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Ein Film für Gewalt

■ 'A world apart‘ - 'Zwei Welten‘ von Chris Menges

Politfilme mga ich nicht. Diese Filme, denen die gute Gesinnung ins Gesicht geschrieben steht und jedes Mittel recht ist fürs Engagement. Die Weißen sind böse, die Schwarzen sind gut, und wir sind gegen Apartheid.

Chris Menges‘ A world apart ist ein Politfilm. Gegen Apartheid in Südafrika - pathetisch und parteiisch.

Aber er verteidigt keine Gesinnung, sondern ein Mädchen. Molly, 13 Jahre alt. Noch trägt sie den Pony brav in der Stirn, die Strickjacke ordentlich zugeknöpft und die Kinderspange im halblangen Haar. Auf der Party probiert sie mit der Freundin den ersten Wein, die erste Schminke und das Kleid mit Ausschnitt. Der Dokumentarfilmer und Kameramann Menges dreht einen Südafrika-Streifen und sieht zuerst die Backfische. Er fängt ihr Tuscheln ein und ihr Kichern, die Twistversuche und den Anblick dieser pickeligen Jungs mit den abstehenden Ohren, die zwar im richtigen Alter sind, aber zu Objekten des ersten zarten Begehrens herzlich wenig taugen. Eine ganz normale Jugend also; Südafrika spielt keine Rolle: A world apart.

Dann passiert es. Mollys Freundin Yvonne unternimmt neben dem ersten Flirt auch die ersten Versuche in Sachen weißes Herrentum. Sie schikaniert den schwarzen Diener, nennt ihn boy. Molly sagt: „Er heißt nicht boy, er ist ein Mann“. Ihre erste politische Aktion (derer sie sich keineswegs bewußt ist) geschieht nicht in Verteidigung der anderen Hautfarbe, sondern aus Interesse am anderen Geschlecht: Dieser Mann wenigstens macht keine lächerliche Figur.

Der Unterschied zwischen Molly und Yvonne: Yvonnes Eltern gehören zu den oberen Zehntausend, Mollys Vater lebt im Untergrund, Mollys Mutter kämpft als Journalistin an der Seite der Schwarzen. Sie wird verhaftet: 90 Tage Präventiv -Haft. Der Film spielt Anfang der sechziger Jahre, damals wurde Mandela verhaftet und das mit den 90 Tagen war gerade eingeführt worden.

Barbara Hershey spielt Diana Roth, Mollys Mutter. Ein schmaler Mund, schmale Augen, ein flaches, ebenmäßiges Gesicht. Eine schöne Frau, aber verschlossen. Ihr Blick gibt nichts preis. Denen nicht, die sie verhören, aber auch nicht ihrer Tochter. Sie ist eine Rabenmutter. Politik ist wichtiger, Mollys Welt dagegen bestenfalls: A world apart.

Barbara Hershey im Knast. Nein, sie wird nicht gefoltert. Kurz bevor es soweit ist, versucht sie sich umzubringen. Spätestens jetzt hat Menges mich gepackt. Erst macht er mir Angst vor den Folterszenen, dann läßt er mich erleichtert aufatmen, als sie die Tabletten schluckt. Ich bin ihr dankbar für ihren Selbstmordversuch. Der Chef der Sicherheitspolizei - angerührt von Dianas Standhaftigkeit, keine Charaktermaske, nicht unsympathisch, aber eben ein Bulle - ist es vermutlich auch. Zwar erspart uns Menges jeglichen Anblick brutaler Gewalt, nicht aber die Entdeckung dieser Gemeinsamkeit. Seine grausame Erleichterung ist meine eigene.

So lehrt er mich hassen. Den Haß auf das Grinsen der Beamten, wenn sie Diana freilassen, bloß um sie für weitere 90 Tage erneut zu verhaften. Den Haß auf ihre staubfreien Anzüge, auf die Kotflügel ihrer schnittigen Limousinen, auf ihren Akzent und wie sie ausspucken, als sie zu ihr ins Auto steigen: einer rechts, einer links. Bei Menges hat das Böse ein Gesicht. Ein Outfit.

Die Kamera nimmt Molly Blick ein. 'Let's twist again‘ - der Plattenspieler steht im Garten, die Kinder hopsen: ein Idyll. 'Let's twist again‘ - Molly Mutter gibt eine Party, die Schwarzen machen die Musik. Dann kommt die Polizei. 'Let's twist again‘ - die Häftlinge müssen im Rhythmus die Gefängnisflure putzen. Das sieht Molly, ihre Mutter sieht es nicht. (Die Geschichte ist authentisch. Shawn Slovo, die das Drehbuch geschrieben hat, war sechs Jahre alt, als ihre Eltern verhaftet wurden. Ihre Mutter wurde 1982 ermordet).

Als Molly mit dem Kindermädchen Elsie in die Slums geht und dort gemeinsam mit der schwarzen Familie ißt, taucht Menges die Tischszene mit den Kindern und dem wunderlichen Alten in ein warmes Dämmerlicht: ein Genrebild. Und das Armband mit den Farben der Befreiungsbewegung ist in Mollys Augen ein Schmuckstück.

Molly am Tor zu Yvonnes Villa, draußen vor den Gittern. Yvonnes Vater, Mr. Abelson, läßt sie nicht rein, für ihn ist sie die Tochter eines Kriminellen. Die Mutter ist eingesperrt, Menges filmt die ausgesperrte Molly. Mr. Abelson will sie im Wagen nach Hause fahren , sie flüchtet, er fährt hinterher, zerrt sie ins Auto. Die einzige Hetzjagd in Zwei Welten ist die auf Molly.

Menges arbeitet mit Kontrasten: erst die Party bei Molly mit den Schwarzen und der Polizei, dann die Party bei Yvonne mit Rouge und den boys. Erst die Aufseherinnen im Knast, dann die Lehrerin mit Trillerpfeife am Swimmingpool der Schule. Schnitt, Gegenschnitt. Nur eines bleibt gleich: Afrikas Sonne. Ein immer warmes, mildes Licht, versöhnend wie Morgenrot und Abendstimmung. (Der Film ist frühmorgens oder am späten Nachmittag gedreht.) Auf die Geburtstagstafel von Mollys Schwester fällt es genauso wie auf die Verhaftung der Mutter. Am Ende haßt man selbst die Sonne, daß sie es wagt, weiter zu scheinen.

Elsies Bruder Solomon wird ermordet. Beim Begräbnis Sprechchöre, Kirchenlieder, Parolen und Filmmusik: pathetisch mit Synthesizer und dröhnenden Bässen. Die Massenkundgebung als Oper. Zum erstenmal stehen Mutter und Tochter nebeneinander; Molly hebt die Faust, sie kann das noch nicht richtig. Großaufnahme. Da stört ein Geräusch, ein Brummen erst, etwas Arhythmisches, Unmusikalisches; die Kamera fährt in die Totale: längst ist die Trauergemeinde von Polizei, Jeeps und Hubschraubern umzingelt. Ein junger Schwarzer hebt einen Stein, holt aus zum Wurf. Das Bild gefriert. Man möchte an seiner Stelle den Stein werfen. Ein gewaltiger Filmschluß: ein Plädoyer für die Wut, ein Film für Gewalt. Der erste, der mich überzeugt. Nicht weil er seine Sache mit Pathos vorträgt, sondern weil sich das politische Pathos am Privaten entzündet, an intimen Beziehungen. Erotischen Beziehungen: denen zwischen Mutter und Tochter, zwischen den Freundinnen (und den boys), Molly und dem Kindermädchen, zwischen der Widerstandskämpferin und dem Polizeichef. Menges verwickelt uns in diese Beziehungen, verwirrt die Fronten; gerade das gibt ihm das Recht, die Entscheidung zu verlangen. Nicht von vornherein, sondern am Ende: die unbedingte Parteinahme. Mit einer Vehemenz, wie ich sie heftiger im Kino selten erlebt habe.

Christiane Peitz

Chris Menges: Zwei Welten (A world apart), Drehbuch: Shawn Slovo, Musik: Hans Zimmer, mit Barbara Hershey, Jodhi May, Linda Mvusi, GB 1987/88, 112 Min.

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