DIE GROSSE DAME

■ Yildiz Kenter im Ballhaus Naunynstraße

Der bekannte Regisseur des Bolschoi-Theaters Boris Bokrowski brachte ihr nach der Vorstellung ein Bouquet und sagte mit tränenden Augen: „Ich bin jetzt 60 Jahre im Theater, aber ich habe noch vieles von Ihnen zu lernen.“

Die Rede ist von Yildiz Kenter, der größten Schauspielerin des türkisch-sprachigen Theaters. Spätestens seit diesem Auftritt in Moskau hat die 60jährige ihren Ruhm auch über die türkischen Grenzen getragen.

Nach einer Ausbildung als Schauspielerin am staatlichen Konservatorium in Ankara und elfjähriger Tätigkeit am Staatstheater wurde Yildiz Kenter Lehrerin und erteilte 24 Jahre lang Schauspielunterricht am staatlichen Konservatorium in Istanbul. Während dieser Zeit ging sie mit einem „Rockefeller-Stipendium“ nach Amerika und war am American Theater Wing, Neighbourhood Playhose und Actors Studio als Schauspiellehrerin tätig.

Die große Dame spielte in ihrer langen Karriere in mehr als hundert Stücken von unterschiedlichen Theaterautoren wie Shakespere, Brecht, Ionesco, Tschechow, Gorki und Tennessee Williams. Nach der Erteilung einer Professur leitet sie jetzt die Theater-Abteilung am staatlichen Konservatorium der Istanbuler Universität.

Yildiz Kenter, die 1984 vom italienischen Kulturzentrum in Rom auch mit dem „Adelaide Histoire Orden“ (dieser Orden wird den erfolgreichsten Frauen in ihrem Beruf verliehen) ausgezeichnet wurde, gastiert nun mit dem Stück „Ich, Anatolien“ nach Moskau, New York, London und Taschkent zum ersten Mal auch in Berlin. In dem von Güngür Dilnen geschriebenen und Yücil Erten inszenierten Stück verkörpert sie 18 verschiedene Frauenpersönlichkeiten, die in der Zeit von den Hethitern bis heute in Anatolien gelebt haben.

Beginnend mit der Muttergöttin Kybele, die zugleich auch Segen und Fruchtbarkeit symbolisiert, zeigt sie Protagonistinnen, bei denen das Mutter-Sein, Weisheit, der Wunsch nach Frieden und Liebe spricht, aber auch Furcht, Ehrgeiz und Eifersucht im Mittelpunkt stehen. Die Palette reicht von der Hethiterin Duduhepa, die um des Friedens willen ihre Tochter mit dem Ägyptischen König verheiratet und somit die erste politische Ehe der Geschichte verwirklichte; Andromache, die ihren Mann Hektor bei der Verteidigung Trojas gegen die Griechen unterstützte; über Ana Comnea, die erste Historikerin der Welt, und Naksidil Sultan, die aus Martinique stammende Stiefmutter des Mahmut II; bis Halide Edip Adivar, die neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit auch eine aktive Rolle im türkischen Unabhängigkeitskrieg spielte.

Mit einer zeitgenössischen Interpretation versucht „Ich, Anatolien“ der heutigen Gesellschaft zu zeigen, welchen Beitrag die Frauen bei der Entstehung der Kulturen in Anatolien geleistet haben. Das Stück macht auch deutlich, daß die anatolische Kultur sich aus einer Vielzahl von nach einander in Anatolien entstandenen Kulturen zusammensetzt. Es ist ein Plädoyer dafür, diese Vielschichtigkeit und den Reichtum der anatolischen Kultur wahrzunehmen und zu erhalten.

„Ich, Anatolien“ heute um 20 Uhr in englischer Sprache und am 16. Oktober um 16 Uhr in türkischer Sprache im Ballhaus Naunynstr.27, 1-36

Ayhan Bakirdögen