Geheimabkommen Nicaragua-Währungsfonds?

Die Wirtschaftspolitik gleicht zunehmend jenen Ländern, die sich den Anpassungsprogrammen des IWF unterworfen haben  ■  Aus Monagua Ralf Leonhard

In der Wirtschaftspolitik gebe es keine Dogmen, erklärte Henry Ruiz, Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und einer der neun Comandantes des sandinistischen Nationaldirektoriums, vor kurzem. „Die Regierung ergreift Maßnahmen und schaut, ob sie wirken“, erklärte er offenherzig zu der Serie von Wirtschaftspaketen, unter denen die nicaraguanische Bevölkerung stöhnt. Während die Preise für Grundnahrungsmittel internationales Niveau erreicht haben, munkelt man in Oppositionskreisen längst, daß die Sandinisten eine Einigung mit dem vielgeschmähten Internationalen Währungsfonds (IWF) suchen, der bald nach dem Sturz Somozas seine Zusammenarbeit mit Nicaragua eingestellt hat.

In den staatlichen Supermärkten bedeuten die jüngsten Preiserhöhungen für Rindfleisch Anfang Oktober einen Umsatzeinbruch um drei Viertel, bei Hühnerfleisch um 60 Prozent. Die Nicaraguaner, eine Nation von Fleischessern, streichen ihren Menüplan zusammen. Als im September der Eierpreis über Nacht mehr als verdoppelt wurde, blieben die Händler auf ihren Eiern sitzen. Erstmals in der Geschichte der Revolution konnten die Konsumenten durch (wenn auch unkoordinierte) Boykottmaßnahmen eine Preissenkung duchsetzen. Eier sind wieder so billig, daß der Preis die Produktionskosten nicht deckt. „Vor dem 14.Februar hatten die Leute große Mengen Geld und kauften alles“, erklärte Henry Ruiz, jetzt sei bei gleichgebliebenem Angebot die Nachfrage deutlich zurückgegangen. Nur durch Bremsen der Nachfrage könne man das Überleben der Wirtschaft garantieren.

Schrittweise sind die Preise auch der inländischen Nahrungsmittel auf internationales Niveau angehoben worden. So kostet ein Pfund Butter stolze 4,20 US-Dollar und ein Kilo Reis fast einen Dollar. Der Benzinpreis ist seit Februar um nicht weniger als 4300 Prozent hochgeschnellt, während sich die Löhne im selben Zeitraum nur etwa vervierfacht haben. Wenn die Arbeiter und Staatsangestellten nicht monatlich ein Naturalienpaket mit Reis, Bohnen, Öl und Zucker zugeteilt bekämen, gäbe es in Nicaragua ein ernstes Hungerproblem. Schon jetzt konstatieren die Ärzte bei Schulkindern Mangelernährung. Für den Kommunistenführer Eli Altamirano ist klar: „Die Sandinisten haben ein Geheimabkommen mit dem IWF geschlossen“.

Die Währungsabwertung konnte vorerst gebremst werden. Während der Bankkurs des Cordoba von 180 auf 320 für einen Dollar gefallen ist, war der Rückgang des offiziellen Parallelkurses in den Wechselstuben geringer: Von 460 auf 550 Cordoba pro Dollar. Durch den völlig freien Devisenhandel in den Wechselstuben hat der Schwarzmarkt an Bedeutung verloren. Selbst als vor ein paar Wochen der Dollarverkauf an die Importhändler wieder eingeschränkt werden mußte, hat der Schwarzmarkt kaum reagiert. Der Grund: Die seit der Währungsreform in Umlauf gesetzte Geldmenge ist noch immer relativ knapp. Auch der Contra, die früher aus den Nachbarländern in den Devisenhandel eingreifen konnte, ist es noch nicht gelungen, nennenswerte Beträge an neuen Cordobas zu akkumulieren. Rigorose Kontrollen an den Grenzen haben Erfolge gezeitigt. Allen Ausreisenden wird unerbittlich alles an Landeswährung konfisziert, was über 1000 Cordobas hinausgeht.

Akademikerflucht

Dennoch wird bei der herrschenden Inflationsrate von rund 100 Prozent monatlich die Begleiterscheinung der galoppiernden Abwertung nicht ausbleiben. Schon jetzt ist die Regierung von der starren Lohnpolitik abgegangen und zum System der Sonderzahlungen zurückgekehrt. Die staatliche Lohnskala, die bis zur Jahresmitte als eisernes Korsett gehandhabt wurde, gilt jetzt nur mehr als untere Orientierungsbasis. Zulagen in Höhe von 20 Prozent des Lohnes sind in den Betrieben die Regel, Akademiker in verantwortlichen Positionen bekommen nicht selten das Doppelte des Nettolohnes ausbezahlt. Das reicht zwar noch immer nicht, um eine Familie standesgemäß zu ernähren, bedeutet aber gegenüber der Zeit unmittelbar nach der Währungsreform einen spürbaren Fortschritt. Diese Privilegierung des Mittelstandes ist die Antwort auf die Akademikerflucht.

Spitzengehälter von umgerechnet 200 US-Dollar und Nahrungsmittelpreise, die teilweise über denen in Westeuropa liegen und dabei kaum die Produktionskosten decken. Dieses Mißverhältnis legt Strukturschwächen offen, die auch durch die geschickteste Wirtschaftspolitik nicht saniert werden können. Die sandinistische Gewerkschaft hat errechnet, daß auch heute noch die durchschnittliche Arbeitsschicht in den Betrieben bei 5,25 Stunden liegt. Schuld sind nicht nur mangelnde Disziplin und notorisches Zuspätkommen, sondern auch externe Faktoren wie ständige Stromausfälle, Ersatzteilmangel oder Engpässe bei der Rohmaterialbeschaffung. Daß Nicaragua seine Außenschuld von über 7 Milliarden Dollar niemals zurückzahlen wird, ist auch den Gläubigerstaaten klar. Allein um die Kriegsschäden, die auf 12,3 Milliarden Dollar berechnet wurden, zu ersetzen, müßte Nicaragua die kompletten Exporterlöse von 40 Jahren aufwenden. Zu allem Überfluß wird das Land von einer Witterungskatastrophe nach der anderen heimgesucht. Nach zwei trockenen Wintern hatten die Bauern die reichlichen Niederschläge dieser Saison gefeiert und eine üppige Ernte vorausgesagt. Es hat aber inzwischen so beharrlich geregnet, daß nicht nur ein Gutteil der ersten Ernte draußen bleiben, sondern auch die Aussaat für den zweiten Erntezyklus unterbleiben mußte. Betroffen sind vor allem die Grundnahrungsmittel Mais und Bohnen. Und knapp vor Beginn der Kaffee-Ernte sind die Straßen in den Bergen von Matagalpa und Jinotega durch die Regenfälle teilweise unpassierbar geworden, so daß die Kaffeebauern fürchten, ihre Produkte nicht ins Tal bringen zu können.