Eine Glatze macht noch keinen Nazi

■ Ein Plädoyer dafür, Skinheads und Psychobillies nicht miteinander zu verwechseln und schon gar nicht voreilig mit Neo-Nazis in einen Topf zu werfen / Die Gleichsetzung von jugendlicher Gewalt mit Rechtsextremismus

Skinheads und Psychobillies: Zwei Stile, die aus der unübersehbaren Vielfalt an Jugendstilen und -gruppierungen derzeit besonders ins Auge fallen. Nicht weil ihr äußeres Erscheinungsbild Aufmerksamkeit erregt - Punks sind mindestens genauso auffällig - oder weil Erwachsene als Eltern, NachbarInnen oder als PädagogInnen, JournalistInnen und PolizistInnen sich auf einmal ernsthaft für deren Lebensweise, Musik und kreative Aktivitäten interessierten, sondern weil das öffentlich inszenierte Auftreten von Skins und Psychos gewalttätig ist. Der Gewalt werden dabei ausschließlich politische Motive unterstellt. Skins und Psychos sind Rechte, Neonazis, so lautet das Urteil.

Diese Auffassung kommt nicht von ungefähr. In Hamburg erschlugen Skinheads den Türken Avci. In Hannover töteten Skinheads, die Verbindung zur FAP (Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei) hatten, Roger Bornemann. In Bremen verprügelten Psychos beispielsweise in der Silvesternacht ein ausländisches Paar. Begründungen genug? - Ganz offensichtlich. An ihren Glatzen, Bomberjacken und Doc Martens-Stiefeln (vgl. nebenstehenden Kasten) sollt ihr sie erkennen, die jugendlichen Neonazis. Der Kampf gegen sie kann beginnen... .

Psychos gegen

Medienimage

Wie sehen es aber die Jugendlichen selbst? Nach der Silvester

Prügelei vor dem ehemaligen „Frontline“, einer Bremer Discothek, in der viele Psychobillies verkehrten, meldeten sie sich in der Presse und im Rundfunk vehement zu Wort. Zum ersten Mal traten Jugendliche so offensiv dem Bild, das von ihnen gezeichnet wurde, entgegen. „Wir sind keine Skinheads, wir sind auch keine Nazis“, wehrten sich Psychos dagegen, zu Rechtsradikalen gemacht zu werden. „Wir haben auch kurze Haare, aber oben eine Tolle. Wir tragen Jeans, Hosenträger, Doc Martens. Sonst noch Baseballjacke, also keine

Bomberjacke, nur die Harrington (Jacke) tragen wir auch“, verdeutlichten Psychos die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zum Skin-Outfit. Und weiter: „Psychos haben keine feste Einstellung. Einige sind links, andere sind rechts und wieder anderen ist das ganz egal. Wichtig ist die Kameradschaft, Zusammensein, unsere Musik.“ Diese Aussagen von Psychobillies beschreiben treffend, daß jugendliche Gruppierungen keine homogenen Gebilde sind, die sich mit eindeutigen Etiketten versehen lassen. Auch wenn der Kleidungsstil sie

verbindet, verbinden sich für jeden einzelnen mit dem Stil unterschiedliche Ansprüche und Einstellungen.

Der Skin-Stil verkörpert Härte, Männlichkeit, Aggression, Rassismus und eine proletarische Identität. Der Aufkleber „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“ ist beliebt, Ausländerfeindlichkeit gehört immer dazu. Der Psychobilly -Stil vermischt Elemente des Skin-Stils mit anderen Stilelementen (z.B. mit der Rockabilly-Musik - der Psychobilly ist e-gitarren-orientiert, härter und schneller).

Gerade weil sich Skin- und Psycho-Stil ähnlich sind, war es etlichen Skins möglich, den Stil zu wechseln. Sie waren es leid, als Nazis beschimpft und verfolgt zu werden, weil sie sich nicht als solche empfinden. Sie ließen sich eine Tolle wachsen und zogen die Bomberjacke aus.

Vom Punk

zum Skin

Stilwechsel sind bei Jugendlichen nicht ungewöhnlich. So mancher Skin war vorher Punk. Und der Ausspruch eines Skins: „Jeder Skin hat seinen Hauspunk“ verweist auf die nicht immer negativen Beziehungen zueinander. Auf der Suche nach Identität, Besonderheit und Zusammengehörigkeit probieren Jugendliche unterschiedliche Stile aus. Auch politische Orientierungen sind dabei veränderbar. Die Vermarktung der unterschiedlichen Jugendstile erleichtert Stilwechsel. Noch vor Jahren konnten z.B. „Doc-Martens„-Schuhe nur direkt in England besorgt werden. Heute führen namhafte Bremer Schuhgeschäfte sie selbstverständlich im Sortiment. Hinein in den Laden und das entsprechende Outfit gekauft, schon ist man jemand anderer. Aus dem äußeren Erscheinungsbild, festgefügte politische

Einstellungen abzuleiten, ist zumindest fragwürdig.

Rassistische Äußerungen Jugendlicher sind ein Problem, mit dem man sich auseinandersetzen muß. Aber die politische Auseinandersetzung mit den Bedingungen, unter denen Jugendliche hier leben und die dazu beitragen, daß Rassismen entstehen, wird kaum geführt. Lieber arbeitet man das Problem an Skins und Psychos ab, indem man sie auf ihre rechtsextremen und gewalttätigen Äußerungen reduziert. Vielen Antifaschisten reicht es, Skins und Psychos zu verprügeln, um ihren Kampfwillen gegen den Neofaschismus zu demonstrieren. Die Versuche rechtsextremer Organisationen, z.B.die mittlerweile verbotenen ANS (Aktionsfront Nationaler Sozialisten) oder die FAP, an die Gewaltbereitschaft von Skins und Psychos anzuknüpfen und diese zu politisieren, sind weitgehend fehlgeschlagen. Skins, die von der FAP als Saalordner gegen antifaschistische DemonstrantInnen eingesetzt wurden, quittierten den Dienst, als sie merkten, daß sie nur den Kopf hinhalten sollten. Die meisten Jugendlichen ließen sich zumindest bisher nicht reduzieren weder von rechts noch von links.

Claudia Jokisch