CSSR: Der Blitzkrieg gegen die Reformer

Jiri Pelikan, Symbolfigur des Prager Frühlings, zum Sturz von Strougal und Chnupek durch das ZK  ■ I N T E R V I E W

Jiri Pelikan war zur Zeit des Prager Frühlings Fernsehdirektor in der CSSR. Heute lebt er in Rom und vertritt die Sozialistische Partei Italiens im Europaparlament.

taz: Für die ZK-Sitzung rechnete man mit dem Rücktritt des Hardliners Bilak - jetzt stürzten die Reformer Strougal und Chnupek. Was ist in Prag geschehen?

Jiri Pelikan: Die Methode war fast die gleiche, wie die von Gorbatschow vor zwei Wochen: ein Blitzkrieg, um die Gegner des Generalsekretärs auszuschalten. Nur die Richtung war eine ganz andere als in Moskau. Denn es wurden die potentiellen Anhänger von politischen und ökonomischen Reformen abgesetzt, also die Anhänger der Gorbatschow-Linie, vor allem Ministerpräsident Strougal. Alle, die Ende letzten Jahres im Zentralkomitee gegen Jakes gestimmt haben, sind jetzt ausgeschaltet.

Jakes war also mehr als nur eine Übergangslösung?

Ja, er ist alle seine Gegner losgeworden. Auch die sogenannte „Verjüngung“ hat jetzt nur Personen in die Parteigremien gebracht, die während der Normalisierung „nach dem Prager Frühling“ hochgekommen sind. Die Vorverlegung des Parteikongresses soll die (für ihn erfolgreiche) Politik von Jakes dann absegnen. Mit der Ausarbeitung des neuen Parteistatuts wurde Hoffmann betraut, der ebenfalls zu den Dogmatikern gehört.

Immerhin mußte Bilak die Verantwortung für ideologische Fragen in der Partei abgeben...

Nein, das ist keine Entmachtung. Fojtik, „der neue Chefideologe“, war schon früher für Ideologie zuständig. Es ist nur eine Umorganisierung, die Arbeitsteilung zwischen Fojtik und Bilak, der jetzt die außenpolitische Kommission leitet, hat de facto schon vorher existiert.

Werden jetzt die Technokraten in der Regierung sitzen, die ökonomische, aber keine politischen Reformen wollen?

Ja, das kann man so sagen: Perestroika ohne Glasnost. Alles weist darauf hin, daß diese Leute der Überzeugung sind, daß Gorbatschow eigentlich nicht sehr sicher ist, daß er sich wahrscheinlich nicht mehr lange halten wird, und daß die Situation in Ungarn und Polen noch katastrophaler wird. Und Gorbatschow kann seine neue Politik gegenüber den anderen sozialistischen Ländern nicht mit alten Methoden durchsetzen.

Wie ist Adamec einzuschätzen?

Adamec ist ein alter Parteifunktionär, der sich bisher mit ökonomischen Problemen beschäftigt hat und dem Parteiapparat treu ist. Er wird sich für gewisse wirtschaftliche Änderungen engagieren, aber nur im bürokratischen Sinne, also keine Arbeiterselbstbestimmung und keine Kombination der ökonomischen mit der politischen Reform.

Wird sich die neue dogmatische Führung halten können?

Viele, die auf schnellere Änderung gewartet haben, sind jetzt enttäuscht. Aber die meisten Leute haben auch von der bisherigen Regierung nicht viel erwartet. Wichtiger als das, was sich an der Spitze abspielt, ist meiner Meinung nach die Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft, der öffentlichen Meinung, die sich auch in der CSSR entwickelt hat. In einem gerade jetzt vom ZK-Sekretariat an die Parteiorganisationen verschickten Dokument wird zu den Demonstrationen am „Jahrestag des sowjetischen Einmarschs“ Stellung genommen und akzeptiert, daß sich die Jugend der CSSR nicht mehr mit der Partei versteht. Ich denke, die Regierung wird sich durchsetzen können, denn das Kräfteverhältnis ist immer noch auf ihrer Seite. Außer der aktiven zivilen Gesellschaft hat sich die Mehrheit der Leute ins Private zurückgezogen. Die Bevölkerung ist passiv. Nur wenn sich Gorbatschow durchsetzen kann, was ich hoffe, wird die tschechoslowakische Partei auf längere Zeit nicht mehr in die andere Richtung gehen können.

Interview: Alexander Smoltczyk