50.000 latschten zum WAA-Bauzaun

■ Geschlossener Zug ohne Power zum Baugelände und zurück / Ratlosigkeit und Enttäuschung am Bauzaun / Polizei lobt die Veranstalter / Angst vor Provokationen durch Zivis und Rechtsradikale...

50.000 latschen zum WAA-Bauzauneschlossener Zug ohne Power zum Baugelände und zurück / Ratlosigkeit und Enttäuschung am Bauzaun / Polizei lobt die Veranstalter / Angst vor Provokationen durch Zivis und Rechtsradikale / Widerstand gegen Atommülltransporte. Euer WAAhnsinn ist unser Untergang.“ Als zwei WAA-Gegner auf Stelzen ihr Transparent am Stacheldraht des ehemaligen Haupttores zur WAA-Baustelle am Roten Kreuz befestigen und sich anschließend in zwei Meter Höhe auf dem Tor aus Spezialstahl niederlassen, kommt zum ersten und zum letzten Mal Stimmung unter den DemonstrantInnen auf. Ein paar Böller explodieren, mit Steinen wird an dem millionenschweren Zaun geklopft. Dann breitet sich wieder lähmende Ratlosigkeit aus. Die Stimmung ist gedämpft, vergleichbar mit dem Nebel, in dem sich die bereits errichteten WAA-Gebäude hinter dem Zaun den neugierigen Blicken der auswärtigen WAA-GegnerInnen entziehen.

Während die meisten der 50.000 DemonstrantInnen den Aufrufen der Ordner folgen und am Bauzaun angekommen postwendend wieder zum Kundgebungsplatz zurückmarschieren, wollen viele dies nicht wahrhaben. Eingefleischte Oberpfälzer WAA -Sonntagsspaziergänger tippen sich an die Stirn. „Da lassen sie uns nach über zwei Jahren zum ersten Mal wieder genehmigt zum Zaun laufen, und dann sollen wir sofort wieder umkehren“, wundert sich ein Schwandorfer Rentner.

Während es pausenlos aus den Megaphonen plärrt „Bitte nicht stehenbleiben“, setzt sich ein anderer Unbeeindruckter auf die Wiese nahe dem Zaun: „Ich gehe, wann ich will“, erklärt er trotzig. Andere ziehen demonstrativ am Zaun entlang Richtung Chaoteneck, der Stätte harter Auseinandersetzungen mit der Polizei in den vergangenen Jahren. Viele stehen jedoch unschlüssig am Graben vor dem Zaun und warten darauf, daß etwas passiert. Doch es passiert nichts - und niemand will den Anfang machen. Unbehelligt können sich Polizeipsychologen und Grüppchen von Einsatzbeamten durch die Menge bewegen. Auch für sie ist es neu, daß niemand „Haut ab!“ schreit. Keine Pfiffe, keine Parolen, keiner läßt einen der vielen „Atomkraft - Nein Danke„-Luftballons steigen - die Polizei hatte es verboten.

Genauso wie der Zug angekommen ist, kehrt er wieder zurück

-leise. Eine derartige „Latschdemo“, selbst Hannes Bojarski vom „Koordinationskreis Herbstaktionen 88“ kann an diesem Begriff nicht vorbei, hatte Wackersdorf vorher noch nicht gesehen. Viele fühlen sich an die „mächtigen“ Demonstrationen der Friedensbewegung mit über 100.000 Teilnehmern in Bonn erinnert. Andere vergleichen den Pilgerzug zum Zaum mit dem Gang der Moslems nach Mekka, um dort einmal die Kaaba zu umrunden, zu berühren und dann wieder zu gehen. Nur daß in Wackersdorf keiner „Allah akbar“ betet.

Schnell ist der Spuk am Bauzaun vorbei. Übrig bleiben Transparente am Zaun, eine Sprühparole auf dem Beton und die Allgegenwärtigkeit des toten bayerischen Ministerpräsidenten. „Strauß ist tot, und die WAA fängt auch zu bröckeln an“, steht hoffnungsfroh auf einem Plakat. Im Betongraben vor dem Zaun klebt fotogen die Titelseite der 'Bild'-Zeitung mit einem „Vergelt's Gott Franz Josef“ in Riesenlettern - befestigt mit Anti-WAA-Aufklebern. Schon auf dem langen Rückweg zum Kundgebungsplatz, auf dem Dieter Hildebrandt und die Biermösl-Blasn das Kulturprogramm gestalten, gibt es heftige Diskussionen über den Verlauf dieser Großdemonstration.

Auf der Abschlußkundgebung, viele sind bereits abgereist, spricht ein Vertreter des Münchener Anti-Atom Plenums von einer „großen Niederlage“, die die bayerische Staatsregierung hat hinnehmen müssen. Nur „der konsequenten Arbeit des WAA-Widerstandes und dem politisch-inhaltlichen Offenbarungseid von DWK und Staatsregierung“ beim WAA -Erörterungstermin in Neunburg sei es zu verdanken, daß die Demonstration erlaubt worden ist.

Polizei sieht die Sache verständlicherweise anders. „Das war ein Aufzug, so wie sich die Polizei das wünscht“, betont Arthur Stelzer vom Polizeiführungsstab in Schwandorf. Die Veranstalter hätten sich sehr kooperativ verhalten. Das hört Hannes Bojarski nicht gern, sind doch die Veranstalter erfolgreich gerichtlich gegen die schikanösen Auflagen vorgegangen. Er hat es kommen sehen, „daß die Polizei den Veranstaltern einen großen Erfolg attestieren wird“. Mit einer derartigen „Vereinnahmungsstrategie der Polizei“ ist er nicht einverstanden. „Dagegen müssen wir uns zur Wehr setzen.“ Er betont, daß sich alle Demonstranten, auch die sogenannten Radikalen, bewußt an das Konzept der absolut geschlossenen Demonstration gehalten hätten, schließlich sei es darum gegangen, das Demonstrationsrecht durchzusetzen. Zudem habe man Provokationen durch die Vielzahl von anwesenden Zivilpolizisten und Rechtsradikalen befürchtet. Diese hatten in der Region Anti-WAA-Plakate mit der Parole „Nieder mit dem roten Straßenterror“ überklebt. Angesichts der Erfahrungen vom Vorjahr - so Erna Wellnhofer vom Vorstand der Schwandorfer BI - wollte man sich nicht wieder dem Vorwurf aussetzen lassen, „man hätte die Leute in die Prügel reingejagt“. Beide gestehen jedoch zu, daß in diesem Jahr besonders das Spektrum der 880.000 Einwender gegen die 2.Teilerrichtungsgenehmigung angesprochen war und auch gekommen ist. Warum jedoch dem Demozug jegliche Power abgegangen ist, ist für Bojarski dennoch ein Phänomen. Er räumt ein, daß die Veranstalter es versäumt haben, für Stimmung zu sorgen und etwas am Bauzaun auf die Beine zu stellen. Im nächsten Herbst, wenn die ersten Atommülltransporte nach Wackersdorf bevor stehen, gebe es dann wieder „einen Ansatzpunkt für praktischen Widerstand“. Bereits bei der Auftaktkundgebung hatte Christof Kleiner von der „Liga Lübeck“ mit seinen Ausführungen zur Behinderung von Atommülltransporten viel Beifall eingeheimst. „Wenn wir uns nicht selbst zur Wirkungslosigkeit verdammen wollten, mußten wir den Rahmen, den uns der Atomstaat zur Verfügung stellt, sprengen“, zog er ein Resümee, das eigentlich für die Oberpfalz selbstverständlich sein müßte.