Die Leidensweibgeschichte

■ In den Siebzigern entdeckte die Frauenbewegung die Schriftstellerei / Von Anfang an gab es beides: die Bekenntnisliteratur und ihre ästhetische Kritik / Seitdem hat sich nicht viel verändert: Nur die Literaturkritikerin ist von der süchtigen Neugier nach Feministisch-Biographischem endlich erlöst

Christel Dormagen

Christel Dormagen, einige Jahre Redakteurin bei der Frauenzeitschrift 'Courage‘, lebt heute als freie Journalistin in West-Berlin.

Zwanzig Jahre Frauenbewegung“ heißt die Serie. Zu allenfalls zehn Jahren kann ich ein bißchen mitreden. Und zwar über das, was vor Eintritt in die Frauenbewegung und nach Austritt aus derselben mein Fachgebiet war und ist: das „schöngeistige Druckwesen“, respektive die Literatur.

Über die vollzog sich prototypisch auch besagter Einstieg: Die Gymnasiumsdeutschlehrerin mit Interesse an Feministischem nahm sich den allerersten Band der später berüchtigt-berühmten Rowohlt-Reihe „neue frau vor, las ihn, befand ihn für schlecht, schrieb das auf, schickte es der relativ frisch gegründeten feministischen Zeitschrift 'Courage‘, wurde gedruckt und wurde neugierig auf die übrigen Machenschaften dieser Zeitschrift. Das war Anfang 1978. Anfang 1979 saß ich dann im 'Courage' -Redaktionskollektiv, hatte die Schule gekündigt und war jetzt Schreibfeministin.

Ich berichte dies und noch weiteres von mir, da mir inzwischen scheint, daß sich an der Chronologie und dem Inhalt dieser Ereignisse beispielhaft ein Teil der Verzwacktheit von Frauenbewegung und weiblicher Kulturproduktion beschreiben läßt.

Da saß ich also nun, mit eigener Lust-Zustimmung in die „Abteilung Kultur, unter besonderer Berücksichtigung von Literatur“ abgeordnet. Mit Lehrerinnenstrenge im Herzen und Adorno-Ästhetik im Kopf wachte ich über der neuen weiblichen Schriftkultur. Zumindest im Nachhinein wissen wir, daß 1978 schon zehn Jahre Frauenbewegung vorbei waren; und womöglich noch ein bißchen später werden wir erkennen, daß sie zu dem Zeitpunkt sich insgesamt als Bewegung schon so gut wie ausbewegt hatte. Als eine, die immer vorzugsweise an der Dokumentierung, Verdoppelung, ästhetischen Umsetzung, an der kritischen Begutachtung und der Widerspiegelung von wirklichem Leben, kurz: am Überbau beteiligt gewesen ist, kann ich das allerdings schlecht entscheiden, da mir Gedrucktes doch, in Verwechslung, oft wie das Leben selber scheinen will. Ich habe jedenfalls für diesen Artikel noch einmal in alten 'Courage'-Heften geblättert, u.a. um herauszufinden, was sich denn geändert hat an der Literatur von Frauen, ihrer Selbstdarstellung und dem öffentlichen Bewußtsein über sie.

Und wenn ich mich nicht irre, hat sich zu meiner Verblüffung an der Beschaffenheit jener Literatur nichts geändert, aber auch an deren Beurteilungs-Begrifflichkeit nicht. Nur eines ist anders: meine neugierige Anteilnahme hat rapide nachgelassen.

Leidensweibgeschichte

Im Nachlesen von alten Rezensionen, von Tagebuchberichten über „Schreibende Frauen„-Treffen, von ästhetischen Theorieversuchen etc. stellte ich fest, daß das ganze Instrumentarium formaler wie gesinnungsmäßiger Art damals schon vertreten war; und zwar von dem selbstbewußten Anspruch: Jede Frau hat das Recht, öffentlich zur Kenntnis genommen zu werden, bis zur warnenden Voraussicht: damit rennen die Frauen nur wieder in ihr selbstdefiniertes Ghetto. Ich finde z.B. im vierten Heft der 'Courage‘ einen bedenkenswerten Satz zu den ersten „Schreib das auf, Frau! Autorinnentagen“ 1976: „Warum wird Sprache, warum werden Kunst und Literatur auf einmal so wichtig in der Frauenbewegung? Bei aller Freude über wachsendes Selbstbewußtsein - ist nicht auf der anderen Seite auch ein bißchen Rückzug dabei, Angst vor dem Tun, der direkten Konfrontation mit der öffentlichen Allgemeinheit?“

Die das geschrieben hatte, war Karin Petersen, die erste echte Autorin, die ich persönlich kannte, weil sie auch in der Redaktion der 'Courage‘ saß, und die ein echtes Buch in einem echten Verlag veröffentlicht hatte, d.h. in keinem feministischen bzw. Selbstverlag wie viele Schriftstellerinnen, die ihr nachfolgten. Der Verdacht also, daß der Kunst-Umweg auch ein Symptom von Stillstand, zumindest Stillegung sei, wurde gleichzeitig mit dem Beginn der Ver-Druckung der Bewegung geäußert. Und das von einer, die selber an diesem Prozeß auch beteiligt war, selber auch ein Interesse am Gedrucktwerden hatte. Und selber eines der ersten Bücher jener neuen Gattung geschrieben hat, deren Anzahl dann Legion wurde: die mehr oder weniger umstandslos autobiographische Darstellung der eigenen Leidensweibgeschichte mit der neugewonnenen Gewißheit, daß das Benennen allein ein politischer Widerstands- wenn nicht gar Veränderungsakt ist.

Und wenn ich noch weiter zurückblättere, finde ich im ersten Heft der 'Courage‘ den Doppelweg der verhängnisvollen „Frauenkunst“ schon vorgezeichnet: in der inzwischen fast berühmten Zerschmetterkritik von Verena StefansHäutungen durch die späteren 'Schwarzen Botinnen‘.

Entwickelt hat sich streng genommen danach nicht mehr viel. Es haben sich nur die Widersprüche klarer ausgefaltet und die Belegexemplare gewissermaßen vervielfältigt. Es gab und gibt noch die Blut-und-Leiden-Literatur: bald nicht mehr nur in feministischen und Selbstverlagen, sondern ausgelagert in den „Frauenreihen“ der etablierten Großverlage. Es gab und gibt ihre moralischen Verteidigerinnen: Aus der Basis -Schreibbewegung (Ästhetik ist Männergewalt und Feminismus ist Ästhetik!) und von raffiniert-lamoryanter Männerseite (von solcher Literatur droht wenigstens keine Konkurrenzgefahr; und man kann kostenlos edler Frauenfreund sein). Und es gab und gibt deren Kritikerinnen: von sozialistisch-linker Frauenseite, von der traditionellen Literaturkritik und von feministischer Theorieseite - was im übrigen schon (siehe oben) als Widerspruch in sich diffamiert wurde.

Die Kritik der Anfänge

gilt heute noch

Zum Beispiel scheint mir noch heute meine damalige Kritk am ersten Band der neue Frau-Reihe zutreffend, und das für fast alle ähnlichen Bücher und Reihen, die noch entstehen sollten: „Ein Werk, das alle alten Vorurteile gegen Frauen, die ihre Sache selbst in die Hand nehmen, böse bestätigt.“ Und „Wenn nun der Großverlag so tut, als stelle er sich edel vor ästhetische Unschuld, dann schlägt die vermeintliche Erfahrungsdirektheit um in ihr Gegenteil, nämlich Sonderqualität, was im Geschäftsdeutsch meist heißt: Ware zweiter Wahl.“ Dem ist nichts hinzuzufügen. Außer die endlos lange Liste aller elenden Haut-zu-Markte-Tragebücher. Was nicht heißt, daß einer Neuschriftstellerin nicht ihr Erstbuch in einem schönen Verlag gegönnt sei, - da sei die Kenntnis des eigenen Narzißmus vor, - nur wollte ich damals verhindern, daß die beiden Bereiche, die mir offenbar wertvoll und wichtig sind: das Interesse an Frauen und Weiblichem einerseits und das Interesse an Sprache und Literatur andererseits durch unheilvolle Verknüpfungen nicht beide lädiert werden. Und das passiert immer, wenn Geschriebenes sich auf eine Gesinnung beruft.

Darüber also wollte ich in der 'Courage‘ wachen. Ich habe das noch einmal an einer besonders heiklen Stelle gewagt, in einem Artikel über abgelehnte Gedichte. Die Frauenbewegung hatte eine unübersehbare Flut von weiblicher Lyrikproduktion in Gang gesetzt. Und ich mußte all die persönlichen Ablehnungsbriefe schreiben, deren Begründungen sich immer wiederholten. Jener Artikel nun trug mir so viel Anfeindung ein, so viel verletzte Empfindlichkeit und so viel Haß auch („Christel, geh doch zur 'FAZ‘!“), daß ich selber nochmal meine Werteraster überdachte, die mich so aschenbrödelhaft fleißig feministische Lyrik hatte ein- und aussortieren lassen.

Erloschene Leidenschaft

Meine Meinung habe ich kaum geändert; und inzwischen gibt es auch Lieblingsgewährsfrauen wie Silvia Bovenschen etc. für mich; nur vorsichtiger wäre ich jetzt oder vielleicht einfach nur weniger interessiert an einer xten Nachprüfung meines Vor-Urteils. Trotzdem gab es noch einen nahezu systematischen Ausstieg aus der Frauenliteratur.

Im letzten Jahr, da war ich schon lange nicht mehr 'Courage'Redakteurin und nicht mehr in die Widersprüche einer Kämpferin auf dem Ersatzschauplatz Frauenkultur verstrickt, gaben Ingrid Klein (Redakteurin der 'Konkret' -Literatursonderhefte) und ich gemeinsam das erste Nur -Frauenheft heraus; ein Affront und zu früh für 'Konkret‘, ein Affront und zu spät womöglich für die Frauenbewegung. Es war der Versuch einer Bestandsaufnahme und der einer Bilanz

-öffentlich und privat. Was war denn anders als vor 10, 20 Jahren. Und was war gleich?

Nur wenige Artikelschreiberinnen habe ich über die Frauenbewegung kennengelernt (Karin Reschke, Ginka Steinwachs, Sarah Schumann, Elisabeth Lenk, Helene Cixous). Noch weniger Schriftstellerinnen sind über erste Beiträge in feministischen Blättern bekannt geworden (Eva Meyer, Anna Rheinsberg). Manche Autorinnen sind ein zweites Mal von feministischer Seite vereinnahmend neuentdeckt und gewichtet worden (Ingeborg Drewitz, Patricia Highsmith, Marguerite Duras, Christa Wolf). Viele haben schon vor der Frauenbewegung so geschrieben wie sie schreiben (Gabriele Wohmann, Elfriede Jelinek). Und manche werden es auch weiter tun (Gisela Elsner). Meine theoretischen Lieblinge sind Feminstinnen (Marianne Schuller, Marlies Janz); meine ästhetischen sind keine (Brigitte Kronauer).

So ein ähnliches Heft hätten wir vor 20 Jahren auch zusammenstellen können; d.h. wir hätten es nicht: da keiner es verlegt hätte. Denn wenn heute etwas anders ist, dann ein inhaltlich völlig diffuser Frauenbonus in der Verlagspolitik. Frauen hatten es immer schon in der Druckkunst vergleichsweise am leichtesten, zu Wort zu kommen (gegenüber Musik und Malerei); und heute riskiert man eher ein schnelles Frauenbuch. Viele hätten das Heft aber auch damals schon lesen wollen. Nur rezensiert worden wäre es nicht und wenn doch, dann sicher nur spöttisch. Rezensiert wurde es jetzt übrigens auch nicht. Obwohl inzwischen ein Markt geschaffen ist, obwohl es Fachfrauen und Frauenseiten gibt. Ob Selbsterwähnungsscham der Grund ist oder das Leidenswohlgefühl des Nichtbeachtet-Seins, ist mir unklar.

Wie es inzwischen um die Lesesucht von Frauen bestellt ist, weiß ich nicht. Ob die Erlebnisliteratur, die immer noch gedruckt wird, nur einem nicht mehr vorhandenen Bedürfnis hinterherhinkt, ob Meulenbelt zum Dritten sich einem schwerfälligen Apparat oder einem marktkennerischen Kalkül verdankt, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, daß bei mir der Erfahrungshunger nachgelassen hat, diese Vampirneigung nach dem Aussaugen fremder Biographien. Anfangs lagen noch Kopf und Sinne im Clinch: der Kopf wußte, das ist sauschlecht, und die Sinne verlangten trotzdem nach immer noch einmal derselben Droge, wenn auch schlechten Gewissens. Inzwischen hat mich die Immergleichheit von öffentlich zugerichteter Marionettenprivatheit ermüdet. Ich lese Feministisch-Biographisches nicht mehr. Und mit einem letzten Eingeständnis daß dieser Beitrag widersinnig selber dem Verdikt einer öffentlichen Selbsterzählung anheimfällt, trete ich ab und lese Literatur dort weiter, wo ich vor der Frauenbewegung aufgehört hatte. Aufpasserinnen brauchen nämlich beide nicht. So oder so nicht.

Christel Dormagen