„Ach Jottchen, Sie wollen eine Wohnung?“

■ Wo sind bloß die ganzen Wohnungen hin? / Eine Odyssee durch Berlin und das Branchenfernsprechbuch von Makler zu Makler / Es gibt sie noch, die Traumwohnungen - für eine Viertelmillion / Kaufen ist in, mieten ist out

Gute Ratschläge haben sie alle. Die Freundinnen, Kollegen, Bekannten. Meine Freundin und ich suchen eine Wohnung. Wie lange schon ist nebensächlich: Wir suchen in Berlin. „Besucht die Makler am Kudamm“, rät der Freund meiner Freundin, ein frohgemuter Pragmatiker.

Wir entwerfen einen Schlachtplan anhand des Branchenfernsprechbuches. Makler und Immobilienbüros von A -Z. Unsere Strategie: Zwei Frauen stehen in der Hierarchie weit, weit unten. Also suchen wir eine Wohnung nur für meine Freundin, die aufstrebende Yuppie, die mit den gehobenen Ansprüchen und der Verdienstbescheinigung in den fiktiven Tausendern. Und ich? Ich bin „nur“ die Begleitung.

Bei der ersten Adresse verläßt uns gleich der Mut: zuviel Stuck, zuviel Marmor in der Eingangshalle. Das Schild an der pompösen Eingangstür weist hin auf eine „Gesellschaft für Baulanderschließung“. „Eine Scheinfirma“, flüstert meine Freundin. „Eine Abschreibungsgesellschaft, dubiose Geschäftemacher“, stimme ich zu. Beim nächsten Anlauf fassen wir uns ein Herz, wir klingeln, uns wird geöffnet. „Ich suche eine Wohnung“, verkündet meine Freundin, laut, wohlartikuliert und mit strahlendem Lächeln.

Die Dame am Empfangstresen lächelt mitleidsvoll. „Wohnungen haben wir nicht.“ Sie sagt es nicht unfreundlich. Sie nimmt das Wort Wohnungen so in den Mund, als ob sie das Wort Aids aussprechen müßte. „Auch keine Eigentumswohnungen?“ Das ist etwas anderes. Wir werden höflich gebeten zu warten.

Dann kommt der Makler persönlich: Er sieht verschwitzt aus und er riecht auch nicht gut. Er geleitet uns in ein enges Nebengelaß, und dort riecht er nicht besser. Er schafft es trotzdem, uns sein einziges „Angebot“ irgendwo zwischen Steglitz und Lankwitz zu unterbreiten. Wir lehnen dankend ab. Wir werden in eine Kartei aufgenommen, wir sind froh, wieder an der Luft zu sein.

Nächster Anlauf: Dort sind am Eingang schon die Welten geschieden. Zu den „Immobilien“ führt die breite Marmortreppe, zu den „Mietwohnungen“ muß man in den Seitenflügel über abgetretene Stufen. Dafür empfängt uns eine herzige Mittfünfzigerin. „Ach Jottchen, Sie wollen eine Wohnung, wenn es sonst nichts ist.“ Das ganze Jahr hat sie noch keine Dre3-Zimmer-Wohnung unter 1.000 Mark vermietet. Ob sie überhaupt eine Wohnung vermittelt hat, wird nicht ganz deutlich. Und wie ist es mit Eigentumswohnungen? „Ach Jottchen, Sie Ärmsten, jetzt wollense schon koofen.“

Wieder gehts in ein Nebengelaß. Diesmal kommt ein smarter, junger Herr, wir führen eine gepflegte Unterhaltung. Wieviel wir anlegen möchten? „250.000“, behaupten wir großspurig. „Ich runde mal ein bißchen auf. Sagen wir 250.000 bis 280.000, ja?“ Wir nicken mit dem Kopf. Was tangieren uns 30.000 Mark? Und dann kommt sie. Der Traum. Vier Zimmer, sonnig, ruhig, Schöneberg, exklusives Bad usw. Der Traum kostet genau 280.000 und ist sofort frei. Deshalb sprechen wir noch über „Zwischenfinanzierungsmöglichkeiten“, da wir unser Eigenkapital leider noch nicht flüssig haben. Kein Problem für den smarten Herrn. Er schlägt uns einen Besichtigungstermin vor. Wir sind durch das Gespräch erhoben, wir schweben im siebten Himmel. Selbst ein gepumptes Glücksgefühl ist wunderbar.

Nur noch ein Büro, beschließen wir. Alles andere übersteigt unsere psychische Kapazität. Wir klingeln lange. Es ist viertel nach drei, kurz vor Feierabend. Es schlurft hinter der Tür, die Tür geht auf. „Ich suche eine Wohnung.“ Wieder das strahlende Lächeln. Der Herr schlägt uns fast die Tür vor der Nase zu. Doch meine Freundin ist schneller. „Ich bin auch an Eigentum interessiert.“ Der Herr kommt ins Stottern: „Ei, Ei, Eigentum? Sie meinen kaufen?“ Wir meinen kaufen. Als Damen werden wir wieder ins Nebengelaß geleitet.

Dann kommt die Sekretärin, zückt den Bleistift und nimmt unsere Wünsche auf. Welcher Bezirk? Schöneberg - der Bleistift notiert 30. Kreuzberg - der Bleistift notiert 61. Eventuell noch Friedenau. Der Bleistift zögert, denkt nach. Wir wissen auch nicht weiter. Schließlich einigen wir uns auf 41. „Wenn Sie eine Wohnung in Zehlendorf süchen würden, da wüßte ich die Zahl.“

Später sitzen wir in einem Kudamm-Cafe. Wir träumen von Schöneberg, vier Zimmer, sonnig ruhig usw. Meine Freundin hat den Taschenrechner herausgeholt und blitzschnell die monatliche Belastung errechnet, bei soundsoviel Eigenkapital und soundsoviel Verzinsung. Der Traum von der eigenen Wohnung ist zu teuer. Er ist unerschwinglich. Real und fiktiv. „Du hast dich nicht verrechnet?“ Meine Freundin verrechnet sich nie. Wir sind so auf den Hund gekommen, daß wir uns Schwarzwälderkirschtorten bestellen.

Helga Lukoschat