„Die Daten sind frei - für die Polizei“

■ Juristen diskutieren über Entwürfe zu einem neuen Polizeigesetz / Die gängige Schnüffelei soll legalisiert werden / Datenerhebung ist schon bei bloßer Verdächtigung möglich / Ein Auskunftsrecht für Verdächtigte ist nicht vorgesehen / Unbefristete Speicherung

Wenn Teilnehmer einer Anti-IWF-Stadtrundfahrt in einer Datei landen, wenn Demonstranten ohne ihr Wissen gespeichert werden und das alles unter Hinweis auf das Berliner ASOG (Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz), dann ist das zwar gang und gäbe, entbehrt aber jeglicher Gesetzesgrundlage. Seit 1983, seitdem das Bundesverfassungsgericht mit seinem Volkszählungsurteil das Recht auf informationelle Selbstbestimmung anmahnte, monieren immer mehr Verwaltungsgerichte die fehlenden rechtlichen Grundlagen für den ungezügelten Datenhunger der Polizei.

Seit letztem Monat liegt nun dem Berliner Abgeordnetenhaus ein Gesetzesentwurf vor, der das legalisieren will, was längst gesetzlose Praxis ist. Daten, die aufgrund von Lauschangriffen, V-Leuten, verdeckten Ermittlern, aus polizeilicher Beobachtung und Observation gewonnen wurden, landen unkontrolliert in Dateien, von denen aus sie an andere Dienststellen und Geheimdienste weitergeleitet werden können. Mit dehnbaren Gummiparagraphen wird der Polizei weitreichende Speichervollmacht eingeräumt, wenn sie ihre Hortungslust nur mit Begriffen wie „vorbeugende Straftatenbekämpfung“, oder die „Abwehr einer erheblichen Gefahr“ begründen.

Der FDP-Abgeordnete Kammholz hatte bei der ersten Lesung des Gesetzes Anfang September schlichtweg geleugnet, daß diese Begriffe in dem FDP-Gesetzesentwurf enthalten sind. Eine Vorgehensweise, die ihm einerseits erlaubte, die FDP als liberale Partei hinzustellen und ihm andererseits nähere Ausführungen dazu ersparte.

Was denn nun darunter genau zu verstehen sei konnte trotz einiger Anstrengungen auch der stellvertretende Datenschutzbeauftrage Garstka am Mittwoch abend auf einem Diskussionsabend der Fachgruppe Richter und Staatsanwälte in der ÖTV nicht beantworten. Der FDP-Vertreter Jörg Reichardt bemühte sich erst gar nicht. Er kenne sich nicht aus, habe also nichts zu sagen und warte darauf, daß endlich die AL einen Entwurf vorlege.

Der kommt, versicherte ihm Wolfgang Wieland (AL), man habe erst auf den Senatsentwurf gewartet. Inzwischen existiert der Senatsentwurf, ist aber weder der Öffentlichkeit noch den Abgeordneten zugegangen. Dem Parlament soll er erst Anfang Dezember vorgelegt werden. Wolfgang Wieland hatte ein Exemplar des geheimgehaltenen Entwurfs ergattert, aus dem er vor den Juristen zitierte.

Als Überschrift über das Paragraphenwerk schlug er vor: „Die Daten sind frei - alles andere regelt die Polizei.“ Geregelt werden sollen mit dem Gesetzesentwurf vor allen Dingen besagte „vorbeugende Straftatenbekämpfung“, die „operativen Möglichkeiten“ der Polizei und die Speicherung der so erhobenen Daten. Grundsätzlich sind im Senatsentwurf Datenerhebungen zum Zwecke der „Gefahrenabwehr“ auch bei „anderen Personen“ als der verdächtigten möglich. Der Senat will die Gefahr bereits abwehren, wenn sie sich gegen „Sach und Vermögenswerte“ richtet. Eine Höchstzeit für Speicherung ist faktisch nicht vorgesehen: Alle Fristen für eine Speicherung können stets verlängert werden. Ob jemand im Senatssinne zur „terroristischen Bedrohung“ wird, weil er etwa „IWF angreifen“ oder „IWF verhindern“ an eine Häuserwand gesprüht hat, wird ihm oder ihr ewig verborgen bleiben. Ein Auskunftsrecht ist in dem diskutierten Gesetzesentwurf nicht vorgesehen.

Hansjürgen Garstka fand es aus datenschutzrechtlichen Gründen „eigentlich gar nicht verkehrt“, daß polizeiliche Befugnisse nunmehr auf Rechtsgrundlagen gestellt werden könnten, selbst wenn sie das festschreiben , was längst Realität sei.

RiHe