Kohl nach Moskau als Handelsvertreter

Deutsche dick drin in Joint Ventures / Siemens will Reaktor verkaufen  ■  Von Ulli Kulke

Eitel Freude im Vorfeld des Besuches von Bundeskanzler Kohl ab kommenden Montag in Moskau. Eine jetzt fertiggestellte Zwischenbilanz des Bundeswirtschaftsministeriums über den Stand der beidseitigen Wirtschaftsbeziehungen verdeutlicht das starke Engagement bundesdeutscher Firmen bei Joint Ventures in der Sowjetunion, ein Dreimilliarden-Mark-Kredit deutscher Banken an die Moskauer Außenwirtschaftsbank wurde vorgestern endgültig unter Dach und Fach gebracht, und wenn alles klappt, ist die deutsche Atom-Industrie nach der Kanzler-Visite ein gutes Stück weiter gekommen bei ihrer Suche nach lukrativen Aufträgen.

Die Studie aus dem Hause Bangemann zeigt, daß von den rund 60Gemeinschafts-Unternehmen („Joint Ventures“) in der UdSSR, an denen westliche Firmen mitwirken, 13 mit bundesdeutscher Beteiligung laufen. Zur Zeit wird verhandelt über 35 weitere deutsch-sowjetische Gemeinschaftsvorhaben vor allem im Bereich Maschinenbau. Klagen gibt es laut Wirtschaftsministerium allerdings noch über Arbeits- und Wohnbedingungen für die Mitarbeiter deutscher Firmen.

Bonn will die Zusammenarbeit mit „flankierenden Maßnahmen“ weiter fördern, u.a. durch Aus- und Fortbildung im technischen und Managementbereich. So ging in dieser Woche eine 14tägige Einführung in das Marketing westlicher Unternehmen für Außenhandelsfachleute aus der UdSSR zuende, die die Carl-Duisberg-Gesellschaft in Zusammenarbeit mit dem Bonner Wirtschaftsministerium organisiert hatte. In Bonn wie auch in anderen westlichen Ländern - erhofft man sich gute Geschäfte bei der industriellen Erschließung Westsibiriens oder auf der Halbinsel Kola. Da solle dann die Anlagenindustrie in den Bereichen Bergbau und Aufbereitung von Rohstoffen mit Auftragsdimensionen eingedeckt werden, die hier nicht mehr eingeholt werden können. Auch wenn es in der Sowjetunion um die „Chemisierung der Volkswirtschaft“ geht, will man laut Bundeswirtschaftsministerium dabei sein.

Über den Dreimilliarden-Mark-Kredit kann sich vor allem die hiesige Anlagenindustrie freuen. Die Vereinbarung sieht nämlich vor, daß die Gelder ausschließlich für Leistungen bundesdeutscher Unternehmen verwendet werden dürfen. Insbesondere die Textilmaschinen- und Schuhmaschinenhersteller haben in diesem Zusammenhang bereits einige Geschäfte abschließen können. Die Zinsen wurden zwar geringfügig höher angesetzt als von der UdSSR gewünscht.

Der Kanzlerbesuch dürfte auch einer Branche weiterhelfen, die hierzulande zur Zeit über frappante Absatzmängel klagt. Siemens steht gerade in Verhandlungen mit Moskau über die Lieferung eines Hochtemperatur-Versuchsreaktors mit 200 -Megawatt-Leistung. Zuvor darf die Münchner Firma die sowjetische Produktion mit Versuchen überziehen: Im letzten Monat konnte ein Auftrag über Sicherheitstests an den 13 sowjetischen Druckwasserreaktoren akquiriert werden. Anfang Oktober gab Siemens bekannt, eine Order über eine nukleare Entsorgungsanlage aus Moskau erhalten zu haben.