Chile-betr.: Tagesthema: "Pinochet - abgewählt und doch im Amt", taz vom 12.10.88

betr.: Tagesthema Seite 3:

„Pinochet - abgewählt und doch im Amt“, taz vom 12.10.88

Die Art, wie die taz die Informationen über Chile bringt, unterscheidet sich nicht von der allgemeinen bürgerlichen Presse: Sie ist partiell, ohne Substanz, ohne Analyse, sogar karikiert.

Die Berichterstattung von Th. Schmid über die letzten Tage in Chile, aber insbesondere der Artikel vom 12.10., leiden an Oberflächlichkeit: Er stellt dort die politische chilenische Realität den Lesern nicht als einen lebendigen Prozeß dar, sondern als ein Phänomen der letzten Tage in Chile, das Volk tanzend und singend in der „Plaza de Armas“. Das ist nach einer Woche nicht der Fall, das Volk wurde unpolitisch für ihn.

In seinen Berichten kann man nicht die harten, dunklen Hintergründe, die seit 15 Jahren die politische Szene in Chile beherrschen, erkennen. Er übersieht die Tatsache, daß dieses Plebiszit von den reaktionärsten nationalen und internationalen Kräften durch ihre Verfassung forciert wurde und daß die Linke in der Illegalität zunächst dieses Plebiszit boykottieren wollte, aber Christdemokraten und Sozialdemokraten sich opportunistisch an die Spitze der Opposition stellten und alles getan haben, um eine Beteiligung in Form eines „Nein“ doch zu ermöglichen. Die „unbedeutenden Gruppierungen“, die sich trotzdem an den Boykott hielten, das müßte Schmid eigentlich wissen, konnte er nicht singend auf der Straße sehen.

Was er schreibt, wußte jeder: trotz des Nein-Sieges bleiben die Militärs die Mächtigen. Sie werden nur verhandeln, mit oder ohne Pinochet, wenn sie sicher sind, daß die bürgerliche Opposition eine stabile Alternative geworden ist, wenn die Linke, und insbesondere die Marxisten, entweder unter der Führung der bürgerlichen Opposition ihre Fahne hintenanstellt oder absolut illegalisiert, marginalisiert in die Ecke gestellt, keine Gefahr mehr bedeutet.

Und das sind Prozesse. Die Zersplitterung der linken Organisationen hat Gründe. Ein Hauptgrund ist, wie man sich mit dieser Situation konfrontiert. (...)

Maria Perez, Berlin