: Blitzableitungen
■ Blitzforscher Ernst Will im Gespräch mit der taz
taz: Muß man bei Gewitter den Fernsehstecker rausziehn?
Ernst Will: Was für'n Stecker? Netz oder Antenne?
Netz.
Also eindeutig 'Jein!‘ Wir wissen, daß bis Mitte des 20.Jahrhunderts und bei Menschen, die sagen wir vor dem Zweiten Weltkrieg geboren sind, es üblich war oder ist, den Netzstecker zu ziehen, wenn Gewitter im Anzuge sind. Und das hat auch seine Berechtigung bei Antennen, die keine Erdung haben. Hier nun noch den Netzstecker ziehen, der ja wenigstens noch Erdung hat, wäre idiotisch. Da ginge die Kiste erst recht hoch.
Also Antennenstecker raus?
Nun. Wie auch immer, wir haben unablässig Gewittereinflüsse auf Radio und Fersehen. Es ist zu bedenken, daß auf der Erde in jedem Monat hoch gerechnet 2000 Gewitter stattfinden. Bei diesen Spannungen und Entladungen, vor allem in Äquatornähe, verursacht durch die tropischen Gewitter, entstehen Magnetfelder, die eine Stärke haben, daß sie natürlich auch Induktionseffekte bei unseren Empfangsgeräten bewirken. Wenn wir zwischen den Sendern durch den Megahertzbereich laufen, dann hören wir das Knistern und Prasseln der Erdgewitter. Andererseits aber auch kosmische Gewitter, Teilchenstrahlung, die von kosmischen Katastrophen herrührt.
Wie wirkt sich das beim Fernsehen aus?
Es gibt nach Sendeschluß so ein gewisses Zucken und Flackern im 'Schnee‘. Das Rauschen selbst ist auch so ein Effekt. Die normalen Sender überdecken das in der Sendezeit.
Der Film 'Poltergeist‘ von Spielberg siedelt im Fernsehschnee die moderne Metaphysik an. Das ist dort die Kontaktzone zur spirituellen Welt.
Wenn man übermüdet in den Schnee glotzt, so daß also die Vernunft schon dahindöst, dann sieht man auch wohl, was man im Zusammenhang mit Gewittern seit Beginn der Menschheit immer gesehen hat: Dämonen, Riesen, Zwerge, Schlachten zwischen ihnen, Fahrten mit unfaßbarer Geschwindigkeit.
Also ich habe beim Schneeglotzen mehr so wuselige Geschlechtsakte erlebt. Aber auch so rasende Schlund- oder Tunnelfahrten.
Auch das hört man immer wieder. Nun ist interessant, daß man in den polytheistischen Religionen immer wieder sozusagen verantwortliche Blitzgötter hat, welche einerseits als gefährlich, andererseits als fruchtbar gelten. Das heißt, wir haben genau die Geschichten beim Schneegucken Riesen, Dämonen, Krieg; andererseits Fruchtbarkeit, Erotik, Sex, Verwandlungen und dann auch noch diese enorme Schnelligkeit und Reiseaktivität - auch bei den frühen Mythologien! Nehmen wir nur Zeus oder Thor bei den Germanen. Es sind also die alten Geschichten um die Gewitter herum, heute getrennt von den Gewittern, aber doch durch sie quasi unterirdisch - verursacht, im Schneeglotzen, wie wir das ruhig mal nennen wollen, weiter vorhanden.
Der Blitz als Alt- oder Urmedium für transversale, also durchweg wirksame Mythen?
Wir müssen uns folgendes vergegenwärtigen. In einer Zeit ohne Motoren, Sprengstoffe, Verstärker, elektrisches Licht muß ein Gewitter mit Blitz und Donner etwas Unfaßbares sein. Waldbrand, zertrümmerte Felsen, zack! haut mit eins ein Mammut um. Diese Gewitter waren vom Erscheinungsbild verwandt mit den Großkatastrophen, die nach Velikovski auf eine frühere Venusumlaufbahn zurückzuführen sind und wirkliche Großkatastrophen verursacht haben, letztmals 750 v.u.Z. Nun wird in Erklärungsmodellen für polytheistische Göttertypen so argumentiert: Die Götter sind verantwortlich für Gewitter und Großkatastrophen, welche die Menschen versuchen, selbst zu wiederholen, nachzuspielen und sie damit traumatisch zu bewältigen. Sie töten im Opferritus symbolisch die böse Gottheit in Gestalt eines Menschenopfers und bringen sich damit in eine Schuld, welche in die Gottesverehrung umschlägt. Es baut sich um den Blitz eine 'Politik des Unglücks‘, wie man vielleicht sagen könnte. Es geht um rituelle Handlungen und schreckliche Ereignise. Das Unglück wird produktiv gemacht. Bei Gewittern - welche ja in der Regel gut ausgehen - fragte man sich, was sie sagen wollten, und man war sich des Funktionierens der Opfer sicher. Die Blitze werden zum Medien nach oben, sie 'senden‘ zwischen Göttern und Menschen auf direkte Weise.
Warum sind die Blitzgötter immer auch fruchtbar?
Blitze sind extrem produktiv. In mythologischer Hinsicht das hatten wir. Nun ist zunächst mal erstaunlich, daß das Opferinstrument par exellence - das Schwert und der Dolch große Ähnlichkeit in Aussehen und Wirkung mit den Götterblitzen haben. Der Mensch spielt wiederum dieses entlastende Opferspiel. Er tötet selbst mit dem Blitzschwert. Und ich denke auch, daß das erste Eisengerät das Schwert - nicht nur Form und Wirkung eines einschlagenden Blitzes hat, sondern einer war. Der Mensch gräbt ein Schwert aus! Er hat auch das Feuer daher. Und wenn er nun selbst Katastrophe spielt, Feuer macht, Erz dazwischen, bums, da hat er den Eisenklumpen, macht selbst den Dolch und spielt auch gleich wieder Gewitter: sticht das Ding in das Opfer. Übrigens wird auch die Keramik ihren Ursprung hier haben. Ein weiteres Fruchtbarkeitsindiz ist die Mutationskraft der Blitzeinschläge in den Erdboden. Die hohen Temperaturen wirken bis in den Kernaufbau der Materie. Genetische Neuformationen sind denkbar. Auch die Bildung bislang so nicht vorhandener Aminosäuren. Man wird die Blitzeinschlagstellen genau beobachtet haben, und da war dann plötzlich - ich übertreib's mal leicht - der erste Kürbis zu ernten, wo's vorher nur Chornichons zu pflücken gab.
In Bayern legen sie heute noch geschmolzene Gewittersteine unten in die Saatmaschinen rein, was gute Ernten bewirken soll.
Ja, und weil sie gar nicht mehr wissen, wo das herkommt und die Steine, die früher in den Saatkörben lagen, heute die Maschinen kaputt machen, reiben sie inzwischen zwei Steine aneinander über dem Saatgut. Und der Knüller - „schneien“ nennen sie das, „die Saat schneien“!
Womit wir wieder beim Schneeglotzen sind! Holla! Wenn das man stimmt.
Es stimmt meist! Wir haben eine Transformation der alten Blitzmythologien über statische Störungen (welche durch Blitze verursacht werden) in den Fernsehempfang hinein - mit gleichen Wirkungen! Deshalb war „Poltergeist“ auch so einleuchtend!
Da war die jüngste Tochter im Fernsehapparat oder genauer im reinen, unmateriellen Medium und im Rauschen, was wir hier „Schnee“ nennen, verschwunden?
Katastrophe oder Opfer in einem. Dieser Film ist begnadet, denn das Rauschen und der TV-Schnee, das sind die spirituellen Löcher heute. Da lassen sich Erfahrungen machen: Über diesen Umweg kommen wir wieder an die üppigen polytheistischen Erzählungen, an die Geschichten der Menschen.
Das schmeckt mir doch aber nicht! Diese zornige Erzählung von oben nach unten.
Es ist ein Irrtum zu glauben, der Blitz käme von oben nach unten. Tatsächlich sucht er sich von oben nach unten den gezackten Weg. Von oben nach unten kommt ein „Blitzfühler“, der eigentliche Blitz aber, den wir sehen und hören, der geht nach oben. Wie die Geschichten von Zeus ja auch von unten oben in den Himmel geschrieben werden, oder auf die Berge. Aber doch so, daß sich die Geschichten immer mehr verselbständigen bis sie aufmerkwürdige Weise, ohne Erzähler, völlig frei im absolut zeichenfreien Medium wuchern. Das Rauschen ist ja nicht nur informationslos, sondern verschluckt sie auch.
Dann sind wir beim Licht, das McLuhan das reinste, das pure Medium nennt.
Grimm sagt zu Schillers Versen: „Was? Der Blitz! Das ist ja die Gustel aus Blasewitz. Sehr treffend: 'Weil der Blitz und das Licht überhaupt, aufs schnellste fährt, dient der Blitz vortrefflichst zur Bezeichnung höchster Geschwindigkeit.'“ Wenn wir hier Paul Virilios Argumentation folgen, die Geschichte des Krieges durchziehe eine asymptotische Erhöhung der Geschwindigkeit in den Bereich der des Lichts, dann haben wir ja wieder den Krieg zwischen Völkern und Katastrophengöttern, das Schwert und zum Schluß den atomaren Blitz. Eine Geschichte des Krieges ist somit auch: Geschichten über den Blitz! Im TV-Schnee erfahren wir sitzend, subjektlos und ohne Fahrzeug die höchsten und reinsten Geschwindigkeiten. Vielleicht ist dies die Auflösung des Menschen, von der Foucault erzählt. Und sie findet im Baß-Donnern der Musik statt und an den Videogeräten, wo eine neue Generation selbstvergessen ungeahnte Reflexe auf eigentlich 'nichts‘ entwickelt.
Dann wäre - das fällt mir hier an dieser Stelle ein - auch mal zu untersuchen, warum sich in der Psychiatrie diese schreckliche Elektroschockgeschichte gehalten hat. Ohne Zweifel und alles andere als erstaunlich hat man bei vom Blitz getroffenen Überlebenden seltsame mentale Veränderungen und Irrsinn feststellen können. Menschen, die nach einstigen Vorstellungen engen Kontakt mit Göttern hatten. Das hält sich zäh auch in den Köpfen der Psychiatrie, denn zyklisch kommen immer wieder welche daher, die diese Form des göttlichen Zusammentreffens für therapeutisch gut heißen. Schneegucken hat natürlich auch was Brisantes!
Wie kriegen wir 'Eiche weiche! Buche suche!‘ ins Konzept hier?
Zunächst einmal naturwissenschaftlich. Gewitter ist in der Regel mit Regen verbunden. Ein nasser Baum leitet den Strom in die Erde. Im Gegensatz zu Buchen haben Eichen einen sehr zerklüfteten Stamm, der also nicht gleichmäßig naß wird. Dann springt der Blitz auf die Feuchtigkeit im Innern des Baumes über. Dieser Baumsaft fließt in winzigen Röhren und verdampft bei 25.000 Grad C. Denn so heiß - fünfmal heißer als die Sonnenoberfläche - ist ein Blitz! Das sprengt den Baum dann auseinander. Die Buchen leiten den Strom flach in die Umgebung des Baumes. Wer dort steht, hat mit geschmolzenen Reißverschlüssen oder mutiertem Erbgut zu rechnen. 'Buche suche‘ wäre ein Motto, das zum Schneeglotzen ermuntert. Auch hier soll das heißen, daß man sich in Gefahr begeben muß, um gewisse Erfahrungen zu erlangen.
Stecker also drinlassen?
Ich würde nun abschließend doch auch sagen, wir lassen alle Stecker bei Gewitter mal schön stecken.
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