: Kiefernstraße im Visier des BKA
Die Düsseldorfer Kiefernstraße wird zur bundesweiten „RAF-Befehlszentrale“ hochgelogen / Verhaftung eines Bewohners aufgrund abenteuerlicher BKA-Konstrukte / BewohnerInnen unter ständiger Polizeibeobachtung ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs
Am 4.Oktober 1988 um 10 Uhr krachte es an der Tür von Rolf H. in der Düsseldorfer Kiefernstraße. Sekunden später, bevor er die Tür öffnen konnte, flog Rolf H. samt einer Gruppe von SEK-Beamten in seine Wohnung zurück. „RAF-Mann festgenommen“, lautete tags darauf die Schlagzeile der 'Neue Rhein Zeitung‘. Rolf H., früherer Aufbauhelfer in Nicaragua, lebte seit knapp zwei Jahren in der Kiefernstraße ordentlich gemeldet.
Der Bundesanwaltschaft gilt die Kiefernstraße laut 'Welt‘ „als eine der bedeutendsten Befehlszentralen und Stützpunkte der RAF in der Bundesrepublik“. Allerdings: Wenn diese Behauptung zuträfe, dann operierte die RAF unter der permanenten Oberaufsicht der Polizei. Es gibt wohl in der Bundesrepublik keine Straße, die unter so vollständiger polizeilicher Observation steht. Im Visier haben die Beamten ein buntes Gemisch von Hausbesetzern der unterschiedlichsten politischen Couleur, unter ihnen auch Menschen, die sich als linke „Revolutionäre“ begreifen. Inzwischen hat der Staatsschutz sechs ehemalige in der Kiefernstraße wohnende Personen verhaftet. Einer von ihnen, Christian Kluth, ist in Stammheim u.a. wegen Mitgliedschaft in der RAF zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Ein Urteil, das „sich wohl auf die dürftigsten Indizien stützte, mit denen jemals in einem RAF-Verfahren operiert wurde“, so ein langjähriger journalistischer Beobachter der Stammheimer Prozesse.
Rolf H. besuchte in Stammheim regelmäßig Eva Haule -Frimpong, die zusammen mit Christian Kluth festgenommen und u.a. wegen RAF-Mitgliedschaft zu 15 Jahren verurteilt worden war. Daß der Staatsschutz ihn im Visier hat, wurde spätestens am 7.Mai 1988 klar. An diesem Tag nahmen BKA -Beamte den 26jährigen direkt nach dem Besuch im Stammheimer Knast fest und brachten ihn zum LKA-Stuttgart zur erkennungsdienstlichen Behandlung. Rolf H. sei, so der Vorwurf, von Zeugen als Fahrer eines Fahrzeuges, das vom BKA nach einem Unfall verlassen in Düren gefunden und als RAF -Fahrzeug eingeschätzt worden war, identifiziert. Nach der von Rolf H. als „brutale Folter“ bezeichneten ED-Behandlung ließ man ihn wieder frei. Seine Fingerabdrücke stimmten nicht mit den im Wagen gefundenen überein.
Jetzt wird Rolf H. erneut die Mitgliedschaft in der RAF und die Beteiligung an den Anschlägen auf die Flugzeugfirma Dornier und das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln vorgeworfen. Ein Schriftgutachten habe, so streut das BKA an einschlägige Journalisten aus, Übereinstimmung zwischen dort gefundenen Schriftstücken und einer Schriftprobe von Rolf H. festgestellt. Diese angebliche Übereinstimmung von Schriftproben ist das einzige Indiz, das die Bundesanwaltschaft für eine Beteiligung ins Feld führt. Schon in dem Verfahren gegen die ehemalige Kiefernstraßenbewohnerin Andrea S. spielten die Schriftproben eine zentrale Rolle. Die BKA -Schriftgutachterin hatte es lediglich als „möglich“ bezeichnet, daß die Schriftverursacherin auf den Briefumschlägen, mit denen die Tatbekennung verschickt worden sein soll, mit der Schrift von Andrea S. identisch sei. Auf der Skala entschied sich die BKA-Gutachterin für die „6“, die den schwächsten Grad der Übereinstimmung charakterisiert. Daraufhin orderte die Bundeanwaltschaft ein Privatgutachten bei dem Hamburger Prof.Oeckelmann, der ein hohes Maß an Übereinstimmung (Wert „2“) festgestellt haben will. Nach Auskunft der Rechtsanwälte hatte die BKA -Sachverständige im Stammheimer Prozeß ausgesagt, daß bei den verschiedenen Gutachtern normalerweise „lediglich eine Abweichung um eine Stufe“ erfolgen könne. Der Privatgutachter schaffte „4“!
Die Leute von der Kiefernstraße haben jetzt „die Schnauze voll“ von „Durchsuchungen, Medienhetze und Kriminalisierung“. Für den Donnerstag rufen sie zu einer Demonstration auf: Treffpunkt 17 Uhr Schadowplatz in Düsseldorf. Morgen steht die Kiefernstraße im Düsseldorfer Landtag auf dem Programm. Die Oppositionsparteien fordern von dem Innenminister und der Stadtverwaltung ein härteres Vorgehen gegen die Straße, die für den CDU-Fraktionschef Worms schlicht ein „Terrornest“ ist.
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