Ick war all hier

■ Heute abend in der Glocke, 20 Uhr: Irish Folk Festival 88 mit Dolores Keane & John Faulkner, Gerry & Martin O'Connor, Andy M. Stewart & Manus Lunny, Micho Russell, Davy Spillane Band: Musik, die die deutsche Welt eroberte

Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre gab es eine Klampfenbewegung, jugendbewegt am Lagerfeuer oder im eigenen Jugendfreizeitheim oder politisierend auf der Straße. Und zwischendrin immer wieder fremd klingende Töne aus Dudelsack oder „Wild Rover“ von den Dubliners - die Volksmusik eroberte auch die deutsche Welt.

Und die Iren, dieses kleine, tapfere Völkchen, waren immer dabei, hatten sogar oft die Nase vorn, wenn es galt, zum Tanz zu spielen, für Stimmung zu sorgen oder sentimental -melancholische Balladen zu singen. Wohl in keinem anderen Land - mit Ausnahme der USA - hat der Irish Folk soviele Anhänger gefunden wie bei uns - wohl auch ein Ausdruck tiefer Sehnsucht nach dem eigenen, verschütteten oder ideologisch pervertierten Volkserbe.

Wie leicht haben es da die Iren! Als Nation zwar geteilt und zerrissen, aber die kulturelle Identität haben sie sichnie nehmen lassen: geeint im Kampf gegen die verhaßten Engländer und andere Unterjocher, einig im Stolz auf ödie eigene Leistung, die in einem ewig währenden Kampf der Natur immer gerade soviel abzutrotzen imstande ist, daß man überleben kann.

Aus solchem Holz werden die Helden geschnitzt, da entstehen Legenden, mit denen sich der Mann auf der Straße identifizieren kann. Die alte Mär: arm, aber ehrlich, noch nicht korrumpiert von den Verlockungen des kapitalistischen Wohlstands.

Und dann die Natur! Die sanften, grünen Hügel als romantisches Ruhekissen, die schroffe Felsküste als Sinnbild des brutalen Kampfes ums nackte Überleben - da muß das deutsche Herz doch ins Schwärmen geraten. Wenn die eigene Natur längst dem Untergang geweiht ist, richtet sich der Blick eben in die Fremde.

Die irische Musik bildet ein ideales Transportmittel für die Klischees, die viele Deutsche aus ihrem Urlaub von der grünen Insel mitbrachten.

Dudelsack und Tin Whistle wurden ebenso wie Guiness oder der beißende Qualm der Torffeuer zu Synonymen für einen Volkscharakter, den man schon ob seiner Einfachheit bewundern mußte. Zurück in der Heimat konnte man sich dann an der Musik der Planxtys, Clannads und Dubliners laben, entrückt vom unseligen deutschen Alltag.

Aber das Irland von heute bietet kaum noch Anlaß zur Romantik: Umweltzerstörung, Zersiedlung der Landschaft, Inflationsraten von mehr als 20% sind die bestimmenden Faktoren. In den Pubs regiert statt der Musik das Fernsehgerät, die Auswandererquote steigt beständig. Ob die Musiker heute Abend etwas dazu zu sagen haben? Oder ob nicht doch die Pogues die realistischere Variante des Irish Folk bieten: „Rum, sodomy and lash“.

JüS