Ein Stadtteil wird gesund zerstört

■ Fünf weitere Verbrauchermärkte wollen sich in der wertkauf-geschädigten Neustadt ansiedeln / Mit den Tante-Emma-Läden stirbt Lebensqualität in Bremens bevölkerungsreichstem Stadtteil

„Zigarrenhaus Jahn-Eck“ steht in bräunlichen Lettern auf der beige-schmuddeligen Wand. Über der Ladentür prangt noch das markige Profil eines Pfeifenrauchers.Es ist schon lange her, daß sich Raucher im „Zigarrenhaus Jahn-Eck“ ihr tägliches Nikotinfrühstück abgeholt haben. Heute sind die Regale leer. Der Tresen, mit DC-fix im Holzdekor beklebt, von einer Staubschicht bedeckt.

Der Buntentorsteinweg ist - neben Pappelstraße und Kornstraße/Lahnstraße eine der drei neustädtischen Einkaufsstraßen. Bis vor einigen Jahren gab es dort noch ein buntes Einzelhandels-Gemisch. Heute zeigt die Straße Spuren der Verödung. Vom Leibnizplatz stadtauswärts nimmt die Zahl eingeführter Fachgeschäfte immer mehr ab: Während am unteren Ende das „Jahn-Eck“ bereits leersteht, hofft am oberen Ende die Bremer Bank noch auf betuchte skrupellose Kunden für ihre Krügerrands. Die Straßenfront wechselt ständig ihr Gesicht. Auf 200 Metern haben sich allein drei Sonnenstudios und Saunen in ehemaligen Läden breitgemacht. Neue Pleiten sind vorprogrammiert.

Einen Großteil Schuld an der Misere der gewachsenen Stadtteilzentren geben Kommunalpolitiker und EinzelhändlerInnen der verfehlten Ansiedlungspolitik des Senats. Die Neustadt soll überdimensionierte Verbrauchermärkte aufnehmen, die auf Kundschaft außerhalb des Stadtteils setzen. Bereits 1982 waren die Wellen hoch geschlagen, als der Wertkauf-Markt sich in der Duckwitzstraße breitmachte. Heute wandern 30 Pfennig von jeder Mark, die in der Neustadt ausgegeben wird, in die Kassen des Karlsruher Giganten. Besonders drastisch ist der Trend im Lebensmittel-Einzelhandel des Quartiers. Der Branchenriese Coop hat die größten Mitbewerber aus dem Rennen geworfen. Der Safe

way-Supermarkt an der Pappelstraße ist heute als „Comet“ ein Mitglied der Frankfurter Coop-Großfamilie. Auf einen Bauplatz bei der ehemaligen Coca-Cola-Fabrik am Kirchweg stellte Coop einen nagelneuen Comet-Markt. Aus dem Rendit -Markt am Kirchweg machte Coop ebenfalls einen Comet -Markt. Damit kontrollieren die Frankfurter faktisch den Lebensmittel-Einzelhandel in der Neustadt. Die „Buntentor -Bäckerei“ von Hermann Reher, in unmittelbarer Nachbarschaft des neuen Cometladens am Buntentorsteinweg gelegen, hat seither Umsatzrückgänge von mindestens zehn Prozent zu verkraften. Coop nämlich hat einen Bäckerladen im Comet -Markt eingerichtet. Aber keine Bäckerei aus dem Quartier, sondern ein Filial-Unternehmen aus Ganderkesee bietet unterm Comet-Dach Brot und Kuchen feil. Seit der Eröffnung des Comet-Marktes haben schon zwei Lebensmittelgeschäfte und eine Schlachterei dichtgemacht.

Leder-Kaufmann Manfred Breutigam, Vorstandsmitglied im „Ring Neustädter Fachgeschäfte“, sieht das Monopol von Coop „mit großer Sorge“. Die urbane Qualität der Neustadt schwinde: „Es sind einfach weniger Leute auf der Straße.“

Inzwischen haben weitere Investoren in der Neustadt angeklopft. Dem Beirat liegen fünf Bau-Anfragen für neue Märkte vor. Als Standorte haben kapitalkräftige Unternehmen vor allem den Bereich der Neuenlander Straße ins Auge gefaßt. In der Carl-Franke-Straße soll ein Riesencenter entstehen. Grundstücke am Flughafendamm, an der Duckwitzstraße, der Industriestraße und östlich von Metro haben die Begehrlichkeit der Investoren geweckt. Aldi will im Kirchweg auf dem Terrain des „Neustädter Wäldchens“ einen 640 Quadratmeter großen Discount-Mark errichten.

Obwohl die Bebauungspläne

nur eine Geschoßflächenzahl von 1500 Quadratmetern erlauben, kennen die Investoren Tricks. Sie unterlaufen diese Bestimmungen, um große Verbrauchermärkte aus dem Boden zu stampfen. „Wir haben in Bremen einen großen Druck auf diese Flächen“, sagt Siegfried Kotthoff vom Senator für Umweltschutz und Stadtentwicklung. Ein Investor etwa wollte für einen Verbrauchermarkt Neuenlander Straße/Flughafendamm 4500 Quadratmeter haben. Das ging nach der geltenden Satzung nicht. Daraufhin teilte der Bauherr das Grundstück in drei Parzellen zu 1500 Quadratmeter. Drei formell selbständige Eigentümer -Gesellschaften wurden aus der Taufe gehoben. Die Stadt hatte dagegen nach den Worten von Siegfried Kotthoff keine rechtliche Handhabe.

Brisante Diskussionen verspricht die künftige Nutzung des großen Areals der Hauptfuhrparkstelle am Buntentorsteinweg 112. Das Stadtreinigungsamt, das dort seine Müllfahrzeuge parkt, wird zur MVA umziehen. Das freiwerdende Gelände ist attraktiv: stadtnah und in unmittelbarer Nachbarschaft zum Naherholungsgebiet Kleine Weser. Neugotische Hallen und ein wuchtiger Schornstein der ehemaligen Remmer-Brauerei setzen industriearchäologisch pfiffige Akzente. Eine „Mischnutzung“ des Sahnestücks stellt man sich beim Stadtplanungsamt vor: Einen kleinen Teil wird der Martinshof bekommen, der Rest soll Wohnungen, kleine Läden und Dienstleistungsbetriebe aufnehmen. Für FußgängerInnen und Radfahrer soll ein Durchgang zum Deich entstehen. Doch das ist nicht alles: Einen Supermarkt mit bis zu 1000 Quadratmetern will Reinhold Lührs vom Stadtplanungsamt an dem „integrierten Standort“ nicht ausschließen: „Der paßt da rein“.

Günter Beyer