Was sein könnte-betr.: "Ich müßte ein Manifest schreiben...", taz vom 3.10.88

betr.: „Ich müßte ein Manifest schreiben...“, taz vom 3.10.88

„Ich müßte ein Manifest schreiben“, zitiert Martin Fischer einen, der keines geschrieben hat. Dafür hat Martin Fischer eines komponiert! „Warum sollte ich wohl“ nennt er sein elektroakustisches Manifest gegen die Phallokratie (arcana Wien). Warum erwähnt das denn keine/r?

Den kompositorischen Materialien - wie Männerstimmen, losfahrende Motorräder und Autos, in der Spielhalle, Fußballpaltz, Saxophon, Vergewaltigung - wurden Texte unterlegt, die geeignet sind, das zu bestätigen, was Musik kann: die Affirmation des Bestehenden, aber auch Kritik von Gegenwart zur Enthüllung dessen, was ist, aber auch dessen, was sein kann.

So kommen u.a. Joschka Fischer (der selbst sooo gern ein Manifest geschrieben hätte, was aber aus Inhaltsmangel ein Papierchen blieb), Peter Handke (der mit dem besonders edlen Schwanz), Schopenhauer, bei dem sich jeder Klammerzusatz erübrigt und Rudolf Augstein (500 mal 'Spiegel‘ statt Manifest) zu Wort. Zu bekannt die Zitate, als daß sie hier wiederholt werden müssen. Nur ein Text weicht ab und zeigt „was sein könnte“:

„Ein immer wiederkehrender Traum. Inmitten einer Männerversammlung fühle ich mich wohl. Wir reden miteinander darüber, wie wir als Männer das zerstörerische Chaos unserer eigenen Kumpanei überwinden können. Wir reden über männliche Sexualität und männliche Angst, über männliche Liebe und männliche Gewalt. Allen gemeinsam ist das Wissen, daß nur der sofortige Ausstieg aus der Spirale männlicher Zerstörung uns Männern, den Frauen, den Kindern und der Welt eine Überlebenschance bietet. Wir Männer schreiben den Verrat auf die Fahnen. Wir beschließen nie mehr Männer zu wählen, nie mehr Männer zu verteidigen, nie mehr Männern gegen Frauen zu helfen.“

Und dabei ist es nur der Text auf einer Schallplatte.

Elke Schüßler, Karlsruhe