Ex-Putschist Kenan Evren auf Staatsbesuch

Türkischer Staatspräsident auf Einladung Weizsäckers für fünf Tage in der Bundesrepublik  ■ P O R T R Ä T

Berlin (taz/dpa) - Bundespräsident Richard von Weizsäcker ist am Montag mit dem türkischen Staatspräsidenten Kenan Evren in der Villa Hammerschmidt zu einem ersten Gespräch zusammengetroffen. Bereits bei der Ankunft Evrens war es zu Auseinandersetzungen zwischen türkischen Anhängern und Gegnern der Politik Evrens gekommen, die durch einen „massiven Polizeieinsatz“ beendet wurden. Bundestagsabgeordnete der Grünen und amnesty international haben den Bundespräsidenten wegen der Einladung Evrens kritisiert. Sie erklärten, daß in der Türkei noch immer systematisch gefoltert werde.

Angesprochen auf die gegen ihn gerichteten Protestaktionen in der Bundesrepublik gab sich der Ex-Putschist und gegenwärtige Staatspräsident Kenan Evren gelassen. „Das sind doch Leute, die aus ihrem Vaterland geflüchtet sind. Ihr Nährboden ist günstig, in Deutschland können wir natürlich nichts tun. Die Deutschen sagen, unsere Gesetze sind nicht geeignet, diese Leute daran zu hindern.“ Daß es Evren mißfällt, wenn sich andere in seine Angelegenheiten mischen, hat er in der Vergangenheit mehrfach demonstriert. Als seine Militärgerichte politisch Oppositionelle zum Tode verurteilten und Kritik aus Europa zu vernehmen war, gab er es den Kritikern: „Wir mischen uns schließlich auch nicht in ihre Angelegenheiten. Wir sagen ja schließlich nicht, sie sollen in ihren Ländern die Leute aufhängen.“ Und den Kritikern im eigenen Lande stellte er in mehreren Reden zur Zeit seiner Propagandafeldzüge nach dem Militärputsch die Frage: „Sollen wir die denn füttern, anstatt aufzuhängen?“ Es war eine rhetorische Frage - 17jährige wurden von seinen Kriegsgerichten zum Tode durch Erhängen verurteilt.

Während der Staatsbesuche gibt er sich zahm, versucht im Rahmen des vorgeschriebenen Manuskriptes zu sprechen. „Wir haben niemanden hingerichtet. Die Urteile, die die Gerichte fällten, wurden vollstreckt.“ Doch wenn er in der Türkei vor auserwähltem Publikum redet, kann er sein Soldatenherz nicht bändigen. Worte wie „ausmerzen, vernichten“ gehören zu seinen stereotypen Lieblingsvokabeln. Ausgemerzt wurde zum Beispiel die Aktzeichnung eines polnischen Malers auf einer Kunstausstellung in Istanbul, die Evren bei einem Besuch für pornographisch befunden hatte.

In Erinnerung an alte Tage droht Evren auch unverblümt mit einem Putsch. „Die türkischen Streitkräfte werden ihre Pflicht erfüllen, falls wieder Zustände einkehren wie vor dem 12.September1980, dem Datum des Militärputsches“. Der ehemalige Generalstabschef Evren war es, der den Militärputsch am 12.September1980 organisierte. Es war der Führer des fünfköpfigen Putschistengremiums, des „Nationalen Sicherheitsrates“, der das Parlament auflöste, die gewählte Regierung stürzte und die Parteiführer internierte. Zehntausende wanderten in die Folterkammern des Militärregimes. 1982 ließ er das Volk über seine Verfassung abstimmen. Die repressive Verfassung sicherte dem Staatspräsidenten umfassende Vollmachten. Paragraph 1 des Übergangsparagraphen der Vefassung bestimmte, daß durch die Annahme der Verfassung Kenan Evren für 7 Jahre Staatspräsident wird. Seit dieser Zeit ist er im Amt. In den vergangenen Jahren konnte er seiner totalitären Machtbesessenheit nicht mehr vollkommen Geltung verschaffen. Heute hat er Probleme, ernst genommen zu werden. Sein Staatsbesuch in der Bundesrepublik wurde noch nicht einmal Hauptschlagzeile in den türkischen Tageszeitungen. Von Ministerpräsident Turgut Özal, von Inflation und Teuerung redet das gemeine Volk. Dafür darf sich Evren bei seinem Besuch bei Weizsäcker ganz staatsmännisch geben: Von EG -Mitgliedschaft, ökonomischer Integration und von westlichem Verteidungsbündnis soll gesprochen werden.

Bernhard Wilster