Malan, erwartet, daß der 26.Oktober selbst ruhig sein wird. „80 Prozent der Stimmen werden im Voraus abgegeben,“ prophezeit er.

Für die Regierung sind die Kommunalwahlen ein wichtiger Test für ihre Glaubwürdigkeit. Deshalb wurden Aufrufe zum Wahlboykott schon im Juni infolge des Ausnahmerechts verboten. Mehr als 300 Menschen sind inzwischen für ihren Widerstand gegen die Wahlen ohne Gerichtsverfahren verhaftet worden. Trotzdem haben prominente Kirchenführer zum Boykott aufgerufen. „Die Regierung macht sich der Einschüchterung schuldig, wenn sie Aufrufe zum Boykott der Wahlen mit schweren Strafen belegt“, sagte der anglikanische Erzbischof Desmond Tutu Anfang September und rief zum Boykott auf. „Diese Wahlen sind nicht mehr als eine modifizierte Form der Apartheid“, heißt es in einem Boykottaufruf des Kirchenrates. „Sie sollen eine nichtrassistische Demokratie verhindern.“

Als ich das Wahllokal verlasse, hat die Polizei gerade die Straße abgesperrt. Mehrere Dutzend Polizisten durchsuchen alle Autos und Personen innerhalb der Absperrung. Solche unangekündigten Durchsuchungen finden seit einigen Tagen regelmäßig in allen südafrikanischen Großstädten statt. Auch an den Grenzen warten kilometerlange Autoschlangen, während jedes Fahrzeug genauestens durchsucht wird. Dennoch sind seit Anfang September aus Protest gegen die Kommunalwahlen fast 40 Bomben in Südafrika explodiert.