SERENDIPITY IN BERLIN

■ Interview mit Stephen Bruce, Warhol Modell und Restaurantbesitzer

Als er davon erzählte, daß Freunde früher von ihm sagten, er hätte Augen wie eine Katze - lacht er - zieht seine schmalen Augen mehr zusammen: blinzelt, weiß um die Gabe, sie nicht nur als 'Sehinstrument‘ einzusezen, er lacht mit seinen Augen. Dies und anderes mögen Andy Warhol an seinem 'Modell‘ Stephen Bruce interessiert haben. 22 Zeichnungen sind 1954 von ihm entstanden, die jetzt in der Galerie Sonne (unter anderem) zu sehen sind. Für die Eröffnung der Ausstellung, extra aus New York nach Berlin gekommen, hatte ich Gelegenheit, mit dem Inhaber vom 'Serendipity‘ über New York, sein Restaurant und natürlich über Andy Warhol zu reden.

taz: Vielleicht wäre es interessant, zunächst über ihr Restaurant in N.Y., über 'Serendipity‘, zu sprechen.

Stephen Bruce: Serendipity in New York ist nun 35 Jahre alt. Wir waren damals drei junge Männer. Zwei von ihnen waren eigentlich am Theater interessiert, sie waren Tänzer und Schauspieler. Ich interessierte mich für Innenausstattung und Design im allgemeinen. Wir dachten daran, einen Laden, eine Art Cafe aufzumachen, um Geld zu verdienen, weil wir zur Schule gingen. Anfänglich hatten wir nur abends von 17 bis 1 Uhr nachts geöffnet und es gab nur Kaffee und verschiedene Desserts, alles in einem eher europäischen Stil. Einer von meinen Freunden schrieb Theaterkritiken, er war so etwas wie ein, wir nennen es 'word-smith‘ - er sammelte ungewöhnliche Wörter. Er fand 'serendipity‘ in einem Kreuzworträtsel der 'English Times‘. Das Märchen von Serendipity erzählt von drei Prinzen, die die ganze Welt bereisten, um ungewöhnliche Dinge zu finden. Es lag auf der Hand, 'Serendipity‘ war ein perfekter Name für uns, ein Restaurant aufzumachen, weil wir ja auch drei junge Männer waren, auf der Suche nach ...

'Serendipity‘ heißt also, die Kunst, ungewöhnliche Erfahrungen zu sammeln. Und wenn du am wenigsten damit rechnest, machst du die Erfahrung und man hat die Fähigkeit, es zu akzeptieren und Vorteil daraus zu ziehen.

Wir hatten von Anfang an ein besonders künstlerisches und kreatives Publikum, wie Modemacher, Journalisten, Schriftsteller, ja, und eines Tages kam Andy Warhol ebenfalls.

Kann man 'Serendipity‘ vielleicht mit einem der berühmten Berliner Cafes der zwanziger Jahre vergleichen, die eben viel mehr als nur ein Cafe waren, sie waren wichtiger Treffpunkt für Literaten und Künstler?

Ja, genau, ich denke ja. Wir hatten ein sehr buntgemischtes Publikum. Es war fast wie ein privater Salon, über den die Leute sich untereinander informierten. „Du mußt ins 'Serendipity‘ gehen, sie machen ungewöhnliche Desserts, sie haben ungewöhnliche Ware und ... die drei Besitzer sind sehr ungewöhnlich! Ja, ich glaube, das ist ungeheuer wichtig, wenn man irgendwo hingeht, schaut man immer, wie sind die Leute, die hinter der Theke stehen, die bedienen ... das Geschäft spiegelt die Persönlichkeit des Besitzers wider.

Was war ihr Anteil am Beginn der Sache?

Wenn man ein 'Abenteuer‘ beginnt, muß jeder alles machen, also fingen wir an, indem wir unsere eigenen Kuchen, unsere eigenen Desserts machten, und natürlich mußte auch abgewaschen werden! Ja, und eines Tages kam Andy Warhol vorbei, er hatte eine Vorliebe für alles Süße und somit für unsere Desserts. Wir waren bekannt für unseren 'Picken-Pie‘. Also, bei uns machte er seine Pausen während seiner Touren zu den verschiedenen Werbeagenturen, wo er seine Mappe präsentierte. Bei dieser Gelegenheit zeigte er uns seine neuen Sachen.

Andy hatte eine Vorliebe für schöne Dinge - schöne Menschen eingeschlossen; er umgab sich immer mit sehr schönen Männern und Frauen. Er kam hierher, um seinen Kaffee zu nehmen, um zu erzählen, er redete mit mir und zeigte mir seine Zeichnungen. Eines Tages schlug ich ihm vor, warum rahmen wir die ganzen Bilder nicht und die Leute können sie kaufen, wenn sie wollen, er hatte gerade mit seinen handkolorierten Zeichnungen angefangen zu dieser Zeit. Er arbeitete für Henry Bendall und machte Schuhreklame. Er machte zum Beispiel 20 Zeichnungen, aber sie wollten nur eine kaufen, so rahmten wir die restlichen und wir hingen sie an die Wand zum Verkauf. Wir hingen sie auch an die Decke, was sehr irritierend war; die Leute saßen bei ihrem Kaffee, waren am schwätzen und wenn sie hochschauten, sahen sie eine Zeichnung an der Decke, was zu dieser Zeit etwas sehr Neuartiges war. Ja, wir verkauften die Bilder von 15 bis 20 Dollar, was sehr, sehr billig war - die Rahmung eingeschlossen!!

Eigentlich waren wir die erste 'Andy Warhol Factory‘. Als er die ersten Male zu uns kam, machte er nur den Druck seiner Zeichnungen und setzte sich mit seinen Leuten an einen großen Tisch, wie diesen hier und verteilte Tinte und Wasserfarbe und überließ das Kolorieren seinen Freunden, wie etwa die Schuhe oder die Schmetterlinge in der Galerie Sonne. Etwas später, als er bekannter wurde, brachte er Leute mit, ihm bei den Zeichnungen zu helfen. Er verfolgte die Idee der Vervielfältigung, des Multiplen also von einem frühen Zeitpunkt an.

Die Serie von 22 Zeichnungen, die er von ihnen machte, entstand wohl sehr schnell. Der Titel der Serie lautet: „Playbook of you Stephen Bruce from 2:30-4:00 Andy W.“ Wie arbeitete er für diese Serie?

Ja, das ist richtig, er arbeitete sehr schnell, mit einem Kugelschreiber. Er sagte, „setz‘ dich dorthin, zeig‘ dein Profil. Dreh‘ dich soherum und wieder andersherum etc.“. Er sagte immerzu: „Laß mich dies und das probieren“, da ist eines mit einem Bein auf dem Tisch und eines nur mit meinen Hosen etc. Es war alles so neuartig, was er machte. Ja, er machte die Zeichnungen wirklich schnell, am Ende war ich überrascht, daß er so viele gemacht hat. Dann sagte er noch: „Warte einen Moment, ich zeichne noch ein Auge - ein Ohr“ und dann sagte er „Almost - almost“ und auf einem großen schwarzen Blatt Papier hieß es „the end“. Er machte also eine 'Suite‘, eine Folge, eine zusammengehörige Komposition: er machte eine Geschichte. Es war nicht 'irgendetwas‘, gerade mal so dahin gezeichnet, er machte eine Serie daraus und er brachte bestimmte Gedanken, Ideen mit ein - es war eben eine Komposition. Es hatte seine eigene Totalität, einen ganzheitlichen Anspruch.

Es ist ein großartiger Wurf, das Ganze wirkt sehr geschlossen, es findet überhaupt keine Unterbrechung statt, es ist wirklich eine Geschichte.

Ja, und zudem ist sie noch sehr spontan, ich glaube, Andy mochte mich sehr zu dieser Zeit und seine Gefühle kommen in den Zeichnungen zum Ausdruck, sie waren sehr spontan. Das Ganze wirkt wie eine emotionale Befreiung, könnte man sagen.

Und dann wurde Andy bekannter, weil er verschiedene Ausstellungen hatte. Mit seinen Schuhzeichungen war er sehr populär geworden, aber er wollte sein Repertoire erweitern und begann nun Bücher über Engel, über Katzen und eines über 'Essen‘ zu machen. Er begann auch mit seinen Goldzeichnungen, wie die eine in der Galerie zu sehen ist. In den Jahren 54/55 begann eine sehr kreative Periode, die bis 59/60 dauerte, als er begann, zu anderen, größeren Galerien zu gehen, die ihn zu seinem größeren Vorteil ausstellen konnten.

Haben Sie eine Zeichnung aus der Serie, die Sie besonders gut finden, oder ist es richtiger, keine hervorzuheben und es als Gesamtheit zu betrachten?

Doch, ich habe schon ein paar Lieblingszeichnungen. Einige der Profile zum Beispiel, ich finde sie sehr klar und scharf, sie definieren, wer ich zu dieser Zeit war, deshalb mag ich sie vielleicht besonders. Aber wenn ich mir die Serie anschaue, die verschiedenen Gefühlsmomente, der unterschiedliche Ausdruck - es ist ein solch komplettes 'Bild‘ ... wenn ich das Ganze betrachte - ich mag sie alle sehr! Er hat kein Mal falsch angesetzt, oder so, als wenn er begonnen hätte und es wieder verworfen hätte, es gab keine falsche Bewegung, keine falsche Linie - es zeigt, was für ein großer Zeichner er war. Alles hat seinen richtigen Platz, auf dem Blatt richtig angeordnet.

Besonders ausdrucksstark und schön finde ich die Arbeiten, die Ihre Augen in den Mittelpunkt rücken, ich denke, Sie bekommen das sehr oft gesagt, daß Ihre Augen besonders ausdrucksvoll sind?

Ja ja, als ich sehr jung war, sagte man, ich hätte Augen wie eine Katze! Es heißt, die Augen seien der Spiegel der Seele, und so gesehen sind die Augen sehr wichtig und ausdrucksstark. Sie können sehr schön sein, aber auch kalt und gemein. Sie sind vielleicht deshalb so expressiv, weil ich glaube, daß die Menschen vor allem auf die Augen reagieren, und sie wollen eine Art 'feed back‘, wenn sie jemanden anschauen.

Glauben Sie, Andy Warhol hatte von Beginn an im Sinn, künstlerisch tätig zu sein?

Er ging auf die Kunsthochschule und kam nach N.Y., um in der Werbung einen Job zu finden, das war ein recht schneller Weg, Geld zu verdienen für einen Künstler. Die Zeitungen in N.Y. sind voll mit Reklame, aber du mußt dich durchsetzen können, dein Stil muß ungewöhnlich sein, soundsoviele wollen den gleichen Job. N.Y. ist die kreativste Kapitale der Welt. Jeder kommt nach N.Y., der künstlerisch arbeiten möchte, um hier vielleucht seine Zukunft zu finden.

Haben Sie immer Kontakt zu Andy Warhol gehabt?

Ja, er kam oft ins Restaurant, und dann begann er bald 'Interview‘ zu produzieren. Jeden Monat kam er in den Laden und brachte ein oder zwei Dutzend 'Interview'-Zeitungen mit, um sie den Kunden auf die Tische zu legen oder um einige zu signieren und den Kellnern zu schenken. Er war immer sehr großzügig mit seiner Kunst, weil er - so nehme ich an davon ausging, daß Kunst gesehen werden sollte. Wenn man es einer Person gibt, werden es 100 andere auch sehen, das war vielleicht Teil seiner Idee, seines Konzepts, und außerdem half es ihm, anzufangen.

Wie reagierten die Leute, die eine Zeitung bekamen, kannte er sie?

Er kannte sie nicht und sie waren begeistert, er ging einfach zu einem Tisch und gab ihnen eine. Andy war eine auffallende Persönlichkeit, mit seinen weißen Haaren; er kam immer mit fünf oder sechs Personen. Er setzte sich an einen Tisch, wie wir hier, und er hatte ein Tonband laufen, um die Konversation mitzuschneiden, er bestellte Desserts für alle, dort lag ein Stapel 'Interview'-Zeitungen. Leute kamen und fragten ihn nach Autogrammen; das ganze Restaurant war für ihn so etwas wie seine 'Spielwiese‘. Er war sein bester Verkäufer und hatte diesen Stil von Anfang an, er machte seine eigene PR und wußte sich selber zu fördern. (promote)

Was ein Teil ist, 'Kunst‘ zu machen ...

Ja, darüber gibt es überhaupt keinen Zweifel. Typisch für ihn war, daß er nie nur im Atelier gearbeitet hat. Er war nicht in einem Elfenbeinturm und wartete auf die große Inspiration. Er ging auf die Straße und sprach mit den Leuten. Ganz oft fragte er nach Vorschlägen. „Was soll ich jetzt machen, soll ich dies oder jenes ausprobieren?“ Und sie sagten ihm etwas, und sehr oft tat er es schließlich.

Deshalb ist seine Kunst so nah an den Fünfzigern und Sechzigern und später sehr nah an unserer Zeit. Ich glaube, das muß Kunst sein, wenn sie für andere Zeiten Gültigkeit und Bedeutung haben soll.

Ja, die Leute müssen darauf reagieren können, sie müssen es fühlen; wenn man es nur von Weitem betrachtet, wird man nicht Teil davon. Es ist wie ein Spiegel einer Zeit, die Reflexion auf eine Periode. Andy begann eine Bewegung, alltägliche Objekte als Kunst zu behandeln, alles, was man sieht, aber auf das man gewöhnlicherweise nicht reagiert, wie auf ein anderes Zeichen. Die 'Campel Soup Can‘ zum Beispiel, er machte sie sehr berühmt. Er brachte diese Alltagsobjekte heraus, damit die Leute darauf reagieren konnten, in einer anderen Art und Weise, als sie es gewohnt waren, und das war das erste Mal, das so etwas geschah.

Er folgte hiermit wohl ein wenig den Ideen Duchamps‘, während die Zeichnungen, gerade die von Ihnen, an Cocteau erinnern.

Ja, ich bin sicher, Andy war von Cocteau beeinflußt zu dieser Zeit. Cocteau war sehr 'en vogue‘ in jenen Jahren in N.Y. Das war die Zeit, in der wichtige Filme von ihm herauskamen, 'Das Blut des Poeten‘ beispielsweise, das lag alles sehr in der Luft. Natürlich sind die Zeichnungen auch stark von Matisse beeinflußt, die einfache, scharfgeschnittene Linie - auf jeden Fall.

Glauben Sie, Andy Warhol würde Berlin gemocht haben? Ich weiß, daß Sie das erste Mal hier sind, wie empfinden Sie es, hier zu sein?

Ich finde, Berlin ist eine sehr internationale Stadt - und sehr warmherzig dabei. Architektur und Straßen befinden sich - im Gegensatz zu N.Y. - auf einem viel humaneren Level. In N.Y. gibt es das nicht, es ist viel 'cooler‘, man muß aggressiv sein, um zu überleben.

Aber Sie leben dort ...

Ja, wir hassen es - aber wir lieben es; es ist immer aufregend. Ihr habt hier eine wesentlich bequemere, behaglichere Existenz und das bei einem geringerem Tempo. Wir nennen das manchmal die menschliche 'rat-race‘, wir sind in Eile, wenn wir zur Arbeit gehen, wenn wir ins Theater und dann zu einer Party gehen, sind weiter in Eile, schnell nach Hause zu kommen, so daß man morgens früh aufwacht, um schnell zur Arbeit zu kommen.

Ich denke, beide Städte haben ihre eigene Persönlichkeit. Ich bin an das Tempo, an die ständige Bewegung in N.Y. gewöhnt, es würde Zeit kosten, bevor ich wirklich entspannen könnte, um meinen Rhythmus in Berlin zu finden.

Das Gespräch führte

Anno Mengen

Ausstellung „Andy Warhol Drawings 1954-86, Handcolored Prints 1955-59“ in der Galerie Sonne, Kantstraße 138, bis 25.11.