Entführung in den rechtsfreien Raum

Eine Mutter kämpft um die Rückkehr ihrer beiden Kinder, die vom geschiedenen Mann in dessen iranische Heimat entführt wurden / Polizei nahm Warnungen und Hinweise auf eine drohende Entführung nicht ernst / In der Bundesrepublik werden jährlich 500 bis 1.000 Kinder durch ein Elternteil entführt  ■  Von Rita Schnell

Köln/Geldern (taz) - Am Abend des 3.August diesen Jahres wartete Karine Bagheri-Gamerschlag (38) aus Geldern vergeblich auf die Rückkehr ihrer Kinder. Die kleine Sarah (8) war gemeinsam mit ihrem 5jährigen Bruder zu Besuch beim Vater, dem Iraner Siamak Bagheri (35). Frau Bagheri -Gamerschlag hatte Grund zu der Befürchtung, daß ihr Mann sich mit den Kindern in den Iran abgesetzt haben könnte. Noch am selben Abend ging sie zur Polizei. Die Beamten fühlten sich nicht zuständig, zuckten mit den Schultern und schickten die besorgte Mutter wieder nach Hause. Ansonsten blieben die Ordnungshüter untätig. Es erfolgte keine Benachrichtigung der Grenzstationen, nicht mal eine Anfrage beim Flughafen Frankfurt, von wo aus die einzigen Linienflüge nach Teheran starten. Dies, obwohl der Dienststelle bekannt war, daß Siamak Bagheri bereits im Oktober vergangen Jahres die Geschwister heimlich in den Iran gebracht hatte.

Mit dieser Aktion hatte er versucht, seine Frau zu zwingen, die eingereichte Scheidung zurückzunehmen. Zum Schein ging Karine Bagheri-Gamerschlag auf diesen Erpressungsversuch ein. Sobald sie die Kinder wieder in ihrer Obhut hatte, reichte sie erneut die Scheidung ein. Im Dezember 1987 wurde ihr vom Amtsgericht Geldern per Einstweiligem Beschluß das Sorgerecht zugesprochen. In dieser Entscheidung bemerkte das Gericht ausdrücklich, Frau Bagheri-Gamerschlag “...muß aufgrund der Vorgeschehnisse befürchten, daß der Vater die Kinder erneut eigenmächtig in den Iran verbringen könnte“.

Am 7.August war die Befürchtung zur Gewißheit geworden: Siamak Bagheri rief aus Teheran an und eröffnte seiner Noch -Frau, daß er beabsichtige, von nun an mit den Kindern im Iran zu leben. In ihrem ersten Entsetzen wollte Karine Bagheri-Gamerschlag sofort ihren Kindern hinterher reisen. Der Flug war bereits gebucht, als die Frau von einem Freund darauf aufmerksam gemacht wurde, daß es für sie möglicherweise keine Rückkehr aus dem Iran gebe. Denn die ausländische Ehefrau eines Iraners wird automatisch iranische Staatsbürgerin und ist als solche ihrem Mann zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet. Für die Rückreise aus dem Iran hätte es der Zustimmung des Mannes bedurft. Daß die Angeklagte auch noch einen bundesdeutschen Paß besitzt, spielt auf iranischem Hoheitsgebiet keine Rolle. Das gleiche gilt für die Kinder, die zwei Staatsangehörigkeiten haben: Innerhalb der Grenzen des Irans gilt für sie ausschließlich iranisches Recht. Ein in der Bundesrepublik gefällter Sorgerechtsbeschluß hat im Iran keinerlei Bedeutung. Im Scheidungsfalle werden die Kinder dort gemeinhin den Männern zugesprochen.

In ihrer Not wandte Karine Bagheri-Gamerschlag sich an die bundesdeutsche Creme der Politiker von Weizsäcker bis Kohl, von Süssmuth bis Blüm und Genscher. Alle Briefe landeten früher oder später auf dem selben Schreibtisch im Auswärtigen Amt. Von dort konnte ihr bislang wenig Hoffnung gemacht werden, wie sie ihre Kinder wiederbekommen könnte.

Ein Schreiben an die bundesdeutsche Botschaft in Teheran führte immerhin zu einem Gespräch zwischen Botschaftsangestellten und ihrem Mann. Dieser zeigte sich allerdings weiterhin uneinsichtig und blieb bei seinem Entschluß, mit den Kindern im Iran zu leben. Sara ist dort mittlerweile in einer Schule angemeldet.

Auf etwa 500 bis 1.000 Fälle schätzt die Kölnerin Doris Bounaira von „Kinderschutz International“ ähnlich gelagerte Fälle in der Bundesrepublik. Dabei handelt es sich bei weitem nicht nur um Konflikte, die aus bi-nationalen Ehen entstanden sind: In rund zwei Drittel der Fälle werden Kinder aus gescheiterten Ehen zwischen Deutschen vom nicht sorgeberechtigten Elternteil entführt.

„Besonders seit der Scheidungsreform von 1976 versuchen sich gerade die wohlhabenden Väter durch Flucht mit den Kindern vor Unterhaltsleistungen zu drücken“, weiß Bounaira aus den Hilferufen an ihren Verein. „In diesen Fällen weiß man nicht einmal, wo die Kinder zu suchen sind. Ist der Vater dagegen Ausländer, befindet er sich mit großer Sicherheit in seinem Heimatland.“

In den meisten Fällen sind es die Väter, die die Kinder aus ihrer gewohnten Umgebung reißen und sie in einen fremden Kulturkreis bringen. Das Motiv ist sicher nicht das vielzitierte „Wohl des Kindes“, es geht vielmehr um Rache, weil die Frau die Scheidung eingereicht hat, oder die Frau soll unter Druck gesetzt werden, die eingereichte Scheidung zurückzuziehen, auch aufenthaltsrechtliche Belange spielen oftmals eine Rolle.

„Es gibt kaum eine Chance, ein entführtes Kind wiederzubekommen, wenn es in ein arabisches Land verschleppt wurde“, berichtet Doris Bounaira. Sie spricht aus eigener leidvoller Erfahrung: Vor 14 Jahren hielt ihr damaliger tunesischer Mann die beiden Söhne nach einem Familienurlaub gewaltsam in Tunesien zurück. Erst nach dreieinhalb Jahren, einem Rechtskrieg durch drei Instanzen und dem Einschalten höchster politischer Kreise bekam Doris Bounaira ihre Kinder wieder zurück. Seither engagiert sie sich in dem von ihr gegründeten gemeinnützigen Verein „Kinderschutz International“, einem Einfrauenbetrieb, deren 1. Vorsitzende sie ist und dem sie ihre ganze Freizeit opfert. Immerhin konnte sie in über 100 Fällen helfen, Kinder zurück in ihre gewohnte Umgebung zu bringen. „Das, obwohl die Möglichkeiten und Mittel sehr begrenzt sind“, erzählt Bounaira, die sich freuen würde, wenn auch ihr Verein häufiger bei gerichtlichen Bußgeldzuteilungen bedacht würde.

Das Hauptproblem bei der Rückführung verschleppter Kinder ist das Fehlen internationaler Vereinbarungen. Zwar gibt es das Haager Abkommen zum Schutze von Minderjährigen aus dem Jahre 1961 und ein Übereinkommen der Europäischen Gemeinschaft über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht von Kindern (1980), aber gerade die arabischen Staaten haben keines dieser Abkommen unterzeichnet. So erteilte selbst die Botschaft der BRD in Tunesien einer betroffenen Mutter den Rat, ihre beiden Kinder „unter Anwendung der Methode ihres Mannes zurückzuführen“ - als gangbarsten Weg zur Problemlösung.

„Kinderschutz International“ setzt angesichts fehlendem internationalen Rechts auf die „Prävention“. „Es geht darum“, meint Doris Bounaira, „es gar nicht erst so weit kommen zu lassen. Schon erste Anzeichen auf mögliche Pläne des Vaters müssen ernst genommen werden.“ Der Verein empfiehlt in Problemfällen die Besuche von Dritten (Jugendamt, Kinderschutzbund) beaufsichtigen zu lassen oder die Besuchserlaubnis überhaupt zu entziehen. Diese Regelungen haben allerdings ungünstige Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder. Weil das Wohl des Kindes aber im Vordergrund stehen soll, verweist Bounaira auf das von ihr in einigen Fällen bereits mit Erfolg angewendete „Präexequaturverfahren“. Hierbei soll der ausländische nichtsorgebrechtigte Elternteil das deutsche Urteil behördlich anerkennen lassen. Diese Anerkenntnis muß von der Botschaft oder einem Gericht des entsprechenden Landes in allen juristischen Punkten beglaubigt werden. „So werden fehlende bi-laterale Abkommen durch Privatverträge ersetzt“, beschreibt Bounaira die Methode, „liegt ein solcher Vertrag vor, können Vater und Kinder sich uneingeschränkt und unbeaufsichtigt treffen. Denn ein Mann, der vor hat, seine Kinder zu entführen, würde ein solches Anerkenntnis wohl kaum unterschreiben.“

Karine Bagheri-Gamerschlag aus Geldern hat ihr Einverständnis zu einer großzügigen Besuchsregelung bitter bereut - sie wollte ihrem Mann die Angst nehmen, daß ihm die Kinder entfremdet würden. Als Sicherheit glaubte sie einen Ehevertrag im Rücken, der ihr das Mitspracherecht bei der Kindererziehung garantieren sollte. Aber dieser Vertrag war von der iranischen Botschaft nicht beglaubigt worden und wird zudem von Siamak Bagheri so ausgelegt, daß er eben das hauptsächliche Sorgerecht für die Kinder habe.

Sobald die mittlerweile erfolg te Scheidung rechtskräftig ist, will Karine Bagheri-Gamerschlag versuchen, sich der iranischen Staatsbürgeschaft zu entledigen, um zu ihren Kindern nach Teheran reisen zu können. Dort wird sie schon sehnlichst erwartet. „Ich weine viel“, schreibt die kleine Sara in einem von ihrer Tante heimlich an die Mutter geschickten Brief, „Du mußt unbedingt kommen und uns hier wegholen.“

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