„Verantwortung übernehmen“

■ Eine Fortentwicklung der politischen Sprache

Am Wochenende hat der Grünen-Bundesvorstand erklärt, er übernehme die politische Veranwortung über die Finanzaffäre um das grüneneigene Haus „Wittgenstein“. Die Öffentlichkeit hielt den Atem an und wartete. Vergebens. In dem bislang bekannten Sprachgebrauch hieß diese Redewendung, man stellt sein Amt zur Disposition, tritt zurück, und zwar für Fehler, die man selbst nicht begangen und von denen man auch nichts gewußt hat. Dahinter stand die womöglich antiquierte Auffassung, daß ein öffentliches oder politisches Amt eine höhere Verantwortung impliziert als beispielsweise der Chefsessel eines Privatunternehmers.

Die grüne Innovation sieht nun so aus: der Bundesvorstand wußte von Unregelmäßigkeiten und ungesetzlichen Praktiken bei der Abrechnung von Arbeitsleistungen im Haus „Wittgenstein“. Leugnete dieses Wissen, versuchte einen abhängigen Angestellten, dem Bauleiter Kämper, die alleinige Verantwortung zuzuschieben. Als dieser sich wehrte und eine Prüfungskommission zudem die Mitwisserschaft feststellte, übernahm der Bundesvorstand die Verantwortung - und ging zur Tagesordnung über.

Schon der nordrhein-westfälische Innenminister Schnoor hatte diesen Sprachgebrauch antizipiert. Er übernahm seinerzeit die Verantwortung für den Polizeieinsatz im sogenannten „Geiseldrama“ und verschwand mit derselben bis heute auf Nimmerwiedersehen. Doch der Grünen-Bundesvorstand ging weiter: Er übernahm die politische Verantwortung, die er hatte, erst dann, als nachgewiesen wurde, daß er verantwortungslos handelte. Verantwortung übernehmen heißt offenbar nun: am Amtssessel kleben bleiben. Und grüne Transparenz ist nichts anderes als die neue Schamlosigkeit der Amtsinhaber.

Klaus Hartung