Still ruht der Müll

■ Seit Jahren rinnt das Gift aus der ehemaligen Müllkippe Lübars / Der Umweltsenator blieb untätig - jetzt ermittelt die Umweltkripo gegen die Behörde

Lübars, das ist für die Berliner eine ländliche Idylle. Südlich des Dorfes, zwischen Ackerflächen, Gräben, Teichen und Brachflächen erhebt sich der Hügel des sogenannten „Freizeitparks“, seit Jahren ein beliebtes Erholungsgebiet. Doch die Idylle trügt. Täglich fließen hochgiftige Chemikalien aus dem Berg, verseuchen Gräben und Teiche der Umgebung und sickern ins Grundwasser. Der Grund: Das Gras des Parks wächst auf Müll, auf zwei Millionen Kubikmeter Abfällen, die die Stadtreinigung bis 1981 hier ablud. Über die Kippe ist Gras gewachsen, über das Gift nicht. Seit März ermittelt die Umwelt-Kripo. Sie hegt den „dringenden Tatverdacht der schweren Umweltgefährdung“. Potentielle Tatverdächtige: die Verantwortlichen in der Senatsumweltverwaltung. Es geht um Unterlassungssünden. Über Jahre ließen die Senats-Umweltschützer die Lübarser Umwelt ohne Schutz - obwohl sie wußten, das Gift aus dem Müllberg sickert.

Schon 1978 schreckte ein Fischsterben im gut ein Kilometer westlich gelegenen Seggeluchbecken die Behörden auf. Sickerwässer aus der Kippe könnten die Ursache sein, fiel den Umweltbeamten ein. 1980 wurde allerlei gemessen: das Grundwasser ebenso wie benachbarte Brunnen und Gräben. Ergebnis: zu hohe Werte für Blei, Zink, Arsen und Cadmium in einem Brunnen, zuviel Chlorid im Grundwasser. Konsequenzen zog die Behörde nicht. Das Gift sickerte weiter.

1985 untersuchten Gutachter für das Bezirksamt Reinickendorf einen Teich am Südrand der Kippe - mit erschreckenden Ergebnisse. „Für Fische bereits tödlich“ sei die Ammoniak-Konzentration, „erhebliche Beeinträchtigungen“ für die Tierwelt im Teich lasse auch der Ammonium-Gehalt befürchten. 5.000mal höher als in zwei anderen Teichen der Umgebung liege hier der Wert, ermittelten die Gutachter. Weitere „Indizien“ für eine Belastung durch den Müllberg fanden die Fach-Ökologen in den Konzentrationen von Nitrit und Nitrat („deutlich überhöht“) und in der „organischen Belastung“ des Teiches. Der Verdacht auf die klassischen Müllgifte Dioxin, DDT und PCB lag für die Gutachter nahe. Sie rieten zu weiteren Untersuchungen. Am Müllberg blieb alles still.

So konnte es von außen scheinen. Doch zunächst hatte die Umweltbehörde durchaus Aktivi (Fortsetzung auf Seite 18)

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täten entwickelt. „Starke Verunreinigungen des Wassers“, räumte die Behörde am 22.September 1981 in einem Brief an die BSR ein. Es müsse etwas geschehen: „Zur Abwendung von Gefahren für das Grund- und Oberflächenwasser sei es erforderlich, das Sickerwasser in Dränsystemen aufzufangen.“

Die Umweltbehörde hatte Pech. Erfolgreich konnte die BSR sich darauf berufen, sie habe gerade die Verantwortung für den Müllberg an Bezirk und Senat abgegeben. Nun war die Umweltverwaltung selbst gefragt. Folge: das Problem wurde nicht mehr angegangen, es wurde nur noch bagatellisiert. Plötzlich klang alles ganz anders.

„Die ermittelten Stoffgehalte geben keinen Anlaß zu Sofortmaßnahmen“, ließ im Mai 1984 der damalige Umweltsenator Vetter (FDP) den AL-Abgeordneten Tietz wissen. Vetter versprach Untersuchungen auf organische Gifte wie PCB oder Dioxine. Das war ein leeres Versprechen. Bis heute gibt es keine weiteren Analysen der Sickerwässer, des Grundwassers und von Teiche in der Umgebung des Müllbergs. Mit wechselnden Begründungen wurden in den folgenden Jahren anfragende AL-Parlamentarier abgespeist. Vetter verwies 1984 auf die relativ ungefährlichen Abfälle im Müllberg - das Altlastenkataster seines Hauses spricht dagegen vom „Verdacht auf Industriemüllablagerungen“. Von einer „für eine Deponie relativ geringfügigen Belastung des Grundwassers“ sprach Starnick 1986 - obwohl nach den gefährlichsten Giften nicht gefahndet wurde.

„Sickerwasseruntersuchungen können an der Deponie nicht vorgenommen werden, da die Deponie nicht mit einer künstlichen Basisabdichtung und einem Dränagesystem ausgerüstet ist“, bedauerte schließlich schon 1984 Ex -Senator Vetter in seiner Antwort auf die Tietz-Anfrage und das war eine Lüge. Denn in dem Schreiben an die BSR hatte die Behörde 1982 noch erklärt, es seien „Wasserproben aus dem Deponiesickerwasser entnommen“ worden.

Im übrigen: genau dieses Dränagesystem zu installieren, hatte die Behörde der BSR abverlangen wollen - das Fehlen der Vorrichtung diente ihr selbst nur zur Begründung weiterer Untätigkeit. Die Umweltbehörde war mit dieser Altlast offensichtlich überlastet - die Umwelt-Kripo hat den Fall jetzt an die Staatsanwälte weitergegeben.

Wolfgang Tietze/hmt