Wem gehört die Zeit?

Frauen und Arbeitszeiten: geschlechtsspezifischer Sprengstoff für die Gewerkschaften / Frauen haben andere Interessen als ihre männlichen Kollegen / Wir dokumentieren den Beitrag von Ingrid Kurz-Scherf auf der IGM-Frauenkonferenz in Frankfurt  ■  Ingrid Kurz-Scherf

Der Beitrag von Ingrid Kurz-Scherf, Mitarbeiterin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) des DGB, sorgte auf der 13.IGM-Frauenkonferenz für Turbulenzen. Vorab war das Referat der Wissenschaftlerin vom IGM-Vorstand barsch kritisiert worden. Ingrid Kurz-Scherf wurden Streichungen und Kürzungen abverlangt, schließlich trug sie ihre Thesen mündlich vor. Der hier dokumentierte Beitrag basiert auf dem Mittschnitt ihrer Rede. Ingrid Kurz -Scherf überarbeitete ihn anschließend nicht nur formal, sondern auch inhaltlich: Er enthält jetzt alle Thesen, die ihr wichtig sind. Aus Platzgründen mußten wir „Wem gehört die Zeit - Frauen und Arbeitszeiten“ leider sehr stark kürzen. Wir bemühten uns dabei, die gewerkschaftskritischen Passagen so weit wie möglich zu erhalten. D.Red.

„Wir streiten um bessere Zeiten“ - wenn es um eine bessere Zukunft geht, dann kann ein Blick in die Vergangenheit nicht schaden. Bei der Vorbereitung auf diese Konferenz bin ich auf die Lebensgeschichte eines aktiven Sozialdemokraten und Gewekschafters gestoßen, die dieser selbst niedergeschrieben und im Jahre 1905 veröffentlicht hat. Im Kapitel „Mein Familienleben“ erfahren wir, daß Moritz Brommen, so hieß der Kollege, verheiratet war und sechs Kinder im Alter zwischen sechs Monaten und zehn Jahren hatte. Seine Frau müsse mitverdienen, schreibt er, sie nähe fehlerhafte Webwaren aus, „nicht selten bis zum frühen Morgen“. Die Betten würden deshalb oft erst abends kurz vor dem Schlafengehen gemacht, obwohl er, der Kollege Bromme, - ich zitiere wörtlich aus seinem Buch - „oft und erregt darüber geschimpft hat ... Unzählige Male habe ich angeordnet, daß die Betten gleich früh gemacht werden.“ Aber ohne Erfolg. (...)

Sowohl gegen die private als auch gegen die öffenliche Seite dessen, was Werner Thönnessen später dem proletarischen Antifeminismus genannt hat, oder wofür Claudia Pinl den Begriff des Arbeitnehmer-Patriarchats prägte, haben die Begründerinnnen der sogenannten proletarischen Frauenbewegung mit einer wirklich engelsgleichen Geduld angeredet, angeschrieben; immer mit dem Appell, daß die Kollegen und Genossen doch endlich die Frauenfrage als Teil der allgemeinen sozialen Frage begreifen mögen. Leider ohne großen Erfolg über viele Jahre hinweg. Wenn man das alles zum Beispiel in dem Buch von Gisela Losseff-Tillmanns „Frau und Gewerkschaft“ nachliest, dann fühlt man sich immer wieder erinnert an einen Spruch der neueren deutschen Frauenbewegug: „Die Geduld der Frauen ist die Macht der Männer“. (Beifall)

Heute morgen konnte man den Eindruck haben, daß diese Geduld langsam aber sicher doch in eine gewisse Wut umgeschlagen ist. Ich denke, daß diese seit langem schwelende Wut sich jetzt unter anderem auch deswegen Luft verschaffen muß, weil es ja nun auch nicht so ist, als ob nicht zumindest Reste davon durchaus auch noch heute feststellbar wären. (Beifall) (...)

Tatsache ist, daß jede Rede, jedes Referat zum internationalen Frauentag oder eben auch auf gewerkschaftlichen Frauenkonferenzen obligatorisch mit dem Appell endet, nicht gegen die Männer, sondern gemeinsam mit den Männern auch und nicht zuletzt für die Verbesserung der Situation der Frauen zu kämpfen. Das Problem ist aber, daß ich noch auf keiner Arbeiter- oder Angestelltenkonferenz, auf keiner Betriebsräte- oder Vertrauensleutekonferenz, die oft zu über 80 v.H. reine Männerversammlungen sind, einen ähnlichen Appell gehört habe, obwohl doch allen das äußere Erscheinungsbild dieser Konferenzen Grund genug zur Annahme gibt, daß eher die Männer als die Frauen dazu tendieren, daß jeweils andere Geschlecht auszugrenzen. (Beifall) (...) II

Damit es nicht immer so weiter geht, müssen wir in den Gewerkschaften dringend einmal die Debatte darüber führen, was das eigentlich ist, die sogenannte Frauenfrage. Frauen sind, das wird heute zumindest in den Gewerkschaften kaum noch bestritten, vielfältigen Benachteiligungen ausgesetzt, aber: Der gesellschaftlichen Mißstände sind halt viele, jeder hat über den einen oder den anderen zu klagen - und die Klagen der Frauen sind nun nicht gerade diejenigen, die unsere männlichen Kollegen am allermeisten beunruhigen. (...)

Aber die Tatsache, daß Frauen unter Lohndiskriminierung und mangelnder Repräsentanz im gesamten öffentlichen Leben zu klagen habe, ist eben nicht einfach nur das Resultat einzelner Benachteiligungen, sondern Ausdruck eines alle Lebensbereiche und leider auch die privatesten und intimsten Lebensbereiche durchdringenden Herrschaftsverhältnisses. Dieses Herrschaftsverhältnis nenne ich: Patriarchat. (...)

Wie allgegenwärtig das Patriarchat ist bzw. an wievielen Punkten die sogenannten Frauenfrage tangiert wird, dazu ist allein das Inhaltsverzeichnis des Geschäftsberichts, den die Abteilung Frauen beim Vorstand der IG Metall hier vorgelegt hat, eine beeindruckende Illustration. Es geht quer Beet über alle Themen, und in der Diskussion hier wurde auch noch eine Reihe weiterer Punkte benannt, die in diesem Geschäftsbericht noch nicht einmal enthalten sind. Ich frage mich, mit welchem Zeitvolumen dieses Arbeitsprogramm denn bewältigt wird, wie sich in der Abteilung Frauen der IG Metall dem Problem Frauen und Arbeitszeit stellt. (Beifall)

All diese Aktivitäten, die in der gewerkschaftlichen Frauenarbeit und in der Frauenbewegung jenseits der Gewerkschaften betrieben werden, sind sinnvoll und notwendig, und die Bilanz kann sich durchaus sehen lassen. Trotzdem - wenn ich es etwas überspitzt formulieren darf: Wir sind noch Lichtjahre entfernt von der wirklichen Gleichberichtigung bzw. anders ausgedrückt: Es kann sich allenfalls noch bis zum Jahre 3720 handeln, bis wir die Männer endlich eingeholt haben. (Beifall) (...)

Ich hoffe, daß ich es mir jetzt nicht endgültig mit allen verderbe, wenn ich noch eins draufsetze: Auch Frauenförderpläne und Quoten haben, solange sie nur die Integration der Frauen in die bestehenden Strukturen der Erwerbsarbeit, der Gewerkschaftsarbeit und der politischen Arbeit vorantreiben, nur eine begrenzte Reichweite. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Ich bin eine entschiedene Verfechterin der Strategie der gezielten Frauenförderung und auch die vielgeschmähten starren Quoten treiben mir genauso wenig den Angstschweiß auf die Stirn wie starre, das heißt verlässliche Tarifvertragsregelungen. (...)

Dies ist kein Plädoyer gegen Quoten oder gegen Frauenförderpläne. Es ist lediglich eine Bestätigung der Warnung, die auch Kollegen hier ausgesprochen hat: Die Erwartungen, die man in eine isolierte Frauenförderpolitik und in eine isolierte Quotenpolitik setzen kann, dürfen nicht zu hoch geschraubt werden, weil sonst die Enttäuschung groß sein wird bzw. weil sonst der Handlungsbedarf jenseits der Frauenförderpolitik und jenseits der Quoten übersehen wird. Der Handlungsbedarf, den ich dringlich als Ergänzung jeglicher anderen Strategie zur Beseitigung der Benachteiligung der Frauen ansehe, ist die Arbeitszeitverkürzung. (...)

III

Es hört sich vielleicht ein bißchen zu einfach an, wenn ich behaupte, die Wurzel des Übels, von dem ich die ganze Zeit rede, und an die alle Lohn- und Qualifikationspolitik nicht ranreicht und an dem meines Erachtens auch die Hoffnungen auf die Quote scheitern werden, läge in so banalen Dingen wie dem Abwasch, dem Staub, der Wäsche, den verschissenen Kinderwindeln, den Kinderkrankheiten oder den Pantoffeln, die so manch einer unsere kämpferischen Kollegen sich zumindest im übertragenen Sinne immer noch nachtragen läßt. (...)

Ich meine in der Tat: Das Grundproblem, das wir die Frauenfrage nennen, die materielle Basis des Patriarchats, ist die Organisation der gesellschaftlichen notwendigen Arbeit, die nun einmal nicht nur in den Betrieben, sondern auch in den Privathaushalten stattfindet. Und das Problem ist nicht nur ein Verteilungsproblem, in dem Sinne, daß alles so bleibt, wie es ist, nur Männer und Frauen teilen sich alles gerechter auf: Die Erwerbsarbeit ist so gut wie die Hausarbeit. Für die Vereinheitlichung der Arbeits- und Lebenschancen von Männern und Frauen kann weder die Erwerbsarbeit, noch die Hausarbeit so bleiben, wie sie sind, sondern beide bedürfen einer grundlegenden Umgestaltung.

Nehmen wir beispielsweise das, was auf neugewerkschaftsdeutsch das „Normalarbeitsverhältnis“ heißt. Um wieder Mißverständnissen vorzubeugen: Ich bin selbstverständlich auch für die entschiedene Verteidigung des Rechts auf Arbeit im Rahmen gesetzlich und tarifvertraglich gewährleisteter Mindeststandarts und für den entschiedenen Widerstand gegen den Angriff auf das Normalarbeitsverhältnis durch die Ausweitung un- und mindergeschützte Beschäftigungsverhältnisse und aller sonstigen Spielarten der kapitalgelenkten Deregulierung und Flexibilisierung. Trotzdem darf man nicht aus dem Auge verlieren, daß dieses Normalarbeitsverhältnis als lebenslange Existenzgrundlage (und darum geht's zum Beispiel bei der Abwehr befristeter Beschäftigungsverhältnisse) eine weitgehend auf Männer reduzierte Veranstaltung ist. (...)

Das Problem ist: Das, was auch in den Gewerkschaften als scheinbar geschlechtsneutrale Normalität abhängiger Erwerbstätigkeit diskutiert wird, ist eine spezifisch männliche Normalität, und diese hat eine davon abweichende Normalität des weiblichen Arbeits- und Lebenszusammenhangs zur zwingenden Voraussetzung bzw. zur unausweichlichen Konsequenz. (...) Dazu ein ganz persönliches Beispiel: Wenn ich mir als gewerkschaftlich hauptberuflich engagiertes Wesen überlege, ein Kind zu bekommen, dann stellt sich für mich meine ganze Zukunftsplanung total in Frage. Der Anspruch auf Selbstentfaltung im Beruf besteht für die meisten Frauen immer noch im scharfen Widerspruch zu ihrem Kinderwunsch. Mit der Konsequenz, daß weder ich noch viele meiner Kolleginnen in vergleichbaren Berufsfeldern ein Kind haben (das merkt man. sezza). Demgegenüber werden unsere männlichen Kollegen Vater - und man merkt es überhaupt nicht. (Heiterkeit und Beifall) (...)

Also: Nicht Abschied vom Normalarbeitsverhältnis, sondern Umgestaltung des bestehenden Normalarbeitsverhältnisses auf der Basis einer drastisch verkürzten Normalarbeitszeit wäre demnach die Parole, und dem Recht auf Arbeit für alle eine Realisierungschance zu geben. (Beifall)

Wenn ich die Diskussion der letzten Jahre in den gewerkschaftlichen Frauenausschüssen richtig mitbekommen habe, dann gigt es unter den Gewerkschaftsfrauen einen breiten Konsens darüber, daß die Arbeitszeitverkürzung eine gewerkschafts- und gesellschaftspolitische, und in diesem Zusammenhang auch eine frauenpolitsche Schlüsselfunktion hat, die sie allerdings erst dann voll entfalten kann, wenn die Arbeitszeitverkürzung auch nach der Durchsetzung der 35 -Woche zentrales Anliegen der Gewerkschaften bleibt. Die Frauen sind sich weitgehend einig darüber, daß es darum geht, den 6-Stunden-Tag als neue Normalarbeitszeit so schnell wie möglich zu erreichen. Auch auf dieser Konferenz liegt ein Antrag vor, durch den der Vorstand der IG Metall aufgefordert werden soll, „die Arbeitszeitverkürzung auch weiter als tarifpolitisches Ziel zu verfolgen, um den 6 -Stunden-Tag und die 5-Tage-Woche von Montag bis Freitag zu erreichen.“

Was uns der 8-Stunden-Tag nicht brachte, das wollen wir nun also mit dem 6-Stunden-Tag erreichen? Ich glaube: So wäre das Programm falsch oder zumindest verkürzt formuliert, so würden auch hier wieder Erwartungen geweckt, die wahrscheinlich wieder enttäuscht würden. Auch die Arbeitzeitverkürzung ist nur im Rahmen eines Gesamtkonzeptes zur Umorganisation und Entpatriarchalisierung der Arbeit eine erfolgversprechende Strategie (...)

Selbstverständlich haben auch Frauen ein Interesse an einer umfassenden Arbeitspolitik, angefangen von besseren Qualifizierungschancen bis hin zu anständigen Entgeltsystemen, die sich an „kriterien der Gerechtigkeit und nicht an denen der Herrschaftssicherung orientieren. Das heißt allerdings nicht, daß es mit der allgemeinen Arbeitszeitverkürzung allein schon getan wäre. Zu einer umfassenden Strategie der Vereinheitlichung der Arbeits- und Lebenschancen von Männern und Frauen gehören zweifelsohne auch Frauenförderpläne und Quoten, die den Frauen den Zugang gerade zu den Arbeitsbereichen verschaffen, in denen sie bisher total unterrepräsentiert sind und die sich ihnen mit der Arbeitszeitverkürzung durchaus nicht automatisch öffnen; damit wird gleichzeitig der Notwendigkeit von Arbeitszeitverkürzung auch in qualifizierten Tätigkeitsbereichen und leitenden Funktionen mehr Ausdruck verliehen.

Wir brauchen darüber hinaus, wie Barbara Sichertermann ausgedrückt hat, in der Erwerbsarbeit mehr Platz für die Wechselfälle des Lebens, die nun einmal bei einem Leben mit Kindern unvermeidlich sind, die aber auch bei kinderlosen Erwachsenen gelegentlich immer wieder einmal auftreten sollen, das heißt: Anständige Regelung zur Gleitzeitarbeit und ausreichende Beteiligungsmöglichkeiten der Beschäftigten bei der Festlegung der betrieblichen Arbeitszeitsysteme. Das heißt darüber hinaus: anständige Freistellungsregelungen, die Eltern nicht zumuten, ihre Kinder nach fünftägiger Krankheit in die Tiefkühltruhe zu stecken, weil sie ihren Urlaub verbraucht haben und kein Opa verfügbar ist. (...)

IV

Es scheint tatsächlich eine starke geschlechtsspezifisch geprägte Differenz in der Arbeitszeitfrage zu geben - und die hat meines Erachtens etwas damit zu tun, daß mit der bestehenden Normalarbeitszeit auch die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern in Frage gestellt wird. (...) Ich bin mir nicht ganz sicher, ob nicht manche Mobilisierungsschwierigkeit, die die Gewerkschaften für die 35-Stunden-Woche hatten, auch auf den Tatbestand zurückzuführen ist, daß das gemeinsame Interesse der Kolleginnen und Kollegen an der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit bei den Kollegen eben nicht durch das eigene Interesse an kürzeren Arbeitszeiten so sehr verstärkt wird wie bei den Frauen.

Zumindest muß man sehen, daß in der Zeitfrage die Möglichkeit eines geschlechtsspezifischen Interessenkonfliktes angelegt ist. Ich vermute, daß deswegen die Frauen, wenn sie wollen, daß die Arbeitszeitverkürzung ein Schwergewicht gewerkschaftlicher Tarifpolitik bleibt wie dies der Antrag Nr.34 vorsieht -, daß sie dann dafür sorgen müssen, daß diese Vorstellung das entsprechende Gewicht innerhalb der Gewerkschaften bekommt. (...)

Damit möchte ich mich selbstverständlich nicht in unzulässiger Weise in die unmittelbare Prioritätenbildung für die Tarifpolitik der IG Metall einmischen. Meine persönliche Meinung ist lediglich, daß es aus frauenpolitischen Gesichtspunkten, ich gehe aber auch noch weiter: aus allgemein gewerkschaftspolitischen und gesellschaftspolitischen Gesichtspunkten zumindest sehr bedenkenswert ist, die Perspektive der 30-Stunden-Woche, die Perspektive des 6-Stunden-Tages möglichst schnell zu konkretisieren.

Ich glaube, daß es dazu notwendig ist, daß auch unsere männlichen Kollegen endlich begreifen, daß sie nur die Hälfte, und nicht unbedingt die bessere Hälfte der Menschheit stellen. Deshalb zum Schluß ein Spruch, der wahrscheinlich aus der Frauenbewegung stammt, den ich aber von einem männlichen Kollegen gelernt habe: „Warum feiern wie eigentlich Weihnachten, wo doch jeden Tag hunderttausende von Männern geboren werden, die sich später für einen Gott halten?“ (Heiterkeit und Beifall). (...)