„Entartete Musik“

■ Die Hamburger Staatsoper zeigt die Rekonstruktion einer Nazi-Propagandaschau aus dem Jahre 1938

Nichts eignet sich besser zum Beweis wohlmeinender Gesinnung als die Abgrenzung zum Faschismus. Da kommen die Gedenktage mit runden Jahreszahlen gerade zupaß: 50 Jahre Reichskristallnacht, 50 Jahre „Entartete Kunst„; und 50 Jahre „Entartete Musik“. Denn auch das hat es im 3. Reich gegeben, nach 1933 wurde versucht, auch Musik der Rassenideologie des Nationalsozialismus dienstbar zu machen.

Die in Anschlag gebrachten Methoden waren dabei überall dieselben: Unliebsame Musiker und Komponisten wurden ins Exil getrieben, andere ihrer Ämter enthoben, mit Aufführungs -und Berufsverbot belegt. Nach fünf Jahren schien das Ziel erreicht: Als endgültige Flurbereinigung im Sinne nationalsozialistischen Musikschaffens, zur Heerschau deutschen Kunstwesens war 1938 eine Ausstellung „Entartete Musik“ am Rande der Reichsmusiktage in Düsseldorf gedacht.

Wenige Wochen nach dem Anschluß Österreichs eröffnet, blieb jedoch dieser Veranstaltung - im Gegensatz zur großen Ausstellung „Entartete Künste“ - der propagandistische Erfolg versagt. Wegen mangelnden öffentlichen Interesses wurde die Schau nach einem Monat geschlossen.

Was war da auch schon zu sehen: Ein paar Abbildungen der modernistischen „Musikblätter des Anbruch“ und des „Melos“ mit dem Kommentar, daß „diese Blätter den Musikbolschewismus hochgezüchtet“ hätten. Einige Portraits sogenannter „jüdischer Kulturbolschewisten“ wie Arnold Schönberg etwa, die Partitur von Friedrich Hollaenders „Ich bin von Kopf bis Fuß...“

Die Düsseldorfer Ausstellung 1938 ist vor zwei Jahren rekonstruiert worden und nun im Foyer der Hamburger Staatsoper zu sehen. „Rekonstruiert“ ist dabei allerdings zu hoch gegriffen; denn die Text-Tafeln der Originalausstellung wurden durch neue Kom

mentare ersetzt, damit der Betrachter ja das Richtige denke. Die wenigen Abbildungen wurden über zwei, drei Stellwände verteilt und um ein paar Statistiken ergänzt. Daraus geht hervor: Unter den Tausenden Verfolgten und Millionen Ermordeten des Nationalsozialismus befanden sich auch Musiker.

Das macht natürlich nachdenklich und gibt der heutigen deutschen Musikwissenschaft Gelegenheit, sich gegen ihre Nazi-Vergangenheit abzugrenzen. Die Ausstellung in der Hamburger Senatsoper ist deshalb weniger der verfemten Kunst gewidmet als den Verfehlungen von Fachkollegen. Die musikwissenschaftliche Abrechnung sieht dann so aus: „Nicht die Neue Musik war entartet, sondern der Umgang der Nazis mit Musik!“ Zwar kein origineller Gedanke, dafür Ausdruck wohlmeinender Gesinnung. Und nur das zählt wohl.

Johannes Schulz

bis 6.11., 16-18 Uhr.