Tritsch-Tratsch-Polka

■ Eine Tagung der ARD für den professionellen Voyeur in der ersten Reihe

Gespenstisch schwebt das Bild „eines Ministerpräsidenten“ über den ausgezehrten Nadelstreifen in der Sendezentrale eines lieblichen württembergischen Großstädtleins. Den Namen des bösen Fernsehspielverderbers Lothar Späth traut sich anscheinend schon gar niemand mehr auszusprechen. Zu groß ist die Demütigung, die der Kastrator (von schwäb.: Kaschtrat, von schwäb.: Kaschten, von hochdt.: Fernseher) den Staatsfernfunkern am „Schwarzen Tag von Stuttgart“ (Günter Herrmann, SFB) zugefügt hatte, weil er ihr Begehr nach mehr Gebührengroschen fallenließ. Jetzt geht's ans Eingemachte, jetzt muß sich jeder an seine eigene Pfeife packen. Was haben wir nicht alles falsch, bzw. richtig, aufrecht, unabhängig, integrativ, sauberjournalistisch etc. gemacht, fragt sich eine verzweifelte Schar von Doktores, Professores, Anstaltsleitern und Schatzmeistern aus den Turmzimmern der Öffentlichen-Selbstgerechten in den goldenen Oktober hinein: Dem Lockruf des Herrn Herrmann Fünfgeld (Name von der Red. nicht geändert) zu zwei Tagen „ARD im Gespräch-Rundfunkökonomie“ incl. - gemäß Fünfgelds eigenem Marketing-Konzept und entgegen des ARD-Vorsitzenden Hans Bausch Apell zum Mittagleiden - Aperitif und Abendessen im Parkhotel („auf Einladung des SDR und der SDR-WerbungGmbH“), Mittagessen in der sendeanstaltseigenen Kantine sowie Hotelreservierung „zu unseren Lasten“ folgten mannigfaltige Multiplikatoren zwischen Köln (kath. Institut f. Medieninformation e.V.), Hamburg (Funkuhr) und Leutkirch ('Schwäbische Zeitung‘) sowie Divisioren zwischen Köln (GEZ) und München (Bayr. Oberste Rechnungshof).

Zu bemerken ist zunächst, daß der Moderator zunächst immer bemerkte, ob die zwölf grundgesetzestreuen Herren Kurzreferenten angesichts einer ungewissen Zukunft „in der Zeit blieben“ oder nicht. Dabei wissen doch selbst die Stoppuhrbürokraten, was die Stunde geschlagen hat: „Den Deregulationsstrategen, den Monopolbrechern der kommerziellen Konkurrenz, aber auch den Staatskontrolleuren, die unsere gemeinnützigen Rundfunkanstalten nicht als Produktionsbetriebe, sondern als Behörden betrachten, muß klar und deutlich gesagt werden, daß das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, nachdem wir angetreten, solche Gewinnspiele eigentlich nicht erlaubt.“ (Bausch). Nein, „meine Damen und Herren“ (Friedrich Nowottny, WDR), trotz der „Leistungsführerschaft in Hörfunk- und Fernsehbereich“ (Fünfgeld), die ARD darf nicht dem Markt ausgeliefert werden! Denn immerhin, die „Bundesrepublik als Kulturnation“ (Oskar Maier, BR) stünde auf dem Spiel, wenn die ARD nicht mehr „im Interesse der Daseinsvorsorge und Zukunftssicherung aller Bürger einen Grundversorgungsauftrag außerhalb des kommerziellen privatwirtschaftlichen Sektors der Marktwirtschaft hat“ (Maier). BR - die Bank mit der man reden kann, beim fröhlichen telefonischen Gewinnspiel. Schließlich muß „jedem Gebührenzahler eine angemessene Gegenleistung angeboten und nahegebracht werden“ (Manfred Jenke, WDR).

„Informieren, bilden, unterhalten“, erkannte Friedmar Lüke (SDR) treffsicher als entscheidenden Sendeauftrag, wobei er jedoch, obwohl die Zeiten der „Kanaltreue“ (Schwarzkopf) vorbei seien, vor der Wunderwaffe „Infotainment“ warnte und vielmehr auf das „Nahradio“ bzw. „Nahfernsehen“ setzte, um so quasi das Fenster zur Welt durch das Fenster zum Hof zu ersetzen: „Niemand von uns lebt nur im Überregionalen.“ Wohl aber im Überseeischen, an dessen Ufer das Sendungsbewußtsein von Heinz Fellhauers Deutsche Welle Grundbegriffe von Demokratie, Gerechtigkeit und Freiheit schwappen läßt. Der Programmdirektor Deutsches Fernsehen, Dietrich Schwarzkopf, wußte hingegen, daß auch daheim die Nachrichten von der Zuschauerflucht kaum betroffen sind. Was Wunder, denn hier wird dem Zuschauer gesagt, „was 'wirklich los ist‘, nach bewährten journalistischen Grundsätzen: Aktualität, Zuverlässigkeit, Vollständigkeit, Verständlichkeit, Sachlichkeit, Fairneß“ und unter „Verzicht auf Gefälligkeitsfragen“ bei Interviews. Wolfsfeller vom Bayerischen Rundfunk, Fachmann in solchen Fragen, hatte jedoch leider seine Teilnahme an der Tagung wegen des bekannten Trauerfalls in der Familie absagen müssen.

Und so waren sie dann alle glücklich und zufrieden mit ihren besten aller möglichen integrativen Programmen („Integration ist ein sehr hoher Wert, aber nicht um den Preis, das die Akzeptanz anderer Programme dadurch in Gefahr gerät“, Jenke). Nur ein einziger Ketzer weilte im Auditorium: Professor Doktor Eichhorn von der Universität Mannheim. „Ich halte es mit der Lehre von der Strategie von Clausewitz. Strategie ist die Lehre von der Kriegsentscheidung. Gefechtsentscheidung wäre Taktik. Hier geht es um Kriegsentscheidungen. Und das Signal wäre hier 'Aufschließen‘ wie bei der Bundeswehr.“ Die Rede des Kriegers blieb dunkel, nur Fans des Krieg- und Medientheoretikers Paul Virilio mag sie sich erhellt haben.

Die Rettung naht, vor allem in Gestalt von Herrn Fünfgeld (SDR) und Herrn Schiwy (NDR). Denn die Erstschlagworte, die der linken taz recht sind, machen auch die Rechtlichen billiger: Unternehmensstrategie, klare unternehmerische Zielsetzung, strategische Konzeption, flexible operative Umsetzung, gesellschaftliche Akzeptanz, Reichweitenoptimierung, Verkaufsunterstützung, Einheitsgebühr, Unverwechselbarkeit, Corporate Identity, Leitbilder, Professionalisierung, Stärken- und Schwächen -Analysen, ziel- und ergebnisorientierter Führungsstil, Gleichklang der Interessen der Leitungsebene, frühzeitiger Konsens zwischen Leitung und Personal, Motivation und Orientierungsrahmen für alle Mitarbeiter, mit dem Denken und Handeln eine widerspruchsfreie Grundlage erhalten und - vor allem - „in der Personalkostenplanung sollen die Pensionsverpflichtungen von heute unverändert Kostenfaktor bleiben, also nicht (nur) den Gebührenzahler von morgen belasten“ (Maier). Und endlich füllte sich die taz -Fernsehfahrerin so richtig wieder heim in der Wattstraße bei Georgia auf'm Freischwinger, vorm beliebten Tornow -Visions-Programm.

Gabriele Riedle